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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Berlin, 25. April 1840

Lieber Manuel!

Dein letzter Brief erzählte uns von Deiner Amtsreise und von den eben nicht sehr reizenden Mädchen Deiner Bekanntschaft1; dagegen hätte ich Dir mit meinen süßen Amtsferien und mit interessanten Frauen den Widerpart zu halten. Von den Ferien will ich nicht zu viel sagen, um sie nicht allzusehr zu bedauern, denn sie sind leider schon vorüber und ich finde mich in ein doppeltes Joch eingespannt, da ich statt 9 Stunden nunmehr 19 wöchentlich zu geben habe.2 Das sind lateinische, griechische, deutsche, französische, mathematische Stunden, in Quarta, Tertia und in den beiden Secunda. Das heißt doch ein ordentlicher Schulmeister sein! Und doch bin ich in diesem Sommer noch ein Vice, da der Subrector Hartung, für den ich eintrete, erst pensioniert werden muß, damit ich eine ordentliche Stelle zu 500 Taler erhalte. Für das Vicariat3 in diesem Sommer erhalte ich indessen 200 Taler, was doch für das zweite Semester des Probejahrs nicht übel ist. Vier Tage der Woche bin ich völlig bepackt und leiste Frohndienst, die drei anderen Tage Mittwoch, Sonnabend und Sonntag habe ich ziemlich für mich, da ich sie mir um der Sommerwohnung willen frei gehalten habe. Denn Du wirst wissen, daß die Mutter zu ihrer Erholung in der Nähe des Krankenhauses und Goßner‘s sich eine Art Sommerwohnung, so wie sie eben hier zu haben ist, für 50 Taler gemiethet hat. Du weißt das ehemalige Chausséehaus zwischen Schöneberg und hier, von da geht links ins Feld ein Weg nach dem Halle’schen Thor zu, auf diesem machen von der Chaussée aus ½ Dutzend Häuser den Anfang einer zukünftigen Straße, unter den letzten derselben ist ein wohnliches neues Häuschen, wo ich so glücklich war noch eine passende Wohnung mit 2 Stuben, Kammer und Küche für das wenige Geld aufzutreiben. Aussicht über’s Feld auf den Kreuzberg, frische Luft, freier Spaziergang sind Vorzüge, welche hier, im Sommer zu besitzen, schon beneidenswerth ist. Nächste Woche zieht die Mutter aus, um ihre eignen 2 Zimmer hier einem Engländer zu räumen, der für dieselben 15 Taler monatlich zahlt und 4 Monate bleibt. So läßt sich’s ohne viel Kosten machen. Ich werde eine amphibienartige Existenz, halb Stadt, halb Land, halten und in den Ferien ganz Landbewohner sein. So wird sich’s gut aushalten lassen.

Aber die interessanten Frauen, wirst Du fragen. Das ist ein weitläufiger Text, mein Freund, den ich hier sehr in’s Kurze ziehen muß. Laß Dir von der Mutter mehr von der famosen Mißtreß Fry erzählen, welche reiche, englische Quäkerin hier die ganze fromme und vornehme und diplomatische und prinzeßliche Welt in Bewegung gesetzt hat, zur Verbesserung des Zustands der Gefängnisse und zur Bildung eines weiblichen Vereins für weibliche Strafgefangene. Die Mutter hat sich vergebens davon fernhalten wollen, sie ist durch die Prinzeß Wilhelm4 in den Strudel mithinein gezogen worden und hat es kaum abwehren können, daß sie nicht zur Directiva von einer schwer von gräflichen Excellenzen gemacht wurde. Um sie da herauszuziehen ist die Sommerwohnung hoffentlich auch von Nutzen.

Wisse ferner, daß Frau Tholuk, „die kleine Räthin“ genannt, ein wirklich sehr liebenswürdiges schwäbisches Frauchen bei uns 8 Tage gewohnt hat, – ihr Mann wohnte bei Zeune. Der große Contrast des Paares im Äußeren wird durch zärtliche Liebe und innige Frömmigkeit, wie es scheint, völlig ausgeglichen. In wun- derbare Constellationen bin ich übrigens bei dieser Gelegenheit gerathen! So bei einem Mittagessen bei Göschel mit Hengstenberg und andern Consorten! Ich habe alle meine Geduld zusammennehmen müssen, um diesen finstern Zeloten5 zu ertragen. Mit Tholuk läßt sich besser verkehren, denn er ist nicht nur kein Zelot, sondern in die Philosophie weit genug eingedrungen, um von theologischer Seite seine Bedenklichkeiten gegen dieselbe zu hegen, die ich ihm ebensowenig verarge, als ich sie nicht für ganz unbegründet halten kann.

