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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 25. März 1887

Lieber Karl!

Deinen lieben Brief vom 17ten dieses Monats1 mit dem schön ausgestalteten Exemplar der Briefe des Vaters2 habe ich mit herzlichem Dank empfangen. Es freut mich sehr, daß es Dir vergönnt geworden, diese Herausgabe glüklich zu vollenden, und es ist von großem Werth, daß gerade diese privaten und ganz persönlichen Zeugnisse aus dem Leben des Vaters von Deiner sorgsamen Hand und mit Deiner historischen Gründlichkeit bearbeitet und der Literatur erhalten worden sind. Es wird die Herausgabe daher auch gewiß mit Dank und Anerkennung aufgenommen werden und ich bin Dir für dieses Denkmal der Pietät, wie Du es mit Recht bezeichnest, in besonderem Maaße persönlich den innigsten Dank schuldig. Das Exemplar für Michelet habe ich an ihn befördert.

Wir erwarten mit herzlicher Freude Deine Ankunft zur Kommissions-Konferenz am Ausgang der nächsten Woche und sehen Deiner Benachrichtigung über die Stunde des Ankommens entgegen. Clara wird Deine Gaststube bereit halten. Seit mehreren Tagen sind wir sehr mit der ernsten Erkrankung meines Schwagers Theodor in Potsdam beschäftigt und schmerzlich betroffen. Am letzten Sonntag, den 20sten dieses Monats hat ihn ein vom Herz ausgesandter Schlaganfall Vormittags auf der rechten Seite gelähmt. Auf die telegraphische Nachricht sind wir, Clara und ich, Nachmittags hinübergefahren und da wir erkennen mußten, daß ihm, dem Einsamen, in seiner Wohnung nicht die nöthige Pflege eingerichtet werden konnte, haben wir mit Hülfe des Arztes noch an dem selben Abend ihn nach dem Eyssenhard’schen Krankenhause3, einer Privatstiftung vor dem Nauener Thor, gebracht, wo er von Schwestern der hiesigen Diakonissen-Anstalt Bethanien, welcher Clara als Mitglied des Kuratoriums angehört, sorgsam gepflegt wird. Seine Sprache ist etwas unverständlich; dagegen sein Bewußtsein und Geist ganz klar und er hat auch über seine Angelegenheiten und ihre Besorgung nach dem Tode mir eine genaueste Anweisung ertheilt. Er hat darüber schon lange nachgedacht und war auf diesen Fall völlig vorbereitet; daher er auch zu der nothwendigen Uebersiedlung nach dem Krankenhause ganz bereit war. Sein Zustand ist seitdem unverändert geblieben; er ist auch im Ganzen still und erwartet sein Ende ohne Gefühlserregung, welche er auch abwehrt, da er ihr nicht Meister werden könnte. Er hat keine Schmerzen, wohl aber mannigfache Beschwerden und sein Athmen ist bedrükt. Die Dauer des Zustandes ist unberechenbar; es kann plötzlich zu Ende gehen aber auch noch Wochen lang dauern. Clara bringt fast täglich bei ihm zu, wenn ich nicht dazwischen, so oft es meine Zeit gestattet, ihn besuche. Bruder Adalbert wird auch in den nächsten Tagen aus Breslau kommen. Er war eine ungewöhnlich reich begabte Natur; leider ist aber sein Leben durch viele ungünstige Umstände schwer zerrüttet worden.

Von dem armen Friedrich von Tucher habe ich auch aus Simmelsdorf die Anzeige des Todes seiner jugendlichen Frau erhalten4 und ihm auch meine herzliche Theilnahme ausgesprochen.

Deinen Kindern von mir und den Meinigen viele freundliche Grüße.

Also in der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen

Dein Bruder
Immanuel