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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 1. März 1868

Lieber Manuel!

Dein lieber Brief mit dem Gelde1 ist vorgestern eingetroffen und die Sendung durch Mariechen Schmidtlein ist uns heute zugekommen. Wie erwünscht das zierliche Jäckchen für den Kleinen meiner Susanna war, wird sie selbst schreiben und dafür Deiner lieben Clara danken. Der kleine Gottlieb  ist ein liebliches Kind und gedeiht zusehends, schreit freilich auch nicht wenig, bisweilen vielleicht bloß aus Hunger, wie ich gegen meine Frau behaupte, die sehr ängstlich ist und ihn mit der Nahrung etwas kurz hält. Unser ältester Sohn Georg liegt seit zwei Wochen im Bett. Er hat, wie es scheint, sich durch einen Fall oder eine Erkältung oder beides zusammen, eine arge Entzündung am linken Oberarm zugezogen, welche sehr schmerzhaft war und endlich in ein langwieriges Geschwür ausgegangen ist, welches sich nun erst entleeren und ausheilen muß. Auch die gute Marie hat ein ähnliches Fußleiden, welches sie zu Hause hält. Die andern sind wohl. Annchen hat viel Freude am Gesang und erhält ebenso viel Beifall im akademischen Singverein, wo sie fast jedes Mal ein Solo singen muß und am nächsten Dienstag2 soll sie sich auch in einer öffentlichen Produktion mit ihrer Schöpfungsarie3 hören lassen; ich wünsche, daß es ohne zu viel Angst und gut abgehen möge. Am Mittwoch halte ich meinen Vortrag vor dem hiesigen Publicum über Friedrich Barbarossa, ein großes Thema, das sich schwer in die Kürze einer Stunde zusammenfassen läßt; wollen sehen, wie es geht. Dann kommst auch Du im evangelischen Verein an die Reihe; ich erwarte, daß Dein Vortrag gedruckt werden wird und daß ich ihn lesen werde.

Ich schicke Dir meine Amerikaner4 4 Stück zu 1000 Dollar und 1 Stück zu 500 Dollar zusammen 4500 Dollar Bonds 1882. Du hast Recht, daß ich mich nicht auf viel Speculationen einlassen soll, doch habe ich mich damit immer vorsichtig gehalten und gerade keine Einbuße erfahren. Gute Zinsen sind sehr anlockend, zumal wenn man viel Geld im Haushalt verbraucht. Diese Amerikaner verteilen sich zu 8 %. Indessen ist es mir nicht länger geheuer damit und ich wünsche der Sorge überhoben zu sein. Es sieht mir so aus, als ob die Amerikaner, wie in anderen Dingen, auch in einem verhüllten Bankrott auf Kosten ihrer europäischen Gläubiger es der Welt anthuen werden; Italien und Österreich werden dann bald nachkommen. Der Curs ist sehr schwankend, ich wünsche zu keinem zu niedrigen zu verkaufen; Anfang der vergangenen Woche war er bei den 1882ern noch 76 ½ in Berlin, gestern nur 75 5/8 und drunter – in Frankfurt ist er immer um ½ 5 niedriger; das macht bei einer Summe von 4500 Dollar schon ein beträchtliches aus. In Nürnberg würde ich einen noch schlechteren Preis erhalten. Darum schicke ich die Papiere nach Berlin und belästige Dich noch einmal mit dem Verkauf. Du brauchst nicht gerade damit zu eilen und kannst den günstigeren Curs abwarten; ich möchte gern 76 und lieber noch etwas darüber als darunter erhalten. Wie ist aber das Geld hierher zu schicken? Um die Summe zu verringern, wären mir noch etwa 7 Stück Berlin Potsdamer angenehmer, die mit 198 – 195, wie der Curs zuletzt notierte, mir nicht zu theuer bezahlt erscheinen. Wenn auch die Bahn durch manchen Abgang neuer Bahnen verliert, so bleibt sie doch immer eine bedeutende Verkehrslinie mit der Hauptstadt. Der ganze Rest wird mir wohl am besten durch Cassenanweisungen  oder Bankscheine übermittelt werden und kannst Du, um der weiteren Mühe überhoben zu sein, Ebeling einfach damit beauftragen. Nürnberger Banknoten werden in Berlin kaum zu haben sein.

Sehr überraschend war mir Deine Mittheilung über Bismark. Der Mann steigt immer höher im Ansehen und gewiß ist es nicht sein geringster Ruhm, daß er Vorsicht mit Kühnheit zu verbinden weiß. Du wirst von unsern Parlamentswahlen6 gelesen haben. Wir hatten einen bessern Ausfall für die nationale Partei erwartet. Am stärksten sind die Particularisten7 und Ultramontanen vertreten.

Es ist unglaublich, welche Niederträchtigkeiten unsere Pfaffen in Altbayern und Unterfranken sich erlaubt haben, um die miserabelsten Subjecte, so fern sie nur als verläßlich erschienen, durchzubringen. Es ist eine Elite von schoflen Gesellen und Stoßbayern, die sie auch nach Berlin zusenden; in der neusten Nachwahl in Schweinfurt und Umgegend ist der Bürgermeister Schultes, ein sehr wackerer und nationalgesinnter Mann, welchen die Stadt einmüthig gewählt hat, ebenfalls einem Bauern Namens Meder mit Hülfe der Pfaffen und des dummen Landvolks unterlegen. So ist es den meisten Städten geringerer Bevölkerung auch anderswo ergangen. Es mag jedoch gut sein, daß wir uns im Ganzen einmal zeigen, wie wir wirklich sind, und daß man von unsrer angeblichen Deutschheit nicht mehr erwarte, als wirklich dran ist. Auch in Baden ist das Resultat überraschend genug.8 In Würtemberg wird ein gleiches oder noch schlimmeres wenigstens Niemand überraschen.9

Wir erwarten jetzt hier eine Garnison10; das Jägerbataillon von Forchheim, welches hauptsächlich der Freiwilligen unter den Studierenden wegen hierher verlegt wird. Du kannst Dir denken, welches Ereigniß für den Erlanger Bürger das ist! Wir wollen sehen, wie sich die Offiziere hier ausnehmen und halten werden. Es ist erschrecklich viel Rohleder unter diesem bayrischen Militär! An freundlichem Entgegenkommen wollen wir es nicht fehlen lassen, auch Scandale mit den Studenten nach Kräften zu verhüten bemüht sein.

Grüße die liebe Klara und die Kinder.
Herzlichst Dein Bruder
Karl.

P. S. Meine besten Glückwünsche für Clärchen zum Geburtstag.11


NB Ich nehme an, daß der Dollar bei Capital und Zinsenberechnung zu 1 Taler 12 ½ Silbergroschen angesetzt wird.

Es würde mir zur Beruhigung gereichen, wenn Du mir nur mit zwei Zeilen die Ankunft der Amerikaner anzeigen wolltest.