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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 9. März 1879

Lieber Bruder!

Das Semester geht zu Ende; morgen werde ich meine Vorlesungen schließen und dann wieder mehr freie Zeit für meine Arbeiten gewinnen. Ich stecke jetzt in der Mainzer Geschichte1 und habe mir dazu einen Hülfsarbeiter genommen, Dr. Pöhlmann aus Nürnberg, einen tüchtig geschulten und in den Staatsprüfungen gut bestandenen jungen Historiker, der sich nun auch in der letzte Woche als Privatdocent der Geschichte bei uns habilitirt hat. Dazu bringt die historische Literatur fast täglich neue Producte, in akademischen Schriften und größeren Werken, von denen ich Kenntniß nehmen muß. Gestern erhielt ich Treitschke’s deutsche Geschichte2 und Weizsäckers Mainzer Bund (von 1254)3 rein kritisch, erstere voll Pathos mit wenig Neuem, so viel ich bisher gesehen. Wichtiger ist Oncken, Oesterreich und Preußen4, wovon ich vor einigen Tagen den Schluß erhielt, die Diplomatie beider Staaten aus den eröffneten beiderseitigen Archiven aufgehellt – außerordentlich viel Neues und Interessantes! Weit mehr als in Hardenbergs Denkwürdigkeiten5.

Über mein Befinden habe ich nicht zu klagen; es ist so gut, als es bei meinen Jahren und nicht besonders kräftiger Constitution sein kann. Meine Kinder im Hause sind wohl. Ich habe die beiden Töchter einige mal in größere Gesellschaften zu Unterhaltung und Tanz geführt. Auf einem maskirten Ball in der Harmonie war Sophiechen bei einer Quadrille von je zwei Paaren als Schornsteinfegern und zwei als Müllern; sie selbst eine Müllerin, ganz in weiß. Wie oft denke ich, welche Freude meine Susanna jetzt an diesem Töchterlein haben könnte! Und überhaupt an dem Stande unseres Hauswesens, frei von Unruhe und Aufregung, wie wir sie sonst so viel hatten!

Georg wird Ende des Monats die Kriegsschule verlassen und hofft dann in wenigen Wochen sein Lieutenantspatent zu erhalten. Das ist auch mehr, als wir noch vor einigen Jahren zu hoffen wagten. Er versichert, daß er für seine bisherigen Arbeiten das Zeugnis „gut“ erhalten habe, und rechnet auf dasselbe auch bei der letzten Prüfung. Nach dieser wird er mit Urlaub zu uns kommen und dann, vorläufig wenigstens, wieder bei seinem Bataillon eintreten, welches unterdeß nach Germersheim versetzt worden ist.

Meine Tochter Luise Lommel ist häufig nervös angegriffen und bedarf noch einer neuen Stärkung und längeren Erholung nach ihren vielen und raschen Wochenbetten. Ihre Kinder gedeihen vortrefflich. Vor kurzem besuchte sie auf einige Tage ihre Schwester Anna in München und sah auch die dortigen Verwandten, Caroline Brockdorf, Tante Thekla und Wilhelmine Harsdorf. Unsere Anna gedenkt mit Mann und Kind noch in diesem Monat die Reise zu den Eltern Klein in Düsseldorf auszuführen, die sie im vorigen Herbst aufgeben mußte. Wenn nur der kleine Otto nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht, der alle Augenblicke eine Halsaffection mit Husten und Fieber bekommt und seine Mutter dadurch in die größte Aufregung und Angst versetzt!

Von der Feldmühle weiß ich nichts zu sagen, von den Nürnbergern auch nur wenig. Wir kommen selten hinüber, sie gar nicht zu uns. Luise Löffelholz geht es wieder gut. Lina war immer wohl – bei ihr war ich einige mal.

Ihr Bruder Hans will seine Brauerei und den Wohnsitz zu Artelshofen aufgeben und nach dem schönen Henfenfeld, das bisher leer stand, ziehen – ohne Beruf und andere Beschäftigung als die Kinder und den Garten zu behüten! wie einst sein guter Vater, auch er eine gute Seele.

Zum 17. April bin ich nach Berlin geladen. Wie steht es bei Dir? Hast Du den Schwager Adalbert im Hause? Grüße ihn sogleich von mir, vielleicht treffe ich ihn noch. Was macht Dein Schwiegersohn? Wie störend und bedenklich ist doch sein Ohrenleiden! Doch ich sollte vor allem nach der lieben Clara fragen und that es nur nicht zuerst, weil ich annehme, daß es ihr gut geht. Kommt nicht Dein Willi zu Ostern?

Mit besonderem Interesse, auch Deinetwegen, habe ich den ausführlichen Bericht über Büchsels Jubelfeier in der Kreuzzeitung gelesen; wie erfreulich, daß sie in Freude und ohne jede Störung stattgefunden hat!

Eine Verehrerin von Büchsel, Frau von Nostiz-Wallwitz Exccellenz, Gemahlin des sächsischen Gesandten in Berlin, ist jetzt hier wegen Magenleidens in Behandlung bei unserem Kliniker Leube in unserem Krankenhause; sie ist Dir einmal von Büchsel bei flüchtiger Begegnung vorgestellt worden und sie nahm daraus Veranlassung mich zu begrüßen; ich fand in ihr eine sehr angenehme und feine Frau; sie wird vor Ende des Monats, wie es scheint wesentlich in ihrem Befinden gebessert, nach Berlin zurückkehren.

Ich grüße von Herzen Deine liebe Clara und die Kinder.

Dein Bruder Karl.