Erlangen 22. September 1872
Lieber Manuel!
Ich sende Dir unsere innigen Glückwünsche zu Deinem Geburtstagsfest, welches diesmal dadurch besonders bedeutungsvoll erscheint, daß es dem glücklichen Hochzeitsfest Deiner lieben Tochter nur um eine kurze Frist vorausgeht. Das eine von diesen beiden Festen läßt den Blick auf eine inhaltsvolle Vergangenheit, das andere ihn auf eine verheißungsvolle Zukunft richten. Dort ist ein bestimmtes Ziel durch viel Lebensmühe und gewissenhafte Arbeit erreicht, hier ist ein solches noch auf ungewisse Ferne, doch mit gut verbürgter Zuversicht auf Weiterkommen hinausgesetzt. Dein eigener Lebensgang mag dem folgenden zum anspornenden Beispiel und Vorbild dienen, nur in anderer Mischung, sich wiederholen. |
Zu dem Hochzeitsfest ist unser Kommen bereits angekündigt. Wenn es Euch so recht ist, wollen wir den Termin der Ankunft auf Dienstag, 1. October, Abends 8 ½ Uhr festsetzen. Früher als Montag Früh oder Mittag können wir von hier nicht fort. Am Sonnabend vorher bringen wir unseren Georg nach Nürnberg, wo er bei Kaufmann Wilhelm, in einer Handlung mit technischen Waren, in die Lehre eintritt und bei einer anständigen Familie, deren Haupt der quiescirte Oberlieutenant
Angerer in der Lauferstraße ist, in Kost und Wohnung gegeben wird. Ich hoffe zu Gott, daß Georg im Kaufmannsstande den Beruf finden wird, der sowohl seiner Neigung als seiner Befähigung entspricht. Für jetzt zeigt er große Lust dazu, aber ich weiß nicht, wieviel dabei der Wunsch mitwirkt, bloß die Schulbank zu verlassen und nicht mehr mit Latein und Griechisch gequält zu werden.
Auf dem Wege nach Berlin gedenken wir einen halben Tag in Leipzig uns aufzuhalten, wo wir |
Mangelsdorfs und noch andere Freunde besuchen wollen. Ich erwarte natürlich nicht, selbdritt in Deiner Wohnung unterzukommen; es ist genug, wenn Ihr Anna bei Euch aufnehmen könnt; wir beiden Anderen wollen in dem nächstgelegenen Gasthaus bleiben, um nicht die ohnehin schwere Aufgabe und Sorge der Hausfrau, wie die Arbeit der Dienerschaft des Hauses, noch mehr zu erschweren. Wenn letzteres der Fall wäre, wie es denn bei unserer Einquartierung im Hause nicht anders sein könnte, so würden wir dies wie eine Art Schuld empfinden, von der wir nicht bloß Euch, sondern auch uns befreien möchten. Darum richtet es so ein, wie ich vorgeschlagen habe.
Unser junges Ehepaar ist am vergangenen Mittwoch nach einer sechswöchentlichen Hochzeitsreise glücklich wieder zurückgekehrt. Sie haben die schönsten Punkte der Schweiz besucht, sind dann über den Gotthard zu den drei Seen und nach Mailand, von dort nach Venedig, Verona und über den Brenner und München zurück gegangen. Unterdeß hat meine gute Frau ihre Wohnung vollständig eingerichtet, so daß sie das fertige Nest hier vorfanden. |
Ich selbst war drei Wochen in Kissingen, die letzte wider Willen, da ich unwohl geworden und mich erst wiederherstellen mußte. Ich fand dort angenehmen Verkehr mit Beseler und Harms aus Berlin und einigen meiner hiesigen Collegen. Der Ort ist sehr hübsch gelegen und bietet angenehme Spaziergänge auf Wald und Höhen, aber die Kur, obwohl ich sie sehr mäßig unnöthiger Weise gebrauchte, taugt nichts für mich, da ich bekanntlich mit keinem übermäßigen Fett, wie es sich bei manchen anderen Kurgästen in immensen Formen darstellte, behaftet bin.
Weiteres mag mündlicher Erzählung vorbehalten bleiben. Ich füge nur noch hinzu, daß ich am 7. October Abends in München eintreffen muß, also am 6. Abends von Berlin abzureisen gedenke.
