Berlin – Dienstags
29/8 1826
Meine lieben
Frau und Kinder!
Wo soll ich anfangen wo enden, so voll des vielen Stoffes! Zu allererst, das Vergnügliche in Deinem Brieff, liebe Mutter, über Dein längeres Bleiben unter den Deinen; in diesem Vergnüglichen ist nichts mehr von dem Frankfurter Umwege gesagt, wohin Du die Einladung zuerst nicht angelegentlich nahmst, aber dann doch im Nächsten ernsthaft daran zu denken schienst – so daß mich, bey weiterer Vorstellung, alles zusammengenommen – Dein Abhetzen und Jagen – der Zusammenhang der sich ergab, und den abzuschneiden noch mehr unrecht gewesen wäre, als der Umweg selbst – die für die Jungen unverantwortlich verlängerte Abwesenheit – alles so wurmte, wie Du aus meinem letzten Brief vom Sonnabend wirst ersehen haben. – Daß ich mit Vergnügen die freundliche Aufnahme des wenigen, was ich gesagt, von der liebreitzenden Frau Tante Rosenhayn, von dem besten, liebreichsten aller Großonkel – ferner die Freude über die Ankunft Deines Bruders Wilhelm, von dem Du zugleich itzt erst entdeckst, daß er dem Herrn von Finke ähnlich, und zugleich gestehst, wie sehr Dir dieser gefallen, bereits ehe Du von jener Ähnlichkeit etwas ahndetest – ferner die Liebe Deiner Frau Mutter und aller sonstigen Verwandten – die Freund- | lichkeit, die die Jungen erfahren, und deren und euer Wohlleben insgesamt, – nur kurz erwähne – daran ist Schuld, daß ich noch von mir so viel zu erzählen habe – und zwar obwohl auf Gerathewohl. – Den Deinen vom Freytag erhalte ich heute Dienstags – so kann dieser Brief doch vor Sonnabend nicht bey euch in Nürnberg ankommen – ich wünschte allerdings, daß er Dich entweder dort anträffe, – lieber – als Dir nach Frankfurt etwa nachgeschickt werden müßte – wieder Dir hieher zurükgeschikt – so habe ich doch auch schreiben wollen, was ich zu schreiben habe – also es ist eigentlich auf Gerathewohl daß es nach Nürnberg ist daß ich diß schreibe. –
Es ist von meinem Geburtstag also, daß ich zu erzählen habe – Euer, hier gegenwärtig gemachtes Angedenken, das Frau Aimée hinterrücks – recht hübsch vorbereitet – wie die Schreiben der Jungen hat mich recht herzlich erfreut, und ich habe euch im Bilde der Seele rechtinnig dabey gegrüßt und geküßt. So sehr Frau Aimée früh aufgestanden und das Eurige zum ersten mir ist vor Augen zu bringen bedacht gewesen, so war sie doch nicht früh genug aufgestanden. Denn wir hatten diesen meinen Geburtstag bereits von seinem ersten Ursprunge an, Mitternachts um 12 Uhr, zu celebriren begonnen gehabt. Bey Herrn Bloch war ich bei einem Whist, das sehr verzö- | gert, und bey einem ebenso verlängerten Nachtessen, das Anpfeiffen des 27ten durch den Nachtwächter, herbeyführte – welches durch das Klingen der Gläser erwidert und überboten worden – Deine Gesundheit hat vorzüglich von mir und allen, – Zelters waren dabey – insbesondere aber von Rösel – herzlich mit darein geklungen –
Morgens aber unterschiedene Gratulanten, liebe, treue Seelen und Freunde, ausser mehreren Briefen mit Gedichten – dann eine Geschäftsconferenz, während welcher eine Visite sich bey mir einfand, – wer meynst Du? – Seine. Excellenz Herr Geheimer Rath von Kamptz selbst in eigner Person – Mittag habe mich still gehalten, und nur mit Euch zu der gesetzten Zeit – innigst angestossen und angetrunken – mich für den Abend sparend. Denn da hat mir grosse Ehre, Freude und Liebesbeweise bevorgestanden – In einem neuen Lokal – unter den Linden – das zum erstenmal eingeweyht wurde – grosses Souper – so ausführlich, daß es verdient hätte, Dir beschrieben zu werden – wie das vollständigste exquisiteste Diner – Förster der