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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 19. Juli 1880

Lieber Karl!

Wir haben uns an den guten Nachrichten sehr erfreut, welche Du in Deinem lieben Brief vom 6ten dieses Monats1 uns von allen Gliedern Deiner zahlreichen Familie hast mittheilen können, und sprechen insbesondere unsere herzlichen Glükwünsche zu der ehrenvollen Berufung Deines Schwiegersohnes Klein nach Leipzig aus. Wir hoffen, daß er mit Anna uns dann auch bald einmal hier in Berlin besuchen werde. Du wirst auch auf Deinen Kommissionsreisen2 hierher eine erwünschte Station in Leipzig bereit finden. Es hat mich auch überrascht, daß Dein Mundel schon nächstens in die Abiturientenprüfung eintreten wird, da er eben erst 17 Jahre alt geworden ist; da hat er sich fleißig drangehalten und vorwärts gebracht. Welchem Beruf soll er sich widmen und wo wird er zunächst studieren? Es wird hierbei vielleicht später auch wohl Berlin in Betracht kommen können und wird es uns eine große Freude sein, ihn hier zu empfangen und so weit es nöthig, für ihn zu sorgen.

Den Braunschweiger Band Deiner Städte-Chroniken3 habe ich mit Dank empfangen und freue mich über den Fortgang dieses großen Unternehmens, welches Du zur Lebensaufgabe gemacht hast. Das Brandunglük von Mommsen4 wird Dich auch mit Theilnahme erfüllt haben. Er hatte bis 1 ½ Uhr in der Nacht gearbeitet, und beim Anzünden eines Lichtes, um sehr ermüdet zu Bett zu gehen, hat er vermuthlich das noch brennende Schwefelholz fortgeworfen, welches dann weiter gezündet hat. Vornehmlich wird bedauert, daß sowohl seine große Bibliothek, als auch mehrere Handschriften, welche von auswärtigen öffentlichen Bibliotheken ihm geschickt waren, verbrannt sind, darunter auch die Wiener Handschrift, welche nicht ihm, sondern der hiesigen Königlichen Bibliothek anvertraut war. Auch sind die Materialien verbrannt, die er für die Monumenta Germaniae Historica gesammelt hatte. Daß Lepsius einen Schlaganfall erlitten, wirst Du erfahren haben; da rechte Hand und Bein noch gelähmt sind, so daß er auch nicht schreiben kann, so braucht er die elektrische Kur und will dann einen Aufenthalt in Stolberg im Harz nehmen.

Unsere Reisepläne haben sich jetzt auch formirt. Mein Arzt sprach erst wegen Anschwellung der Leber von Karlsbader Brunnen in irgend einem Gebirge, schikt mich doch wieder nach Ems, weniger wegen der Halskur, als wegen Magenbeschwerden; ich bin damit auch ganz zufrieden, besonders wenn ich, wie ich hoffe, wieder in der freundlichen Villa bella Riva mit Clara Aufnahme finde. Ich beabsichtige am 30sten dieses Monats von hier abzureisen und nach Ems die Rükreise mit einem Besuch in Metz bei meinem Schwager Adalbert zu verbinden. Meine Abwesenheit soll nicht länger als 5 Wochen dauern. Mein Schwager hat jetzt in Metz auch mit Frau und Kindern seine Häuslichkeit eingerichtet und schreibt über seine Stellung und die Schönheit des Landes sehr befriedigt. Unser Klärchen wird inzwischen bei ihrer Schwester Marie Aufnahme finden, welche ihren Sommeraufenthalt in Görbersdorf genommen hat. Jetzt ist auch schon Mutter Bitter dort und hoffen wir, daß sie sich in der Ruhe bei den Kindern erfrischen und stärken wird. Mein Schwiegersohn ist zur Zeit noch in Oberschlesien, denkt aber seine Lokalinspektion nächstens abzuschließen; er wird dann die Ergebnisse seiner Untersuchungen und seine Vorschläge zur Abhülfe des Nothstandes oder vielmehr seiner Ursachen auszuarbeiten haben.

Willy befindet sich in seiner Stellung bei der bischöflichen Verwaltung in Paderborn noch ganz befriedigt, erwartet aber nächstens auf seinen Antrag seine Ernennung zum Regierungs-Assessor und wird dann irgend wohin zu einer Regierung oder zur Verwaltung eines Landrathsamtes bestimmt werden. Meine Segenswünsche werden ihn begleiten, wohin ihn sein Beruf führt. Möge der Herr ihn auf seinen Wegen geleiten und ihn auch dazu führen, daß er einen Hausstand begründen kann. Er ist dazu gemüthlich sehr angelegt und nun auch bereits 30 Jahre alt.

Die Auflösung der bischöflichen Verwaltung in Paderborn braucht er dort nicht abzuwarten; ich glaube aber, daß sie hier am ersten in die Hand eines geistlichen Bisthumsverwesers übergehen wird, da der Bischof Martin gestorben ist. Nun halte ich es für möglich, daß die Regierung die Publikation und Ausführung des neuen Kirchengesetzes5 noch hinausschieben wird, um sich aller Seits die Gemüther erst abkühlen zu lassen. Ich würde als Abgeordneter der Regierung alle Vollmachten bewilligt haben, welche sie meint zur Beendigung des Kulturkampfes nöthig zu haben. Es sind auch die Mittel und Wege dazu viel mehr Gegenstand der politischen Verwaltung, als der Gesetzgebung. Zu einer festen gesetzlichen Ordnung, welche allerdings nothwendig ist und auch die katholische Kirche fordern muß, ist es noch nicht an der Zeit. Daß die Maigesetze gründlich reformiert und der Kulturkampf beendigt werden muß, darin sind Alle einverstanden. Es ist aber thöricht zu meinen, daß durch Abwarten die Lage der Regierung sich bessern werde; im Gegentheil wird sie dadurch nur immer schlimmer und ich bin überzeugt, daß Bismark vornehmlich durch die großen Gefahren der ganzen politischen Situation in Europa und besonders in Frankreich dazu bewogen worden, vom Kulturkampf abzulenken; denn wenn ein Existenzkampf für Preußen zu erwarten ist, so kann es nicht durch inneren Unfrieden zerrissen sein. Daß Bismark mit Sybels Brief6 einverstanden, ist nicht zu bezweifeln.

Da der neueste Band der deutschen Biographien im Buchhandel noch nicht erschienen ist, da nehme ich gerne Dein Anerbieten7 an, mir des Vaters Biographie8 von Erdmann schicken zu wollen.

Herzliche Grüße von Clara und Klärchen und die besten Wünsche zu der beabsichtigten Schweizerreise.

In herzlicher Liebe Dein Bruder Immanuel