Frau und Kinder lassen Dir gleichfalls ihre Glück- und Segenswünsche zukommen nebst unseren herzlichen Grüßen an die liebe Clara und die glückliche Braut und deren Geschwister.
In treuer Liebe
Dein Bruder Karl.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Marie (Maria), verh. BitterMarie Hegel, verh. Bitter103810830618481925Hegel, Marie (1848–1925), Tochter Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), Ehefrau des Juristen, hohen preußischen Verwaltungsbeamten, Kronsyndikus und Politikers Rudolf Bitter (1846–1914), siehe auch: Bitter, Marie.
Wilhelm, N. N.-Wilhelm, N. N., Kaufmann in Nürnberg, bei dem Georg Hegel (1856–1933) im Jahre 1872 in die Lehre geht.
Angerer, Ernst- - Angerer, Ernst (1823-1885), aus Regensburg stammender pensionierter Oberleutnant (Premier-Lieutenant), der 1849 Kriegsteilnehmer im Krieg gegen Dänemark gewesen war. Er war ab 1855 zunächst befristet pensioniert und trat nach einer Reaktivierung in den Jahren 1861-1863 endgültig in den Ruhestand.
Mangelsdorf, Edmund-18191879Mangelsdorf, Edmund (1819–1879), Ehemann von Anna Sophia Maria Mangelsdorf, geb. Tucher (1842–1935), Kaufmann in Leipzig, der in einer Leipziger Verlags- und Sortimentsbuchhandlung gelernt hat. Seine erste Ehefrau stammte aus einer alten Leipziger Buchhändlerfamilie.
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Beseler, Georg Karl ChristophGeorg Beseler11851019318091888Beseler, Georg (1809–1888), Jurist und preußischer Politiker, war in der Heidelberger Studienzeit neben Georg Gottfried Gervinus (1805–1871) einer der beiden engsten Freunde Karl Hegels (1813–1901). Er wurde ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an den Universitäten Rostock, Greifswald und Berlin.
Harms, Friedrich11870166518161880Harms, Friedrich (1816–1880), in Kiel geborener Philosoph, der sich nach einem Studium der Medizin, Naturwissenschaften und Philosophie 1842 an der Universität Kiel habilitierte, dort 1848 außerordentlicher und 1858 ordentlicher Professor wurde. Von 1867 bis 1880 war er Ordinarius für Philosophie an der Universität Berlin.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
SchweizIn Kantone eingeteilte Republik im Nordwesten der Alpen zwischen Bodensee im Nordosten und Genfer See im Südwesten, an Frankreich, den Deutschen Bund, Liechtenstein, Österreich und Italien grenzend.
Gotthard-Paß46.5589929,8.5623879Etwa 50 Kilometer südlich des Vierwaldstätter Sees gelegener, etwa 2100 Meter hoher Nord-Süd-Übergang über die Alpen vom Schweizer Kanton Uri ins Tessin.
Mailand45.4641943,9.1896346Etwa 450 Kilometer südwestlich von München gelegene Hauptstadt der Lombardei in der Po-Ebene.
Venedig45.4371908,12.3345898Im Nordosten der Apenninen-Halbinsel am Adriatischen Meer gelegen. Die Stadt wurde 1830 Freihafen und kam 1866 an das neu gegründete Königreich Italien.
Verona45.4384958,10.9924122Stadt an der Etsch und am Südufer des Gardasees im Norden der Apenninen-Halbinsel gelegen, die 1797 an Österreich und 1866 ans Königreich Italien kam.
Brenner(-Paß)47.0073993,11.5066996Etwa 40 Kilometer südlich von Innsbruck und etwa 100 Kilometer nördlich von Bozen gelegener, etwa 1400 Meter hoher Nord-Süd-Übergang über die Alpen vom nördlichen in den südlichen Teil Tirols. Im Jahre 1867 wurde als erste Eisenbahnstrecke über den Alpenhauptkamm die Brennerbahn eröffnet.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Kissingen50.1985698,10.0746833Kur- und Badeort an der Fränkischen Saale, nordwestlich der alten Reichsstadt Schweinfurt am Südhang der Rhön gelegen, seit 1814 zum Königreich Bayern gehörend.
OberlieutenantOberleutnant, Offizier mit einem Dienstgrad zwischen Leutnant und Hauptmann.