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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Schreiberhau, 20. August 1887

Lieber Karl!

Dein lieber Brief vom 8ten dieses Monats1 aus Freudenstadt hat mich sehr erfreut, da er mir davon Kunde bringt, daß Du die Feier Deines Jubiläums glücklich bestanden hast und nun im schönen Schwarzwald eine erfrischende Erholung in guter Gesellschaft findest. Ein solches Jubiläum ist immer ein wichtiger Abschluß unserer Lebensthätigkeit und es gewährt eine herzliche Befriedigung, wenn wir mit demüthigem Dank auf die Früchte unserer Arbeit in einem langen Zeitraum einen Rükblik werfen können, zu welchem auch unsere Freunde und Genossen ihre begründete Anerkennung glükwünschend aussprechen. Es war uns auch von großem Interesse den Bericht der Allgemeinen Zeitung über die Feier zu empfangen.2 Ich habe darin nur vermißt, daß auch die bayerische Regierung pflichtschuldigst ihre Theilnahme Dir in irgend einer Weise bezeugt habe.3

Wir befinden uns hier seit dem 19ten Juli im Riesengebirge und haben in den ersten drei Wochen sehr schönes, zum Theil recht heißes Wetter gehabt; seitdem ist es umgeschlagen und oft regnerisch und stürmisch geworden. Schreiberhau ist ein mit vielen Landhäusern und Bauden auf einem weiten Bezirk zerstreuter Ort; unsere Villa Dittrich ist im oberen Theil am Berge mit weiter Aussicht gelegen, wo das grüne mannigfaltige Thal vor uns vom westlichen Riesengebirge und hinter uns von dem Isargebirge mit dem Hochstein eingeschlossen wird. Wir bewohnen hier mit Familie Bitter freundliche bequeme Raeume, recht wohnlich eingerichtet, und unsere Wirthe, Dr. Dittrich mit Familie aus Görlitz bemühen sich angelegentlich und liebenswürdig, alle Wünsche des Hausstandes zu erfüllen. Durch die Fürsorge von Marie, welche die Wirthschaft führt, werden wir auf das Beste verpflegt und es ist uns von großem Werth, mit ihr und ihrer Familie in dieser herzlichen Gemeinschaft die Wochen verleben zu können. Rudel ist am 13ten dieses Monats mit seinem Sekundaner Conrad nach Berlin zurükgekehrt, da sein Urlaub und des Letzteren Ferien zu Ende gingen; er war stets in heiterer liebenswürdiger Laune und sehr unternehmungslustig; hat auch mit Marie und Conrad in Begleitung von Freunden größere Wanderungen auf den Gebirgskamm und bis nach St. PeterSpindlermühle ausgeführt. Wir Alten blieben dabei gemächlich zu Hause; doch hat im Laufe der Wochen und durch tägliche Uebung die schwerfällige Ungelenkigkeit meiner alten steifen Beine sich wesentlich gebessert. In der ersten Zeit war ich sehr erholungsbedürftig und habe mich durch reichlichen Schlaf gestärkt; zuletzt bin ich selbst auf den Hochstein in 1 ½ Stunden gestiegen.

Obwohl im Thal hier viele Menschen, darunter auch manche Freunde und Bekannte zerstreut wohnen, so wird man dadurch, da Jeder seine eigenen Wege geht, nicht genirt; es fehlt aber nicht an gelegentlichen Zusammentreffen. Unter Anderem war kürzlich zum Besten des geplanten hiesigen evangelischen Kirchenbaus eine Abendunterhaltung arrangirt, in welcher kunstgebildete Dilletanten und dann auch der bekannte Schauspieler Friedrich Haase durch Deklamationen mitwirkte. Der Letztere, ein Berliner, sonst aber in der Welt viel gewandert, wohnt auch in unserer Villa, so daß ich seine nähere Bekanntschaft gemacht habe; er ist ein Freund des alten Professors Dr. Werder. Am verflossenen Montag4 wurde ein rendez-vous mit meinem Schwager Adalbert und seiner Familie, die in Krummhübel auf der östlichen Seite des Riesengebirges bei Schmiedeberg sich aufhalten, ausgeführt; wir trafen in Hermsdorf bei Warmbrunn zusammen und wanderten auf den Kynast, wo wir bei schönem Wetter in der malerischen Burgruine zu Mittag speisten. In Begleitung von Ella und Ellis befand sich eine anmuthige Freundin der letzteren, Fräulein Bernus aus Frankfurt a/M. Adalbert hat uns dann hierher begleitet und bringt diese Woche bei uns zu. Er ist immer ein liebenswürdiger Bruder und Onkel und auch mit seiner Lage und Stellung in Breslau ganz zufrieden.

Von Berlin habe ich unter manchen Zusendungen auch die drei Artikel erhalten, die der Professor Dr. Adolf Lasson – wenn ich nicht irre in Friedenau bei Berlin wohnhaft – in dem Feuilleton der Nationalzeitung über den von Dir herausgegebenen Briefwechsel des Vaters5 veröffentlicht hat. Sie sind mit Geist und eindringendem Verständniß vortrefflich geschrieben und wohlthuend durch die Liebe und Verehrung, welche mit selbstständiger Unbefangenheit verbunden ist und heute zu Tage für die Philosophie des Vaters mit voller Anerkennung seines Standpunkts und seines wissenschaftlichen Einflusses auf alle geistigen Gebiete nicht leicht sonst angetroffen wird. Ich habe dem Professor Lasson meinen vollen herzlichen Dank dafür ausgesprochen und Du wirst gewiß auch Dich dazu bewogen finden. Wenn er sie die drei Artikel Dir nicht übersendet, so wird wohl Dir Dein Verleger davon Kenntniß geben. Lasson ist mir persönlich wohl bekannt und ich habe auch seine Wahl in den Vorstand des Evangelischen Vereins zu Berlin veranlasst. Er ist ein hervorragender Gymnasiallehrer, schon in bejahrtem Alter und eifriges Mitglied der philosophischen Gesellschaft, ein vielseitiger geistvoller Gelehrter und Pädagoge; zu seinem Bedauern hat er die erstrebte Anstellung als Universitätsprofessor nicht erreicht.

Clara beauftragt mich mit herzlichen Grüßen und besonderem Dank für Deine liebe Marie, die uns über die Jubiläumsfeier treulich berichtet hat; sie wird den Brief auch bald beantworten. Ebenso habe ich viele Grüße von Klärchen Maria und Adalbert auszurichten.

Mit herzlichen Wünschen
 Dein Bruder
Immanuel

P. S. Ich adressire diesen Brief nach Erlangen, da ich nicht glaube, daß Du bei dem rauhen abwechselnden Wetter lange im Schwarzwald verweilen werdest.

Montag den 28sten dieses Monats denke ich mit Beendigung meines Urlaubs direkt nach Berlin zurükzukehren.6