Erlangen, 28. Juli 1876
Lieber Manuel!
Vor Deiner Abreise nach Johannisbad will ich Dir doch noch Nachricht nach Berlin geben. Ich kann mir denken, daß die heißen Julitage, bei denen wir hier in Erlangen ganz vertrocknen, auch in Berlin wenig angenehm sein werden und daß Du Dich von dort hinwegsehnst nach der Erfrischung des Badeaufenthalts. Ich werde in den ersten Tagen des August, nach dem Schluß meiner Sommervorlesungen, eine weniger wohlthuende Abwechslung finden in Ausführung eines Ministerialcommissariums bei den mündlichen Absolutorialprüfungen am Gymnasium in Eichstätt, und dann muß ich wieder hierher zurück. Meine Frau ist nämlich seit dem 18. dieses Monats in München, um das Wochenbett von Anna abzuwarten, welches bis zur Zeit noch auf sich warten läßt. Recht gut hätte sie also noch die schöne Hochzeitsfeier ihres Bruders in Nürnberg am Dienstag, 25. dieses Monats mit uns begehen können, und es war sehr zu bedauern, daß sie uns dabei fehlte. Aber sie und Anna hatten länger keine Ruhe | und mir selbst schien es auf der anderen Seite wünschenswerth, daß Susanna, die sich ziemlich angegriffen fühlte, aller der Unruhe bei Vorbereitung zum Hochzeitsfest überhoben war und sich in München vorläufig ausruhen und pflegen konnte.
Meine beiden Mädchen, Marie und Sophie, welche bei einem Festspiel am Polterabend mitwirken sollten, gingen mir voraus nach Nürnberg schon am Sonntag und wohnten auf dem Glockenhof bei Lina; ich folgte am Montag und fand eben daselbst Quartier bei Marie oder Stephanie (wie sie auch genannt wird) Grundherr. Das Abendfest war auf dem Schoppershof bei Theodor Tucher und Frau Josephine. Der Schoppershof, weit draußen vor dem Laufer Thore ist von der Tucher’schen Familie angekauft und Wohnsitz von Theodor, der wie Du weißt, die Familienangelegenheiten verwaltet: es ist ein Nürnberger Schlößchen mit Garten von einer Mauer umgeben, ganz im alten Stil; das Innere wird erst neu und wohnlich eingerichtet. In einem getäfelten Zimmer oben war die Tafel für die zahlreichen Gäste hergerichtet; im unteren Raum die Bühne für das Festspiel, in welchem Liebe, Freundschaft, Häuslichkeit | und andere Abstracta oder Concreta durch junge hübsche Mädchen personificirt werden: unser Mariechen war die Freundschaft, Sophie’chen ein Schneeglöckchen, reich mit diesem Emblem ausstaffiert. Als Gäste waren anwesend die Tucher’schen und Stramer’schen Anverwandten; unter jenen als Senior Onkel Gottlieb und Tante Thekla, die aus Simmelsdorf herbeigekommen waren; ferner die Grundherrs vom Glockenhof und Andere. Es war ein sehr gelungenes Fest, auch nicht getrübt durch das Wetter, welches als Gewitter drohte, aber nicht zum Ausbruch kam; farbige Transparentlaternen erleuchteten den Garten. Die kirchliche Trauung am folgenden Tage fand in St. Sebald statt in dem herrlichen Chor hinter St. Sebalds Grab; Pfarrer Behr hielt eine recht gute, einfache, herzliche Predigt; das Hochzeitsmahl war im rothen Roß, der nahe bei St. Sebald ist. Der neue Tucher’sche Geschlechtspokal (nach des verstorbenen Krehling Zeichnung) ging bei den Trinksprüchen herum: der junge Ehemann hielt eine längere feierliche und gefühlvolle Rede, Onkel Gottlieb sprach noch länger, wie er bei solchen Gelegenheiten zu thun pflegt, aus eigener Erfahrung über das Wesen und Aufgabe der Ehe; ich brachte nach so vielem Ernst den Humor hinzu, der offenbar recht erfrischend | wirkte und die fröhliche Stimmung belebte. Das junge Ehepaar entfernte sich um 5 ½ Uhr zur Abreise nach Regensburg; die junge Welt tanzte und auch die alte wurde mit fortgerissen. Alles war vollkommen befriedigt: am meisten wohl unsere gute Mutter, welche die beiden Tage gut überstanden hat.
