Ich freue mich, Dir über das Befinden der lieben Mutter im Ganzen bessere Nachrichten mittheilen zu können. Die Besorgniß, daß der Krankheitszustand einen heftigen Prozeß nehmen und ihre Kräfte bald ganz aufreiben werde, ist in der That wider Erwarten Gott sei Dank, nicht in Erfüllung gegangen. Im Gegentheil hat sich das Fieber und der Husten gemindert und der Schlaf gebessert; namentlich war die letzte Nacht recht gut, und es bleibt jetzt wesentlich noch zu wünschen, daß auch die Verdauung und damit der Appetit sich wieder geben möchten, weil davon die Unterhaltung ihrer Kräfte bedingt ist. Es ist nicht genug zu verwundern, daß sie diesen heftigen Angriff wenigstens so weit überstanden hat; indessen können wir noch immer nicht mit Vertrauen einer dauernden Besserung entgegensehen, da ihre Hinfälligkeit immerhin sehr groß und ihre Leiden so sehr komplizirter Natur sind. Es ist jedoch schon viel gewonnen, daß ein Stillstand und ein Anfang der Besserung eingetreten ist. Bei geringerem Fieber ist auch die Aufregung und Unruhe seltener, und hat sie sehr das Bedürfnis der Ruhe, da sie auch am Tage viel schlummert.
Wir können nicht dankbar genug sein für die aufmerksame und liebevolle Pflege, welche die liebe Marie Tanner mit Unterstützung der guten Rosa der Mutter widmet. Es ist ein treffliches Mädchen bei seltener Liebenswürdigkeit; am meisten bewundere ich die Frische und ich möchte sagen die Heiterkeit der Gemüther, welche sie bei so vielem Trübsal sich bewahrt; es ist die hingebende Liebe und das volle Gottvertrauen, welches ihr dazu die Kraft und Ausdauer giebt.
Die Mutter dankt der lieben Susette herzlichst für ihren freundlichen Brief und sie hat sich sehr an ihren Mittheilungen über Eure lieben Kinderchen erfreut. – Auch aus Deinem Brief habe ich ihr Einiges vorgelesen. – In diesen Tagen kam gleichfalls ein Brief von der Tante Fritz aus Neu-Dettelsau an; dieselbe hat sich nun wirklich den festen Plan gemacht, gegen Ende Juni hierher zur Pflege der Mutter zu kommen. Ich muß gestehen, daß ich, so sehr ich ihre liebevolle und aufopfernde schwesterliche Theilnahme zu schätzen weiß, doch mit einigem Schrecken an diesen Besuch denke und ich habe es auch der Mutter nicht verhehlen können. Dieselbe stellt nun in Abrede, daß sie bei einem stillen Zusammensein mit ihr so unruhig sein werde, als wir meinten, und daß sie auch schwache Kranke wohl zu pflegen verstehe. Ich glaube aber doch, daß die Mutter sich mehr bekräftigen müßte, als ich es zu hoffen wage, um ein solches fortdauerndes Zusammensein ertragen zu können. Außerdem aber ist für die Pflege der Mutter durch Marie auf das beste und wie es nur irgend zu wünschen ist, gesorgt, und käme nun die Tante so würden sich die Pflegenden in der kleinen Wohnung auf die Füße treten, und müßte sich die Marie gänzlich überflüssig finden. Rosa hätte bei ihren schwachen Kräften …2 für eine Person mehr zu kochen und zu wirthschaften. – Nur für den Fall könnte die Anwesenheit der Tante erwünscht und nützlich erscheinen, wenn Marie durch das Loos endlich in die Brüdergemeinde aufgenommen würde und dann vielleicht noch in diesen Verein …3 nach Dorpat folgen möchte. Dies wird sich vermuthlich bald entscheiden und können wir dann auch einen bestimmten Entschluß fassen, ob wir der Tante Fritz abschreiben oder ihren Reiseplan zur Ausführung kommen lassen.
In meinem Hause sind, einen allgemein Schnupfen abgerechnet, alle wohl.
Wir freuen uns Alle recht herzlich, Dich zu Pfingsten4 bei uns zu sehen und ich habe jetzt die bestimmte Hoffnung, daß ich nicht durch neue traurige Nothwendigkeit genöthigt sein werde, Dich früher herzurufen. Gott wolle geben, daß Du dann die liebe wieder so finden mögest, daß Du Dich dises Besuchs auch erfreuen kannst.