Deinen freundlichen Geburtstagsbrief1 will ich noch rasch aus Magdeburg beantworten, weil die ersten Tage in Berlin mir dazu keine Zeit lassen möchten. Du wirst verwundert sein, daß ich noch den Oktober hier erlebt habe, da ich schon zum 1sten September nach Berlin versetzt bin. Du kannst Dir die Pein, die ich überstanden und meine jetzige Erlösungsfreude vorstellen. Mein Hierbleiben entstand durch die verzögerte Ernennung meines Nachfolgers in der Zensur und beim Ober-Präsidium; erstere hat mir nun vor 8 Tagen ein Prorektor Professor Hennige (ein kluger gestandener Mann) abgenommen, und ein Herr von Roeder wird aus Koenigsberg zu meinem Ersatz beim Ober-Präsidium erwartet. Herr von Wedell konnte und wollte mich nicht früher entlassen, weil er bis vor wenigen Tagen fast immer, wegen einer Rundreise in der Provinz, seines Umzugs und des großen …einens in Merseburg abwesend sein mußte. – Ich stehe nun am Abschluß einer bedeutenden Vergangenheit und am Anfang der hoffnungsvollsten Zukunft, und dieser Abschnitt trifft merkwürdig mit meinem 30sten Geburtstag2 zusammen. Mein Herz ist weh und bewegt von dem Ernst dieses Uebergangs.
Mir ist es eigen, daß ich mich viel weniger mit den Hoffnungen der Zukunft beschäftige und mehr in einer dankbaren Erinnerung des Vergangenen lebe. Bei diesem Jahreswechsel aber muß ich von dieser Gewohnheit und Neigung abweichen. Wenn ich auch mit Dank und Genugthuung auf die merkwürdigen zwei Jahre, die ich hier verlebt habe, zurückblicke und fast erstaunt bin, über die steigende Entwicklung, sowohl in meinen amtlichen, als in meinen menschlichen Verhältnissen, und wenn sich mir auch tief das schmerzliche Gefühl der Vergänglichkeit aller Lebensperioden mit dem Gedanken aufdrängt, daß nun auch dieser Lebensabschnitt vorüber und vorbei ist und keine Macht ihn zurückbringen kann, so streben doch alle meine Gefühle erwartungsvoll der nächsten Zukunft entgegen und beschäftigen sich mit banger Freude mit dem Glück, das sie mir bringen soll. Kein Glück, von allen den glücklichen Umständen, die mein Leben bisher begleitet haben, hat in der Weise, wie dieses, eine fromme Demuth in mir erweckt, das Geständniß, daß es nicht mein Verdienst und mein Werk ist, daß ich nur einer gütigen Vorsehung zu danken habe, welche mir ebenso diese Güter trüben und rauben kann. Mein Herz durchschwingt nur ein Gebet, daß Gott es mir erhalten möge, und nur ein Wunsch und Bitten, mich dessen nach meinen Kräften würdig zu machen. Ich fühle mich dabei so schwach, so verletzbar von einer höhern Macht, der ich unterworfen bin, wenn ich deshalb auch nicht verzage und mir nicht der Muth mangelt, alle Prüfungen standhaft auf mich zu nehmen. – Wie mir das Leben so vergänglich erscheint, fühle ich tief das Bedürfniß, die ewigen Güter, die es uns bringt, recht fest zu erhalten, und zu diesen gehören vor Allem die Freuden der Liebe, die uns geschenkt worden sind. Darum lasse uns, lieber Bruder, auch ferner dieses Leben recht fest zusammenhalten; ich habe das Gefühl, daß meine Verbindung mit Friederike, da ich nun einen festen Hausstand begründe, und mein vagabundirendes egoistisches Leben aufgebe, mich auch mit Dir noch fester verknüpfen werde. Mir soll es die höchste Freude sein, wenn mein häusliches Leben auch einen Beitrag zu Deinem Lebensglück giebt, wenn es Dir bei uns recht wohl sein wird. – Ebenso habe ich keinen innigeren Wunsch, als daß auch Dir dieses häusliche Glück bereitet werde; der Himmel wird Dir die Deinige auch schon zur Zeit zuführen und sie wird mir dann ebenso eine liebe Schwester sein, wie Dir jetzt meine liebe Friederike. Zweifle nicht an der Liebesfähigkeit Deines Herzens: ich habe auch geglaubt, daß ich nicht mehr lieben könnte und nun habe ichs auch erfahren, wenn auch nicht wie ein Brausekopf, denn es ist eine ernste Liebe. –
Morgen Vormittag fahre ich nach Berlin, um nun wieder meine Friederike zu umarmen. Zuletzt sah ich sie, als ich zum 5ten September, ihrem Geburtstage dort war; ich habe ihr eine goldene Uhr mit Kette zum Brautgeschenk gemacht. Der Vater ist gestern Vormittag glücklich in Berlin angekommen; Mutter Flottwell ist auf dem besten Wege der Besserung. Unsere theure Mutter war dort wieder ein treuer Beistand, sie wohnte an 14 Tagen bei Flottwells; dadurch ist sie noch viel näher allen Gliedern dieser Familie getreten und wird von Allen auf den Händen getragen, geliebt und verehrt. Sie soll sich recht bekräftigt haben. –
Gervinus und Frau besuchte ich am 4ten September und hatte eine recht herzliche Freude, sie zu sehen: er ist recht stark und behaglich geworden, war sehr freundlich und sorglich gegen mich; ebenso die kleine gemüthliche Frau; sie hat sich auch sehr accordirt. – So kurz wir uns auch sprachen, verstanden wir uns recht bald, bedauerten aber gegenseitig, uns nur so flüchtig sehen zu können. – Von Berlin werde ich Dir schreiben, sobald ich etwas zur Ruhe gekommen sein werde; es giebt jetzt viel zu sehen und mit Friederike muß ich nun viel Besuche machen. – Grüße die Freunde herzlich – und behalte lieb Deinen treuen Bruder Immanuel.