Ordner, Gans, Hülsen, Hotho, Rösel, Zelter und so fort, etwa 20 Personen – Dann trat eine Deputation von Studenten ein, überreichte mir einen köstlichen Becher von Silber – wie der Silberkaufmann hörte, daß er für mich sey, hat er auch das Seinige beygetragen, da er ein Zuhörer von mir gewesen. – auf einem Sammtkissen, nebst einer Anzahl gebundner Gedichte – noch viele andere wurden mündlich vorgetragen – Auch Rösels seynes, der mir am Morgen dasselbe mit einem antiken Geschenke bereits zugeschikt – kurz sodaß es Mühe hatte – sie vor Mitternacht zu Ende zu bringen – Daß die Studenten Musik und Tusch mitgebracht, versteht sich so – Die Gesellschaft behielt sie gleichsam beym Essen | Unter der Gesellschaft der Gäste befand sich einer, den ich nicht kannte – es war Professor Wichmann – es wurde mir eröffnet, daß ihm meine – die viel besprochene – zu der Rauch nicht kommen konnte – Büste übertragen worden – Die nächste Woche – die lauffende habe ich noch zu lesen – werde ich ihm sitzen – Der Frau Schwiegermutter werde ich ein Exemplar seiner Zeit zu überschicken die Ehre haben – Willt Du sie überraschen, so sag ihr nichts davon – auch ich hätt‘ Dich damit überraschen können, doch Du weißt, ich für mich liebe die Überraschungen nicht – und ich hatte Dir die Liebe und Ehre zu erzählen, die mir an meinem Geburtstag widerfahren (– eine Blumen-Vase von Krystall von Herrn von Hülsen nicht zu vergessen –) So verknüpften wir dann um Mitternacht meinen mit Göthes Geburtstag, dem 28ten –
Gestern habe ich bis 11 Uhr geschlaffen und mich etwas restaurirt nicht sowohl von den körperlichen Fatiguen – als von den tieffen Rührungen meines Gemüths – (und noch beym Aufstehen erhielt ich ein zweites Gedicht – einen Morgengruß – von D. Stiegliz.) Du kannst nicht glauben, welche herzlichen, tiefgefühlten Bezeugungen des Zutrauens, der Liebe – und der Achtung ich von den lieben Freunden – gereiften und jüngeren – erfahren – es ist ein – für die vielen Mühen des Lebens – belohnender Tag.
Jetzt habe ich abzuwehren, daß des Guten nicht zu viel geschieht; dem Publicum sieht das anders aus, wenn im Freundschafts-Kreise auch der Mund zu voll genommen werden konnte. – Ein bereits gedrucktes will ich aber beilegen! –
Nun lebt herzlich wohl, wo euch auch dieser Brieff treffe.
Euer getreuer
Mann und Vater
Hegel.
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Briefe von und an Hegel
, hg. von Johannes
Hoffmeister
. Vier Bde. Bd. III. 1823-1831, hg. von
dems.
(= Philosophische Bibliothek, Bd. 237), Hamburg ³1969.
Briefe von und an Hegel
Bd. III.
1969
Hegel
, Karl: Briefe von und an Hegel, 2 Bde. (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden und Verewigten, Bde. 19.1/19.2), Leipzig 1887.
Hegel
, Briefe von und an Hegel
1887
Rosenhayn, Eleonora Karolina, geb. Haller
-17771852Rosenhayn, Eleonora Karolina, geb. Haller (1777–1852), Tochter Johann Sigmund Hallers (1723–1805), Schwester u. a. von Susanna Maria Tucher, geb. Haller (1769–1832), der Schwiegermutter des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), und Johann Georgs XXII. Haller (1786–1854), Ehefrau des österreichischen Generalmajors Gustav Ludwig Moritz Rosenhayn († 1823).
Finke, N. N.-Finke, N. N., Antiquar in Berlin.
Bloch, August Friedrich1355495661780/811866Bloch, August Friedrich (1780/81–1866), aus dem nordböhmischen Teplitz stammender Kaufmann, der 1819 Agent des Preußischen Schatzministeriums, dann der Preußischen Schuldenverwaltung und der Seehandlungsgesellschaft wurde. Von 1848 bis 1854 war er Präsident der Preußischen Seehandlung und bahnte der Preußischen Staatsbank den Weg.