Dein Hochzeitsgeschenk habe ich bestens besorgt. Ich ließ den Kupferstich von München kommen und in Nürnberg schwarz mit Gold einrahmen und habe dafür im ganzen 22 Mark 70 Pfennig ausgelegt. Friedrich hat mir seine Freude darüber ausgesprochen. Wir gaben eine Gesellschaftslampe und noch einige Kleinigkeiten, welche die Mädchen am Polterabend überreichten.
Hast Du von unserem schwarzen bairischen Landtag gelesen? Es ist eine gräuliche Wirthschaft, welche uns das verbiesteste und … katholische Pfaffenvolk mit einer Tyrannei von zwei Stimmen Majorität, die sie durch Wahlcessirungen zu vermehren bemüht waren, angerichtet hat. Am ärgsten wird dadurch das höhere Schulwesen betroffen, da die Geldmittel sowohl für den Oberstudienrath (nicht mehr als etwas über 7000 Mark) als auch für die neu errichteten untersten Lateinklassen, welche zur Gleichstellung unserer Gymnasien mit den norddeutschen nothwendig sind, wiederholt verweigert wurden. Es ist für ein unschätzbares Glück zu erachten, daß unser König nicht in den Klauen der Jesuiten ist! – |
Meine herzlichen Grüße an Clara. Ich wünsche, daß Ihr glücklich Eure Sommerfrische erreichen möget. Meine Tochter Luise geht mit ihrer kleinen Familie am 1. August nach Muggendorf, wohin ihr Mann eine Woche später folgen wird. Dann wird es vollends still in meinem Hause werden!
Treulich Dein Bruder Karl.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund Friedrich Wilhelm Sigmund Tucher116153730918461924Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund (1846–1924), Sohn Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), jüngster Bruder Susanna Maria Hegels (1826–1878), Taufpate Gottlieb Friedrich Hegels (1867–1874), 1867 Forsteleve in Aschaffenburg, Ehemann Auguste Marianna Tuchers, geb. Stramer (1857–1887), nach deren Tod ab 1888 Maria Margarethe Charlotte Tuchers, geb. Anns (1852–1917).
Hegel, Maria (Mariechen, Mimi)Marie HegelTochter Karl Hegels-18551929 Hegel, Maria (Mariechen, Mimi) (1855–1929), dritte Tochter Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), die ab 1878 dem verwitweten Vater den Haushalt in Erlangen führte.
Hegel, Sophia (Sophiechen)Sophie Hegel-18611940Hegel, Sophia (Sophiechen) (1861–1940), vierte und jüngste Tochter Karl und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878); sie blieb unverheiratet und absolvierte Stationen in München und Göttingen in den Haushalten der Schwestern Luise Lommel, geb. Hegel (1853–1924), und Anna Klein, geb. Hegel (1851–1927), später eine ca. 20 Jahre währende Tätigkeit als Lehrerin/Erzieherin an einem englischen Mädchenpensionat in Malvern, ab 1910 wieder in der Familie ihrer schwerhörigen Schwester Anna Klein lebend und dort vor allem in der Erziehung und Krankenpflege helfend; spätere Arbeit im sozialen Bereich in Göttingen.
Bär (Baer), Johann Wilhelm-18141886Bär (Baer), Johann Wilhelm (1814–1886), in Hersbruck geborener Pfarrer, der von 1835 bis 1839 an der Universität Erlangen evangelische Theologie studiert hatte und zunächst als Vikar tätig war. Von 1855 an war er Pfarrer an St. Sebald in Nürnberg, von 1847 an war er über 38 Jahre hinweg Englisch-Lehrer an der Nürnberger Handelsschule.
Kreling, August11651872318181876Kreling, August (1818–1876), in Osnabrück geborener, in Nürnberg gestorbener Bildhauer, Maler, Architekt und Kunstgewerbler, der von 1853 bis 1874 Leiter der Kunstgewerbeschule in Nürnberg war.
Ludwig II., König von BayernKönig Ludwig II. von Bayern11857489218451886Ludwig II. (1845–1886), bayerischer König von 1864 bis 1886.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Lommel, Luise, geb. Hegel
Luise Lommel, geb. Hegel-18531924 Lommel, Luise, geb. Hegel (1853–1924), Ehefrau des Physik- und Mathematik-Professors Eugen Lommel (1837–1899); siehe auch: Hegel, Luise (1853–1924).
