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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 20./22. März 1877

Lieber Manuel!

Deine liebe Clara hat meine Susanna durch ihre herzliche Theilnahme an ihrem Geburtstage1 getröstet und erfreut. Auch von vielen anderen Seiten hier am Orte und auswärts kamen Beweise der Liebe und innigen Theilnahme. Leider hat sich der traurige Gesundheitszustand meiner lieben Susanna noch um nichts gebessert. Nachmittags stellt sich regelmäßig das Fieber, wenn auch nicht in heftigem Grade, ein, Morgens ist die Temperatur unter den normalen Stand gesunken. Der Appetit ist gering, doch der Schlaf meist gut, nur bisweilen durch schmerzhaften Husten unterbrochen. Ich habe die liebe Kranke immer bei mir, Vormittags im Schlafzimmer, Nachmittags in meinem Arbeitszimmer, wo sie meist still auf dem Sopha liegt oder auch im Lehnstuhle am Fenster sitzt; schon lange ist sie nicht mehr die Treppe hinunter gegangen, auf der wir sie zuletzt herauf getragen haben. Unter diesen Umständen ist an Reisen nicht zu denken; erst muß das Fieber vorüber sein und dann auch die Kräfte sich wieder gehoben haben. Wir hoffen auf die gute Wirkung des besseren Wetters; heute war ein schöner milder Frühlingstag, Susanna konnte ein paar Stunden am geöffneten Fenster sitzen.

Ich danke herzlich für die Austernsendung und bitte Dich vorläufig die Rechnung zu berichtigen2; eine weitere Bestellung habe ich nicht gemacht, da sich die Austern wohl jetzt kaum frisch halten würden; die gesendeten waren gut und sind der lieben Kranken gut bekommen.

Gestern ist unser Georg von München zurückgekommen, wo er eine Woche lang im Examen war; ob er es bestanden hat, wissen wir zur Zeit noch nicht. Er wohnte bei der Schwester, welche einige Wochen hindurch an einer hartnäckigen Augenentzündung zu leiden hatte, jetzt aber sich damit besser befindet. Wir erwarten Kleins hier bei uns zu Ostern3, doch wird nur Anna bei uns im Hause wohnen, um die Unruhe möglichst von der Kranken fern zu halten.

Über die Folgen Deines Entlassungsgesuchs habe ich noch nichts vernommen, doch las ich mit Freude die ehrenvollen Zeugnisse, welche Dir und Deiner Wirksamkeit für die Landeskirche in öffentlichen Blättern ertheilt worden sind. Diese Genugthuung kann Dir Niemand rauben und sie wird Dir viele Bitterkeit versüßen.

Susanna erkundigt sich nach dem Befinden von Clärchen und nimmt mit mir Antheil an der nicht unbedenklichen Lage, in welcher sich Eure Tochter Marie mit ihrem Mann befindet.4 Möchte es sich dort bald zum Besseren wenden! Auch die allgemeine Weltlage zeigt ja jetzt wieder ein friedlicheres Gesicht.

22. März. An Kaisers Geburtstag – ein schöner Frühlingstag. Die Stadt zeigt sich im Festschmuck der Flaggen! Meine liebe Kranke sitzt am offenen Fenster, und die frische Luft wird gewiß zu ihrer Stärkung dienen; sonst ist der Zustand noch unverändert. Ich habe den Brief nur noch liegen lassen, um das Resultat von Georg’s Examen zu berichten; er kam mit zuversichtlicher Hoffnung zurück, die ganze Familie, ich selbst fingen an ihm zu glauben, er sah sich bereits als Fähnrich in der Kriegsschule am 1. April! – ja wohl am 1. April! Heute Mittag hören wir durch Ulrich aus München, daß er das Examen nicht bestanden hat. Wenn er es auch später, sei es in diesem Sommer oder im nächsten Frühjahr besteht, so hat er immer ein ganzes Jahr verloren! und es bedarf noch einer langen und erneuerten Anstrengung, um das Fehlende zu ergänzen, und dazu des nöthigen Urlaubs vom ständigen Militärdienst. –

Herzliche Grüße von Susanna.

Dein getreuer Bruder.