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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 5. Mai 1844

Lieber Karl!

Ich kann Dir nur sehr flüchtig Deinen letzten Brief1 beantworten, weil ich selbst in unseren Machtbewegungen mitten drin bin, dabei jetzt ein Dezernat im Handelsministerium erhalten habe und außerdem noch in den letzten Tagen ein kleines katharrhalisches Fieber habe durchmachen müssen, doch glaube ich mich von morgen an als genesen ansehen zu dürfen. In der vorigen Woche war ich sehr angestrengt durch die Vorbereitung der Wahlen in unserem Bezirk beschäftigt, indem ich das Glück hatte, zum Ordner der Wahlversammlung erwählt zu werden. Obwohl mir dabei ein Wahlkomite von 7 Personen zur Seite stand, so lagen mir doch die Besorgungen ob, und ich bemühte mich, mein Offizium nach besten Kräften zu erfüllen. Wir hatten dafür die Genugthuung, daß die Verhandlungen einen sehr befriedigenden Gang nahmen, und sich durch Anstand und Ruhe auszeichneten, wie es auch wohl nicht anders bei einer so notablen Wählerschaft, als der Thiergarten lieferte, zu erwarten war. Unsere Versammlungen fanden täglich Abends von 7 -10 Uhr im 2 statt und waren sehr fleißig besucht; es wurden die verschiedensten Fragen in Betreff der Wahlen discutirt, und die Wahlkandidaten, welche beliebig vorgeschlagen und verzeichnet waren, mußten sich presentiren und Wahlreden halten. Ich gehörte auch dazu und bin auch für die preußische Versammlung zum Wahlmann gewählt worden; außerdem ein Kaufmann Dannenberger, Stadtgerichtsrath Fälliger und Geheim Rath von Viebahn – für Frankfurt stellten wir als Wahlmänner zwei Legatiosräthe von Gruner und von Rhaden, Homeyer und Mac-Lean. Daß so viel Beamte gewählt werden, liegt in dem großen Mangel anderer Stände in diesem Viertel. Mit dem Ergebniß der Wahlen der Wahlmänner in der Stadt überhaupt kann man im Ganzen recht zufrieden sein; es zeigte sich überall das Bestreben, besonnene, tüchtige, geachtete Männer zu wählen.

Euer Landtag3 ist nun auch eröffnet, und wie ich höre, darf man erwarten, daß auch der Adel zu allen Konzessionen bereit sein wird. Es freut uns sehr, daß es Dir gestattet ist, einen so wirksamen Einfluß auf die politische Entwicklung des Landes auszuüben. Was die an mich gerichtete Frage in Betreff der Bildung der 2 Kammern in der zu erwartenden preußischen Verfassung angeht, so hat mir Geheim Rath Costenoble gesagt, daß zwar ein Beschluß weiter noch nicht gefaßt sei, nach den Aeußerungen mehrerer Mitglieder des Ministeriums aber man sich vermuthlich im Wesentlichen nach dem Muster der belgischen Kammer richten werde; für die zweite Kammer werde man das jetzige Wahlgesetz beibehalten; die erste aber wird den Prinzen des königlichen Hauses, zu 1/3 aus den von dem König auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern, und im Uebrigen aus gewählten Vertretern der notablen Grundbesitzer, welche eine gewisse Grundsteuer entrichten, zusammengesetzt werden. Den reichsunmittelbaren Standesherren scheint man keine Virilstimme einräumen zu wollen, obwohl ich dies ganz billig fände, um so mehr als sie ein durch Staatsverträge verbrieftes Recht darauf haben. Für die Ritterschaft wird man allerdings besser den notablen Grundbesitz, nach der Grundsteuer bemessen, setzen, weil von der Actenschaft nichts übrig bleibt, wenn Gerichtsbarkeit, Polizeiverwaltung, Patronatsrecht, und Steuerexemtion aufgegeben werden.

Inzwischen ist nun auch der Entwurf des XVII Artikels zur deutschen Reichsverfassung4 erschienen: er zeigt eine schöne Idee; nur sehe ich nicht den Nutzen daran zu glauben. Es ist vielleicht dann die Verwirklichung zu hoffen, wenn uns die nächste Zeit Krieg, Noth und Elend ins Vaterland bringt, damit die Schreier stumm, die Hochmüthigen demüthig und die Selbstsucht geknechtet wird. Nur durch solches Feuer kann eine neue Form geschmolzen und festgeschmiedet werden. Die Noth und die Gewalt muß die Menschen, und besonders die Deutschen bezwingen; die Vernunft allein thut es nicht. Hätten wir nur in Preußen große Staatsmänner, auf die man mit ganzem Vertrauen sehen könnte; es gehören für so schwierige Zeiten herrische Naturen; die jetzigen Minister sind dies nicht.

Heute morgen ist Trinkler wieder abgereist, welcher uns auf einige Tage besucht hatte; in der nächsten Woche am 10ten dieses Monats erwarten wir Mutter Flottwell, welche sich doch entschlossen hat, zum Wochenbett Friederikens5 zu uns zu kommen, die Mädchen bleiben aber zu Hause; Mariechen wird einige Tage bei Hefftens hier zubringen, bis sie Trinkler sich abholt. – Friederike hält sich recht munter und mobil; ebenso die gute Mutter, welche uns in Allem treu hulfreich zur Seite steht.

Mit herzlichem Gruß
Dein
Immanuel