Tholuk’s und Mistress Fry sind vor einigen Tagen abgereist und damit hat sich die Ruhe im Hause wiederhergestellt. –

Jetzt noch von einigem Litterarischem. Von Rosenkranz habe ich in diesen Tagen eine Aristophanische Komödie „Das Centrum der Speculation“ betitelt6 zugeschickt erhalten, wobei er mir zugleich eine andere Schrift über Hegel versprochen hat. Du sollst Beides erhalten. In der Komödie sollen die Einseitigkeiten und der Egoismus der Hegeliter (wie sie jetzt von 7 her heißen) persiflirt werden: manches ist komisch und treffend. Da Du von unsrer litterarischen Welt entfernt lebst und Dir daher auch Anspielungen entgehen werden, so mache ich Dich auf Folgendes aufmerksam8: der Herold ist Strauß, der Methodist ist Hinrichs, der Orthodorist – Göschel, der Neologist (dieser ist am besten gezeichnet – Werke, M.9 hat eine curiose 10 gegen Dorn zur Vertheidigung der Göthischen Farbenlehre11 geschrieben –) – Michelet, Gluthbach – Feuerbach, Güldenstern – Rosenkranz selber, Franz von Abdera – Franz von Bader, Nüchterner – Beneke, Privatdocent – Keiserlingk (hat kürzlich eine jämmerliche Selbstbiographie geschrieben12).

Rosenkranz hat folgenden Vorschlag an uns kommen lassen. Du weißt, erst verlangte er ⅔ des Honorars für die Propädeutik13. Das schien ihm hernach selbst zu viel und er hat nun statt dessen für die Propädeutik und für die Biographie14, die er auf 30 Bogen berechnet, ein Pauschquantum vorgeschlagen um 200 Thaler, womit eine schon im Juni zu bezahlende Schuld für Buchhändlerrechnungen hier bezahlt werden soll. Die Biographie verspricht er bis Ostern über’s Jahr15 fertig zu machen. Obgleich das übel stimmt mit den großen Erwartungen, die er von der Biographie als einem classischen Werk, gab, so müssen wir zufrieden sein, daß Rosenkranz es doch macht, (und es würde kein Andrer machen!) und er würde es nicht besser machen, wenn er längere Zeit darüber zubrächte. Die Propädeudik wird 16 Bogen, die Biographie 30 Bogen stark.16 Das Honorar, das er verlangt, ist auffallend mäßig gegen die frühere Forderung, obgleich mit dem Risiko, daß man die Leistung zahlt, ehe sie da ist. Wir haben daher unsre Zustimmung gern gegeben, und darüber ist er zufrieden, daß die Biographie und die Propädeutik zwei Abtheilungen eines Bandes der Werke ausmachen.

Die Propädeutik ist jetzt bis zum 6ten Bogen gedruckt, die Philosophie der Geschichte17 bis zum 11ten. Soll ich Dir die Aushängebogen von der letzteren auch schicken? wenn Du Zeit hättest, sie zu lesen, so könntest Du mir Druckfehler nachweisen, die noch bemerkt werden könnten.

Max (auch Philipp) Nägele ist hier als stud. juris, hoffnungsvoller Heidelberger Privatdocent, einstweilen redseligster Heidelberger. Von unsern Freunden habe ich Dich bestens zu grüßen. Nichts Neues. Schmidt will immer. Er hat Dir geschrieben. Hotho zieht wieder mit Frau und Kind nach Schönhausen, liest nicht im Sommer, will arbeiten. Mit den Vorlesungen hat er wenig Success. Er arbeitet seine Vorlesungen über niederländische Kunst (Product der Niederländischen Reise) aus.18

Nun lebe herzlich wohl, entschuldige mein eiliges Schreiben, und antworte bald. Mit der Gesundheit der Mutter geht’s wieder nach Wunsch

Dein Bruder Karl.