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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 22. September 1878

Lieber Manuel!

Ich bringe Dir vor allem meine brüderlichen Glückwünsche zu Deinem Geburtstage1. Ihr kurzer Inhalt ist, daß Dir das naturgemäß immer mehr beschränkte Maß der Lebensfrische und Lebensfreude mit allen dazu gehörigen inneren und äußeren Bedingungen nach seinem jetzigen Bestande unverkümmert wenigstens in den nächstkommenden Lebensjahren erhalten bleiben möge. Es scheinen mir die Aussichten dazu wohl gegeben. Du erfreust Dich einer seltenen körperlichen Rüstigkeit und hast Dir eine schöne Gottvertrauende Gemüthsruhe erworben, die Dich auch über schwere äußere Anfechtungen glücklich hinweg gehoben hat und die nicht minder schweren Aufgaben und Sorgen Deines verantwortungsvollen Amts ertragen läßt. Möge die durch den Sommeraufenthalt auswärts gewonnene Stärkung sich in Deinem Wohlbefinden noch recht lang verspüren lassen! Hoffentlich hast Du auch die Freude Deine liebe Frau und Kinder wie Kindeskinder in erwünschtem Wohlsein zu sehen oder zu wissen; wie ich auch erwarte, daß Dein Willi die lange Noth seines letzten Examens nun schon glücklich überstanden haben wird.

Dein lieber Brief aus Johannisbad vom 2. dieses Monats2 traf mich in Alexandersbad, wohin ich noch einmal von hier aus zurückgekehrt war, um mich in die Wasserheilanstalt zu begeben. Denn ich fand, daß ich nach meiner Rückkehr aus Marienbad mit Nervenabspannung und Schlaflosigkeit noch ganz auf dem alten Fleck war und wollte deßhalb den Versuch machen, ob mir vielleicht durch jene Kur geholfen werden könne. Der dortige Arzt Dr. Cordes aus Lübeck war mir von Frau Gervinus als ein sehr verständiger und liebenswürdiger Mann geschildert worden und so habe ich ihn in der That gefunden; die Mittel, die er mir verordnete, waren sehr einfach und meinem Alter angemessen, Abreibungen und Sitzbäder mit lauwarmem Wasser, Aufenthalt in guter Waldluft, Ruhe und gesellige Unterhaltung. Ich schloß mich an einen Kreis von zusagenden Persönlichkeiten an, zu denen namentlich Licentiat Dr. Smend und Frau, ein junges Ehepaar, aus Halle, der Maler Ewald aus München, Fräulein Else Mejer aus Göttingen, Tochter meines früheren Collegen und Nachbarn in Rostock gehörten. Dr. Smend stellte sich mir als Universitätsfreund von Willi von Göttingen her vor, den er grüßen läßt; leider bedurfte der junge Mann, den ich schätzen lernte, einer sehr eingreifenden Kur wegen eines schweren Hämorrhoidalleidens; er hat eine sehr feine und nette Frau gleichfalls aus Westfalen, von wo er herstammt. Ich blieb nicht länger als 2½ Wochen, da mir die Kur doch wenig zusagte und zunächst auch gar nicht gut bekam und einige neue Beschwerden zuzog3, ich auch nicht länger vom Haus entfernt bleiben wollte, und nach kurzer Frist das ist in der nächste Woche zur Conferenz im Germanischen Museum und dann zur Sitzung der historischen Commission in München und ferner zu den historischen Prüfungen4 daselbst gehen muß. Übrigens finde ich jetzt doch, daß die Kur eine gute Nachwirkung hat, denn ich schlafe hier seit einigen Tagen besser und fühle mich einigermaßen gekräftigt. Auch gab mir der Arzt gute Hoffnung, da mir eigentlich nichts fehle, nur daß die Nerven Ruhe haben müßten, wozu es der Zeit bedürfe.

Nach Hause zog mich am meisten die lange Krankheit meines guten Mundel, der wie ich Dir wohl schon schrieb, sich, vermuthlich durch eine Erkältung beim Baden einen Blasenkatarrh zugezogen hat und seit 6 Wochen im Bett liegen muß, weil diese Krankheit die größte Vorsicht erheischt, wenngleich sie ihn sonst wenig afficirt, so daß er ganz munter sich in seinem Bett mit Arbeit und Lesen unterhält. Georg war in den letzten zwei Tagen hier, die ihm in München freigegeben waren; er ist ein baumstarker Mensch geworden und sehr guter Dinge und macht sich. Auch Sophiechen ist mit Löffelholzens aus Kohlgrub zurückgekehrt und sieht sehr gut aus; sie war auch in München ein paar Tage bei Anna, welche leider die beabsichtigte Reise nach Düsseldorf mit ihrem Kinde zu Schwiegereltern und Mann nicht ausführen konnte, weil der Kleine einen heftigen Bräuneanfall bekam, der sie in große Angst versetzte. Luise erholt sich allmählich von ihrem letzten Wochenbett und wird in der nächsten Woche noch einen 3tägigen Ausflug mit ihrem Mann nach Coburg und Eisenach machen. Ich grüße die liebe Clara, Willi und Clärchen, und Deine Schwäger Adalbert und Theodor, welchem letzteren ich die Wasserkur in Alexandersbad empfehlen möchte.

In brüderlicher Liebe
Dein Karl.