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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 22. September 1879

Lieber Manuel!

Als Geburtstagsgratulant finde ich mich, wie nun schon seit langen Jahren, auch diesmal wieder ein.1 Dein letzter Brief2 vom 2. dieses Monats läßt mich hoffen, daß Du und Clara noch fortdauernd durch die Nachwirkung der Kur in Ems und der sich daran knüpfenden schönen Rheinreise erfrischt sind, und ich kann Dir nur wünschen, daß solche auch weiterhin für den Herbst sich nachhaltig erweisen möge. Ich enthalte mich aller Betrachtungen, zu welchen unser zunehmendes Alter Veranlassung genug gibt; wir beide können von Glück sagen und haben Gott zu danken, daß wir von eigentlichen Altersbeschwerden bisher nur wenig zu leiden hatten. Es kann aber wohl schlimmer kommen!

Eure Rheinreise habe ich mit vielem Antheil begleitet, da meine Erinnerungen an die berührten Punkte von Ems bis Cöln noch sehr frisch sind. Wie erfreulich war dann auch Euer Besuch in Paderborn bei dem wackeren Willi! Es scheint ja nun, daß er nicht lange mehr dort bleiben wird; man ist des Culturkampfs müde, die Bischöfe kehren ungebessert zurück!

Am 2. September, an welchem Tage Du schriebst, kam ich mit Sophiechen nach Erlangen zurück. Das Wetter wurde erst von diesem Sedanstage an constant schön und ist so bis gestern, zum theil sogar sommerlich heiß, geblieben. Wir verließen Rippoldsau am 30. August morgens, sehr befriedigt von dem angenehmen Ort und Umgang, und fuhren auf der interessanten Schwarzwaldbahn, mit Aufenthalt von einigen Mittagsstunden in Tryberg, wo die Wasserfälle zu sehen waren, bis Neuhausen bei Schaffhausen, wo wir uns in einem prachtvollen Gasthof, Schweizerhof, gerade gegenüber dem Rheinfall einlogirten; wir sahen diesen im schönsten Glanz bei Vollmondschein und am folgenden Morgen von der Sonne silberhell beleuchtet mit einem Regenbogen auf der unteren Wasserfläche, die wir von oben her auf dem 3 betrachteten.4

Nachmittags waren wir einige Stunden in Stadt Schaffhausen und besichtigten diese, zusammen mit Privatier Holberg, Stadtverordneten in Stettin, nebst Schwester und Tochter, kamen dann in einer Stunde nach Constanz, wo wir in dem Inselhotel übernachteten, welches die ehemalige Dominikanerkirche und Kloster ist, wo Huß in einem dunklen Thurm eingesperrt lag und dem katholischen Kirchenthum, welches heute immer noch dasselbe ist, zum Opfer fiel. Dafür ist das Kloster nun ein Gasthof und seine Kirche der Speisesaal! Seine Lage ist schön am See. Wir besuchten auch den Conciliumssaal und den Dom. Auf den Gemälden des ersteren kann man sehen, wie das protestantische Constanz und der Dom durch die Spanier wieder katholisch gemacht wurden!5 Und das ist so seitdem geblieben.

Die folgende Nacht brachten wir in der guten protestantischen Reichsstadt Ulm zu. Da ist alles gut bürgerlich und einfach. Im Gasthof zum Kronprinzen saßen wir abends mit dem commandirenden General von Schachtmeyer und anderer Generalität zusammen an derselben Tafel. Es war gerade Inspection der Brigade. Am folgenden Morgen wurde die letzte Sedansfeier durch einen fröhlichen Kinder- aufzug mit Musikcorps abgehalten; zuerst die schön geputzten Mädchen bis zu den Backfischen hinauf, dann die Knaben bis zu den Gymnasiasten, fast alle mit deutschen Fahnen in der Hand – so zogen sie in unabsehbarer Reihe durch die Stadt in das große Münster. Dieses im Inneren ganz wiederhergestellt, sieht auch seiner äußeren Vollendung entgegen. Von den beiden Hinterthürmen ist der eine fertig, der andere nicht weit davon. Dann soll der Hauptthurm in Angriff genommen werden. In Nürnberg sahen wir am Abend noch die Überbleibsel der großen dreitägigen Sedansfeier im Schmuck der Fahnen und Kränze; das Volk war auf dem Maxfeld.

Georg ist seit einer Woche von dem 4 wöchentlichen Manöver zurück, welches ihn bis an die Grenze von Meiningen an der fränkischen Saale führte, und weiß manches Hübsche von seinen Thaten, von guten und schlechten Quartieren zu erzählen. Mundel ist erst diese Nacht von Simmelsdorf zurückgekommen, wo er 5 Wochen lang bei Vetter Theodor und Frau Josephine sehr gut aufgenommen war; dieser Besuch war schon im vorigen Jahr beabsichtigt, wurde aber damals durch Mundels Ferienkrankheit verhindert. Bei Lommels hier in Erlangen und bei Kleins in Ebenhausen geht es gut.

Ich selbst bleibe nur noch diese Woche hier, da ich Ende September zu den Prüfungen und am 2. October zur Historischen Commission in München sein muß6; die ersteren werden mich wohl den größten Theil des Monats October festhalten.7

In vergangener Woche war ich mit Waitz u. a. in Nürnberg bei der Conferenz des Verwalthungsraths im Germanischen Museum zusammen. –

Mit herzlichen Grüßen an Clara
Dein Bruder Karl.