Lommel, Eugen Cornelius JosephEugen Lommel10427615018371899Lommel, Eugen Cornelius Joseph (1837–1899), in der Rheinpfalz geborener Physiker und Mathematiker, der von 1854 bis 1858 an der Universität München studierte, Lehrer in der Schweiz und dann Privatdozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich wurde. 1867/68 war er Professor an der land- und forstwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim und von 1868 bis 1886 Ordinarius an der Universität Erlangen, schließlich an der Universität München. Er war der Ehemann Luise Hegels (1853–1924), der zweitältesten Tochter Karl und Susanna Maria Hegels (1826–1878).
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Eichstätt (Eichstädt)48.8933417,11.1838965Die Bischofsstadt Eichstätt liegt an der Altmühl, knapp 100 Kilometer südlich von Nürnberg.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Schoppershof49.4655672,11.1016079Nordöstlich von Nürnberg gelegene Gemeinde, die 1796 an das Königreich Preußen fiel, 1810 an das Königreich Bayern kam und 1899 ein Teil Nürnbergs wurde.
Simmelsdorf49.5972637,11.3379197Namengebender Sitz der Nürnberger Patrizier-Familie Tucher von Simmelsdorf, 1598 erworben, nordöstlich der alten Reichsstadt Nürnberg gelegen. Das Alte Tucher-Schloß, ursprünglich ein Wasserschloß, wurde in den 1830er Jahren im gotischen Stil umgebaut, das „Neue Herrenhaus“ 1808 erbaut.
Regensburg49.0195333,12.0974869An der Donau gelegene alte Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches, wo ab 1663 der Immerwährende Reichstag stattfand, sowie Residenz- und Bischofsstadt, etwa 200 Kilometer nordwestlich von Linz entfernt.
Muggendorf49.8035845,11.262593Ferienort an der Wiesent in der Fränkischen Schweiz, etwa 50 Kilometer nördlich von Nürnberg und etwa 35 Kilometer nordöstlich von Erlangen gelegen.
Absolutorialprüfung (Bayern)Aufgrund der Gymnasialordnung für das Königreich Bayern von 1854 fanden die Abschlußprüfungen an den Gymnasien (Abitur) unter dem Vorsitz von vom zuständigen Staatsministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten ernannter Prüfungskommissare statt, unter denen nicht selten bayerische Universitätsprofessoren waren.
Glockenhof (Nürnberg)Seit 1765 gehörte der südöstlich vor der Nürnberger Altstadt gelegene Herrensitz der Familie von Grundherr.
Laufer Tor (Nürnberg)Tor in der nordöstlichen Stadtmauer Nürnbergs in Richtung Lauf.
Sankt (St.) Sebald (Nürnberg), SebalduskircheIm 13. Jahrhundert entstandene doppelchörige Pfeilerbasilika, seit 1525 evangelisch-lutherische Pfarrkirche, nördlich der Pegnitz unweit des Nürnberger Rathauses gelegen.
St. Sebalds GrabGrabmonument des Heiligen Sebaldus von Nürnberg (8. Jahrhundert) im Ostchor der Nürnberger Kirche St. Sebald, geschaffen von dem Bildhauer Peter Vischer dem Älteren (um 1455-1529) und seiner Messinggießerei-Werkstatt im Jahrzehnt von 1507 bis 1517.
Rothes Roß (Nürnberg)Vom 16. Jahrhundert bis 1887 bestehender Gasthof, der lange Zeit als erste Adresse am Weinmarkt in Nürnberg galt, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeitweise Versammlungsort der Gesellschaft Harmonie.
Landtag (Königreich Bayern)In der Verfassung des Königreichs Bayern von 1818 wurde die „Stände-Versammlung“ ab 1848 „Landtag“ genannt. Der bayerische Landtag bestand aus zwei Kammern, der „Kammer der Reichsräte“, der Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und vom König ernannte Personen angehörten, und der vom Volk nach dem Zensuswahlrecht gewählten „Kammer der Abgeordneten“.
Jesuitenorden (Jesuiten)Die von Ignatius von Loyola (1491-1556) im Jahre 1534 gegründete katholische Ordensgemeinschaft „Societas Jesu“ (SJ) wurde im Jahre 1540 vom Papst in Rom anerkannt.