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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Görbersdorf, 14. August 1878

Lieber Karl!

Wenn ich auch bezweifle, daß dieser Brief Dich zu Hause erreichen werde, so hoffe ich doch, daß er Dich in deutschen Landen, wo Du zur Zeit verweilen möchtest, antreffen wird. Wir befinden uns nun auch seit Sonnabend den 3ten dieses Monats hier bei unseren Kindern in einem Thale des schlesischen Gebirges an der böhmischen Grenze. Der Schmuk der Gegend sind die herrlichen Hochwaldungen von Tannen und Buchen, die dem Fürsten Pleß gehörig, trefflich gepflegt sind und nach allen Seiten hin auf die Berge zur Wanderung einladen. Wir benutzen hier wieder, wie im vorigen Jahre, mit den Kindern zusammen dieselbe bequeme Wohnung und Maria, welche die Wirthschaft führt, sorgt für gute Verpflegung. Auch das Wetter war uns bis heute im Ganzen günstig, wenn auch durch häufiges Gewitter unterbrochen, welche uns auch mehrere Male auf weiteren Wanderungen überraschten und gründlich durchnäßten. Namentlich geschah dies auf einer weiteren Tour nach dem Hornschloß, einem hohen Aussichtspunkt mit den Trümmern einer Ruine, und nach stundenlangem Marsch im stärksten Regen mußten wir uns in dem ersten erreichbaren Bauernhause völlig um- kleiden. Heute ist aber ein gründlicher Regen eingetreten, der uns den Tag über fast ganz auf das Zimmer anweist. Da fehlt es nun nicht an Lektüre, die mehr wie nöthig mitgebracht worden, und auch die Zeitungen, Kreuz- und Nationalzeitung werden durch die herrliche Einrichtung der Post täglich uns zugeführt. Sie bringen uns die überraschende Kunde von Bismarks Verhandlungen mit Nuntius Masella und daß sie vorläufig ein befriedigendes Verständniß herbeigeführt haben. Der große Mann bereitet der Welt gern Ueberraschungen; man wird es aber nicht als eine Niederlage Roms bezeichnen können, wenn sie durch eine Nuntiatur in Berlin charakterisirt werden sollte. Jedenfalls ist es hohe Zeit, dem Kulturkampf ein Ende zu machen, dem wir zum großen Theil auch das Wachsthum der Sozialdemokratie verdanken, und man ist zur Einsicht gelangt, daß die Regierung unmöglich den Kampf gegen letztere mit der Fortsetzung des ersteren gleichzeitig unternehmen kann. Nachdem aber die Anknüpfung mit Rom einmal ostensibel statt gefunden, kann sie auch nicht resultatlos wieder gebrochen werden; worin aber die Vereinbarung bestehen wird, darauf muß man wohl gespannt sein: zunächst wohl nur ein Provisorium, das zu einer Revision der Maigesetze führen soll. Ich wünsche dabei dringend, daß auch die Evangelische Kirche von diesen unnützen Fesseln befreit werden möchte. Sie geht aber doch aus dieser Zeit der Heimsuchung geschwächt und gelähmt heraus, während die katholische Kirche, wenn ihr auch im Einzelnen mancher Schaden zugefügt worden, doch im Ganzen ruhmvoll und als eine festgeschlossene Macht im Preußenlande, was sie früher nicht war, ihren Platz behauptet. – Der Reichstag wird am 9ten September sich versammeln, an welchem Tage ich auch nach Hause zurükzukehren beabsichtige. Es wird dazu sich auch mein Schwager Adalbert aus Marienwerder einstellen, der im Schlochauer Kreise als Abgeordneter gewählt worden. Es ist sehr die Frage, ob sich die Partheistellung wesentlich veränderte und namentlich die nationalliberale spalten wird. Geschieht dies und scheidet sich in dem Kampf gegen die Sozialdemokratie auch etwa die Zentrumsparthei in eine rechte und eine linke Fraktion, so kann die Regierung wohl eine Majorität zu ihrer zeitweisen Unterstützung zu Stande bringen. Ich werde dagegen nach meiner Rükkehr das Vergnügen haben, mich mit der Berliner Stadtsynode wegen Einführung der Kirchensteuer herumzustreiten.

Wohin magst Du Deinen Ausflug gerichtet haben? Freilich ist es schwer, sich zum Vergnügen einsam in der Welt umherzutreiben, und dies wirst Du schmerzlich empfinden; doch wird es auch Dir recht nöthig sein, Dich durch erfrischende Eindrücke zu erholen. Deine Kinder werden jetzt wohl das Haus bewahren, bis auf Georg, von dem hoffentlich ferner gute Nachrichten eintreffen werden.

Willi ist in fleißiger Vorbereitung zu seiner Prüfung in Berlin zurückgeblieben und hat jede Aufforderung uns hier oder in Johannisbad zu besuchen abgelehnt. Ich werde auch von ganzem Herzen froh und dankbar sein, wenn er den Rubikon glüklich überschritten1 haben wird.

Meine Frau, Klärchen und das Bittersche Ehepaar grüßen herzlich. Meine beiden Enkelkinder, Conrad und Annchen sind wohl und entwikeln sich zu Aller Freude.

Am Montag den 19ten dieses Monats denke ich uns nach Johannisbad zu übersiedeln, wo ich noch an 20 Bäder zu nehmen wünsche.

Mit den besten Wünschen
Dein Bruder
Immanuel