Berlin den 6ten Juli 1885
Lieber Karl!
Auf die freundliche Anfrage in Deinem Briefe vom 21sten vorigen Monats nach meinem Befinden kann ich mittheilen, daß ich, Gott sei Dank, in ziemlich kurzer Zeit das Fieber und die damit verbundene Lungen-Affektion überwunden habe und nur eine allgemeine Abspannung zurükgeblieben ist, die aber durch Alter, angestrengte Arbeit u. s. w. ohnehin genügend erklärt wird. Sie rechtfertigt aber das dringende Verlangen nach Ruhe und Erholung, und so Gott will! denke ich in 14 Tagen bis 3 Wochen mit Clara und Klärchen nach der Schweiz aufzubrechen, um in der Alpenluft Stärkung zu suchen. Es ist unsere Absicht zu diesem Zwecke diesmal nach Engelberg am Titlis zu gehen, wo man gut aufgehoben sein soll. Berlin ist schon recht leer geworden, besonders nachdem jetzt die Schulen geschlossen sind. Unsere Marie ist bereits vor 8 Tagen mit den 2 jüngeren Kindern zu ihren Freunden nach Waldenburg | gegangen; Rudel ist mit Conrad gestern nachgefolgt und wird nun mit Frau und Kindern sich nach Kudowa in Böhmen zur Stärkung der Nerven etc. begeben. Willy muß noch als Sommerknecht im Ministerium aushalten und kann erst gegen Ende August die geplante Wanderung nach Tyrol antreten.
Deine Mittheilungen über die Verhandlungen mit Duncker & Humblot wegen einer neuen Auflage einzelner Werke des Vaters waren mir sehr erfreulich, und ich muß es mit herzlichem Dank erkennen, wenn Du Dich der Mühwaltung einer Revision und Vervollständigung des väterlichen Briefwechsels unterziehen willst; es könnte auch kein Anderer diese Arbeit übernehmen. Es versteht sich von selbst, daß das von Dir verlangte mäßige Honorar auch Dir ausdrücklich zukommt. Die von Dir angeregte Frage: was einst mit dem handschriftlichen Nachlaß des Vaters werden soll? ist mir auch zuweilen durch den Sinn gegangen, da er für unsere Kinder nur eine Last und Verlegenheit sein wird. Ich dachte die Sache anzugreifen, wenn ich, was | nicht mehr lange ausstehen wird, in den Ruhestand getreten sein werde, und würde es dann für angemessen halten, die eigenhändigen Manuskripte der Werke und der Vorlesungen der hiesigen Königlichen Bibliothek zu übergeben, das übrige meistens zu vernichten und nur einzelne geeignete Stüke, als Andenken der Nachkommen aufzubewahren.
Von den Verhandlungen der dortigen Pastoral-Konferenz über die Probebibel habe ich Kenntniß genommen. Die Pastoren hatten bis vor kurzem Zeit, die seit 25 Jahren eingeleitete Bibel-Revision mit allgemeiner Gleichgültigkeit laufen lassen. Durch das Erscheinen der ganzen Probebibel ist nun größere Aufmerksamkeit angeregt worden; eine tiefere Bewegung und zwar eine kritisch-oppositionelle aber erst durch eine sehr summarische Gegenerklärung von Kliefoth und Luthardt in der letzteren Allgemeinen Kirchenzeitung erweckt worden. Für die Masse der lutherischen Pastoren in den außerpreußischen deutschen Landeskirchen ist dies eine große Autorität, welcher sie zu folgen sehr geneigt sind. Jene Erklärung ist schwer zu rechtfertigen; im Verhältnisse | zu dem großen Werk, dem Ergebniß ebenso vorsichtiger als langjähriger mühevoller Arbeit einer größeren Anzahl tüchtiger Theologen, ist sie unverantwortlich oberflächlich begründet und das Produkt vornehmer partikularistischer Eifersucht gegen den preußischen Evangelischen Ober-Kirchenrath, der die allgemeine Leitung besorgt. Ihr hauptsächliches Bedenken liegt in der Zukunft, nemlich den Gefahren, welche bei der Einführung der revidirten Bibel in Kirche und Schule anstehen können. Allerdings ist diese Frage wichtig und ernst; sie wird erst nach mehreren Jahren zu erwägen sein und es ist kein Grund zu zweifeln, daß die Behörden sie mit aller Vorsicht behandeln werden. Erstens hat darüber in jeder deutschen Landeskirche besonders das Kirchenregiment ganz selbstständig zu beschließen; zweitens kann das Kirchenregiment die revidirte Bibel nur sanktioniren und den Geber auch genehmigen, aber weder den Pastoren noch den Gemeinden befehlen, sie ausschließlich zu gebrauchen; drittens liegt die Verantwortung in der Hand der Bibelgesellschaften, welche sie drucken und den Gemeinden ebenso die alte Kansteinische, als die revidirte Ausgabe anbieten werden; viertens hat über die Einführung in der Schule nicht das Kirchenregiment sondern die Staatsbehörde zu befinden, und diese wird sich sehr besinnen, dadurch in der Schule Störungen zu verursachen. |
In Deinem nächsten Brief erwarten wir auch Nachricht über Deine Reispläne.
Herzliche Grüße von Clara und meinen Kindern.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Hegel, Marie (Maria), verh. BitterMarie Hegel, verh. Bitter103810830618481925Hegel, Marie (1848–1925), Tochter Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), Ehefrau des Juristen, hohen preußischen Verwaltungsbeamten, Kronsyndikus und Politikers Rudolf Bitter (1846–1914), siehe auch: Bitter, Marie.