Zelter, Karl Friedrich11863642117581832Zelter, Karl Friedrich (1758–1832), Musiker, Musikpädagoge, Komponist, enger Freund Johann Wolfgang Goethes (1749–1832), hinterließ ein umfangreiches musikalisches Werk, prägte das Berliner Musikleben seiner Zeit durch Schaffung wichtiger Institutionen wie 1825/27 der Sing-Akademie.
Zelter, Karl Friedrich11863642117581832Zelter, Karl Friedrich (1758–1832), Musiker, Musikpädagoge, Komponist, enger Freund Johann Wolfgang Goethes (1749–1832), hinterließ ein umfangreiches musikalisches Werk, prägte das Berliner Musikleben seiner Zeit durch Schaffung wichtiger Institutionen wie 1825/27 der Sing-Akademie.
Rösel, Johann Gottlob Samuel11536232017681843Rösel, Johann Gottlob Samuel (1768–1843), aus Breslau stammender Landschaftsmaler und Professor an der Berliner Akademie der Künste.
Kamptz, Karl Albert Christoph Heinrich 11619509617691849Kamptz, Karl Albert Christoph Heinrich (1769–1849), in Schwerin geborener Jurist, der nach seinem Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Bützow und Göttingen sowie langer Berufstätigkeit in Justiz und staatlicher Verwaltung von 1830/32 bis 1842 preußischer Justizminister war.
Gans, EduardEduard Gans11868947917971839Gans, Eduard (1797–1839), Jurist und Rechtsphilosoph, wurde 1826 außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin.
Hotho, Heinrich GustavHeinrich Gustav Hotho11915495118021873Hotho, Heinrich Gustav (1802–1873), in Berlin geborener hugenottischer Fabrikantensohn, Kunsthistoriker und Philosoph, der von 1821 bis 1824 an den Universitäten Berlin und Breslau studierte und sich 1827 in Berlin habilitierte. Zunächst Privatdozent, wurde er 1828 außerordentlicher Professor der Kunstgeschichte an der Berliner Universität, 1832 Mitarbeiter in der Gemäldegalerie und 1859 Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts.
Wichmann, Ludwig Wilhelm11757503817881859Wichmann, Ludwig Wilhelm (1788–1859), in Potsdam geborener Bildhauer, der bei Johann Gottfried Schadow (1764–1850) in die Lehre ging.
Rauch, Christian Daniel11874921817771857Rauch, Christian Daniel (1777–1857), im waldeckschen Arolsen geborener Bildhauer, der als einer der bedeutendsten Vertreter des Klassizismus zum Begründer der Berliner Bildhauerschule wurde und ein großes Werk von Denkmälern, Büsten, Grabmälern, Statuen und Standbildern berühmter deutscher und preußischer Persönlichkeiten hinterlassen hat.
Goethe (Göthe), Johann WolfgangJohann Wolfgang Goethe11854023817491832Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832), auch Göthe, deutscher Dichter.
Stieglitz, Heinrich Wilhelm AugustHeinrich Stieglitzhttps://www.deutsche-biographie.de/sfz81412.html#adbcontent119396289 11939628918011849Stieglitz, Heinrich Wilhelm August (1801–1849), im waldeckschen Arolsen geborener Kaufmannssohn, deutscher Philologe und Dichter, der nach Studien in Göttingen, Leipzig und Berlin Lehrer, Bibliothekar und Privatgelehrter wurde. Nach dem Selbstmord seiner Frau Charlotte Stieglitz, geb. Willhöfft (1806–1834), lebte er weitgehend mittellos bis zu seinem Lebensende in Venedig.
Frankfurt (Main)50.1106444,8.6820917Ehemalige Reichsstadt am Main, oftmaliger Wahl- und Krönungsort der Könige des Heiligen Römischen Reiches sowie Freie Stadt innerhalb des Deutschen Bundes, dessen Bundestag sich dort versammelte. Die Frankfurter Paulskirche war von Mai 1848 bis Mai 1849 der Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung, die die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 erarbeitete. Seit dem Mittelalter war es eine bedeutende Messestadt und ein Finanzplatz mit Wertpapierbörse für den Handel mit Staatsanleihen und Aktien.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
WhistIm 17. Jahrhundert in England entstandenes Kartenspiel für vier Personen, aus dem sich das Bridge-Spiel entwickelte.
Unter den Linden (Berlin)Mehr als einen Kilometer lange repräsentative Allee in der preußischen Hauptstadt, die sich mit zahlreichen Repräsentationsbauten von der östlichen Schloßbrücke bis zum Brandenburger Tor im Westen erstreckt.