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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 24. März 1886

Lieber Karl!

Den mir übersandten zweiten Theil des Briefwechsels unseres Vaters habe ich zwar nicht durchgelesen, aber doch Blatt für Blatt durchgesehen, um mir davon ein genügendes Urtheil zu verschaffen. Ich muß den sorgsamen Fleiß, mit dem Du die Bearbeitung ausgeführt hast, höchlich anerkennen; sie giebt Zeugniß von dem Geschik, das Du durch viele Uebung in solcher Arbeit erlangt hast, und Deine hinzugefügten Notizen machen an vielen Orten die bezogenen Verhältnisse verständlich und lebensvoll. Das biographische Interesse tritt in diesem Theil mehr in den Hintergrund; der Schwerpunkt liegt in der Schilderung der bayerischen Zustände und des Kampfes mit den bayerischen Katholiken auf dem Gebiete der Schule. Vielleicht trägt der letztere Umstand dazu bei, mit Rüksicht auf die gegenwärtige Bewegung im Verhältnisse des Staates zur katholischen Kirche auch eine allgemeinere Theilnahme für den Briefwechsel zu erwecken, und ich wünsche Dir von Herzen, daß es Dir vergönnt sein möchte, nun auch die Herausgabe im Druk mit Befriedigung zu vollenden. Jedenfalls hast Du Dir durch die Revision und  Bearbeitung als ein Werk der Pietät ein Verdienst erworben, für welches ich auch Dir besonderen Dank schuldig bin.

Wir werden hoffentlich nächstens Gelegenheit erhalten, noch weiteres darüber mündlich zu besprechen, da ich annehme, daß Du wieder zur diesjährigen Berathung der Monumenten-Kommission eingeladen sein wirst. Es versteht sich von selbst, daß Du dabei wieder unser Haus als ständiger Gast durch Deinen Besuch erfreuen wirst, und bitten Dich, uns bald von der Zeit Deines Herkommens zu benachrichtigen, damit auch Clara, die sich sehr darauf freut, darnach häuslich alles einrichten kann.

So sehr uns die ehrenvolle Berufung Lommels nach München erfreut hat, so erfüllt uns doch der Verlust, den Du und Deine Kinder im Hause dadurch erleidest, mit der innigsten Theilnahme. Dein Leben in Erlangen wird dadurch sehr vereinsamt, und wenn es auch ein schwieriges und bedenkliches Unternehmen, im hohen Alter den Wohnort zu verändern, so können wir doch es sehr erklärlich finden, daß der Wunsch, ihnen nach München nachzufolgen, Dein Gemüth bewegt. Kleins werden nun auch wohl ihren Umzug nach Göttingen bewerkstelligt haben; wir bewundern den frischen Muth, mit welchem Anna ihn in Angriff genommen und hoffentlich auch ausgeführt hat. Clara hatte ihr den Wunsch und die Bitte ausgesprochen, uns hier noch vorher zum Abschied auf einige Tage zu besuchen; sie mußte es aber ablehnen, weil sie bereits durch die Vorbereitungen zu sehr in Anspruch genommen war.1

Die kleine Elisabeth von Harsdorf hat nun auch ihren Kursus im hiesigen Elisabeth-Krankenhause abgeschlossen2; sie hat sich den Anstrengungen in diesem Diakonissendienst mit vieler Ausdauer unterzogen und ist überhaupt ein verständiges Mädchen, fast zu sehr für ihr junges Alter. Vor einigen Tagen ist sie zunächst nach Stralsund zum Besuch3 des Fräulein von Lundblatt, Schwester der Frau von Mellenthin zum Besuch auf einige Tage gereist. Dann wird sie hierher zurükkehren, um sich als Gast in meinem Hause noch etwas in Berlin umzusehen und die Residenz in weltlicher Hinsicht kennen zu lernen; demnächst aber die Osterwoche4 im Krankenhause zubringen und damit den Schluß machen. Auf der Rükreise nach München wird sie Frau Tholuck in Halle besuchen.

Von Willys Ernennung zum Regierungsrath hast Du vielleicht schon durch die Zeitungen Kenntniß erhalten. Es ist dies in seiner amtlichen Laufbahn ein wichtiger Abschnitt. Bis auf weiteres bleibt er noch Hülfsarbeiter im Kultusministerium, wo er werthgeschätzt wird. Ich hätte gewünscht, daß er in der Zeit seines Assessorats noch in der Provinz sich umgesehen und namentlich als Landrath thätig gewesen wäre; nun fürchte ich, daß er im Ministerium länger bleibt und das Bedürfniß, einen eigenen Hausstand zu gründen, immer weiter hinausgeschoben wird; bis es dann heißt: trop tard!5 Doch können wir nur für seinen bisherigen Lebensgang sehr dankbar sein.

An Deine Kinder herzliche Grüße, insbesondere an Lommel und seine Frau unsere besten Glük- und Segenswünsche

Dein
Bruder
Immanuel