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Kliefoth, Theodor 11622759118101895Kliefoth, Theodor (1810–1895), der aus Mecklenburg stammende evangelische Theologe und Vertreter des Neuluthertums studierte an den Universitäten Berlin und Rostock und übte danach verschiedene Predigerstellen aus, zuletzt an der Stadtkirche in Ludwigslust. Von dort wurde er 1844 zum Superintendenten und Ersten Domprediger in Schwerin berufen, 1849 wurde er Oberkircherat und 1886 Oberkirchenratspräsident.
Luthardt (Luthart), Christoph ErnstErnst Luthardt11940970418231902Luthardt, Christoph Ernst (1823–1902), aus Unterfranken stammender evangelisch-lutherischer Theologe, der nach dem Besuch des Gymnasiums in Nürnberg an den Universitäten Erlangen und Berlin studierte. Nach seiner Zeit als Religionslehrer in Nürnberg und München war er von 1854 bis 1856 außerordentlicher Professor an der Universität Marburg, anschließend bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1896 Ordinarius an der Universität Leipzig. Er war strenger Lutheraner und eine der führenden Persönlichkeiten der lutherischen Erweckungsbewegung.
SchweizIn Kantone eingeteilte Republik im Nordwesten der Alpen zwischen Bodensee im Nordosten und Genfer See im Südwesten, an Frankreich, den Deutschen Bund, Liechtenstein, Österreich und Italien grenzend.
AlpenHöchstes, bis über 4800 Meter hohes Gebirge zwischen Mittel- und Südeuropa, das sich über 1200 Kilometer hinweg in einem weiten, zwischen 150 und 250 Kilometer breiten Bogen vom ligurischen Teil des Mittelmeeres im Westen bis in die ungarische Ebene im Osten erstreckt.
Engelberg46.8223497,8.4043996Etwa 80 Kilometer südlich von Zürich und südlich des Vierwaldstätter Sees gelegene Schweizer Gemeinde, die auf eine Benediktinerabtei zurückgeht. Das Kloster Engelberg wurde im Jahre 1120 gegründet.
Titlis46.7720386,8.4377808Etwa sechs Kilometer südöstlich von Engelberg in der Schweiz gelegener, 3238 Meter hoher Berg in den Urner Alpen.
Waldenburg50.7659054,16.2825424Etwa 75 Kilometer südwestlich von Breslau am Rande des Riesengebirges gelegene, sich rasche entwickelnde Handels- und Industriestadt im Landkreis Waldenburg.
Kudowa50.445785650000005,16.25414734199097Etwa 120 Kilometer südwestlich von Breslau gelegenes Kur- und Heilbad in Niederschlesien nahe der böhmischen Grenze.
BöhmenDas alte Königreich Böhmen wurde im Jahre 1804 Teil des Kaiserreiches Österreich.
Tirol (Tyrol)Inmitten der Alpen im westlichen Österreich und an der Nordgrenze Italiens gelegene Landschaft, vom Inn als größtem Fluß durchflossen. Der Paß über den 1370 Meter hohen Brenner gehört zu den wichtigsten Alpenübergängen, der auch die Hauptorte Innsbruck im Norden und Bozen im Süden miteinander verbindet.
Duncker &HumblotEine mit ihrer Berliner Gründung ins Jahr 1798 zurückgehende Verlagsbuchhandlung, die im Jahre 1809 von den befreundeten Buchhändlern Karl Friedrich Wilhelm Duncker (1781-1869) und Peter Humblot (1779-1828) gekauft wurde. Ihre Nachfolger wurden Friedrich Wilhelm Carl Geibel (1806-1884) und sein Sohn Carl Stephan Franz Geibel (1842-1910), die den Verlag und die Buchhandlung Duncker & Humblot im Jahre 1866 von Berlin nach Leipzig verlegten. Die Firma wurde zu einem der großen, noch heute bestehenden Wissenschaftsverlage im deutschsprachigen Raum. Der Historiker Leopold Ranke (1795-1886) publizierte ab 1827 ausschließlich in diesem Verlag, in dem auch die erste Gesamtausgabe der Werke des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) in 19, teilweise aus mehreren Teilen bestehenden Bänden erschien: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Berlin, Leipzig 1832-1887.
Königliche Bibliothek (Berlin)Der preußische König Friedrich II., der Große (1812-1786), ließ in den Jahren von 1775 bis 1780 am Platz gegenüber von St.-Hedwigs-Kathedrale, Königlichem Opernhaus und Königlichem Palais in Berlin das erste nur zur Aufbewahrung von Büchern bestimmte Bibliotheksgebäude errichten, in dem die umfangreiche Literatur auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte.
ProbebibelIm Jahre 1883 hatten sich aus Anlaß des 400. Geburtstages des Reformators und Bibelübersetzers Martin Luther (1483-1546) die deutschen Bibelgesellschaften in Halle in ihrem Bemühen um eine Revision der Luther-Bibel auf folgende Fassung verständigt: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der Übersetzung D. Martin Luthers. Erster Abdruck der im Auftrage der Eisenacher deutschen evangelischen Kirchenkonferenz revidierten Bibel. (Sogenannte Probebibel.), Halle an der Saale 1883.
OberkirchenratGeschäftsführende oberste Institution zur Verwaltung der Landeskirche.
Cansteinische BibelanstaltIm Jahre 1710 in Halle an der Saale von Carl Hildebrand Canstein (1667-1719) im Zusammenwirken mit dem Pietisten August Hermann Francke (1663-1727) gegründete älteste Bibelgesellschaft der Welt, die es sich zur Aufgabe machte, die Bibel auch in den ärmeren Schichten der Bevölkerung zu einem niedrigen Preis zu verbreiten. Von einem „stehenden Satz“ aus konnten viele Auflagen preisgünstig gedruckt werden.