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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 18. August 1846

Lieber Karl!

Ich will nicht zögern, Dir die Entscheidung mitzutheilen, welche uns jetzt am meisten beschäftigt und auf die wir mit großer Spannung gewartet haben. Die Ernennung des neuen Finanzministers ist erfolgt. Flottwells Nachfolger wird Herr von Duesberg sein, welcher als ausgezeichneter Jurist bekannt, früher Staatssekretär war und jetzt Referent beim Staatsministerium und Direktor der katholischen Kulturabtheilung ist. Als Katholik wird er der erste Minister dieser Konfession in Preußen sein. Er ist erst vor einigen Jahren geadelt, und aus Westphalen gebürtig. Sein Charakter und seine Fähigkeiten werden hoch geachtet und in seinen bisherigen Funktionen möchte er schwer zu ersetzen sein. Ob er aber in jetziger Zeit zum Finanzminister paßt, muß bedenklich erscheinen, da er in dieser Verwaltung niemals thätig gewesen ist, und noch schwerlich die Erfahrung und Kenntnisse besitzt, welche zu einem selbstständigen und gründlichen Urtheil in den schwierigen Finanz- und Handelsfragen, die uns jetzt bewegen, gehören. Die Ernennung ist erst gestern dem Vater durch die Kabinetsorder, welche ihn anweist, die Verwaltung des Finanzministeriums Duesberg mit dem 1ten September abzugeben, bekannt geworden; sie hat ihn im hohen Grade überrascht, wie sie alle Welt in Erstaunen setzen wird, da an diesen Kandidaten Niemand gedacht hat. Alle Gerüchte wegen Unterhandlungen mit Eichmann und Arnim waren ganz unbegründet. Was die Persönlichkeit des Nachfolgers betrifft, so sieht Flottwell den Duesberg lieber als alle andern, welche genannt waren, in seinem Amte folgen.

Flottwell wird etwa den 9 oder 10ten September nach Westphalen abgehen; wir besorgen dann die Verpackung und sobald diese beendigt, zieht die Familie nach; zuerst jedoch nach Merseburg zu Trinkler. Der Vater beabsichtigt auch noch im Oktober mit der Mutter und den beiden Mädchen eine Reise nach dem Rhein zu machen. Ich wünschte, daß der Abzug schon vorbei wäre, da ihm noch schwere Stunden des Abschieds vorhergehen werden; auch macht sich die Mutter alle Vorbereitungen außerordentlich schwer. Gegenwärtig sind Theodor und Trinkler zum Besuche hier und werden auch noch etwa 14 Tage hierbleiben. Dagegen ist Klara mit dem Onkel und der Tante nach Colberg ins Seebad gegangen und wird dort bis Anfang September bleiben; sie soll beide dafür entschädigen, daß die Eltern ihren Besuch in Colberg haben aufgeben müssen.

Aus Nürnberg haben wir vor einigen Tagen einen Brief von Tante Marie erhalten, worin sie mit außerordentlicher Fassung und Ergebung sich über ihren unendlichen Verlust ausspricht1; sie bewährt eine Kraft des Charakters und des Glaubens, die man verehren und bewundern muß. Es geht übrigens alles dort gut; sie befinden sich mit Einschluß der beiden neugeborenen Kinder alle ganz wohl. Ihrem Wunsch, Georgs Bild, welches Clara für unsere Mutter gemacht hat, zu besitzen, sind wir schon zuvorgekommen, indem wir eine von Clara jetzt verfertigte Kopie ihnen zugeschickt haben, welche mit großer Liebe und Sorgfalt gezeichnet, sehr gelungen ist und das Original fast an Aehnlichkeit übertrifft. Nur hat sich ein schmerzlich wehmüthiges Gefühl in den Ausdruck übertragen.

Unser Augustchen hat uns in der letzten Woche einige Sorge gemacht; sie war bei der großen Hitze von einem Durchfall heimgesucht, welcher in solcher Lebenszeit bei Kindern sehr gefährlich ist; doch scheint mit Gottes Hülfe und unter unseres Böhms Beistand das Uebel jetzt gehoben zu sein. Sie entwickelt sich täglich zusehends, fängt jetzt schon an zu lachen und zu prahlen, und nimmt stark zu an Gewicht. Sie ist wirklich ein liebliches Engelsbild. – Bei dem Glück, welches wir in dem Kinde finden, mußten wir um so mehr den Verlust mitempfinden, den die guten Afingers vor 8 Tagen erlitten habe, indem ihr Töchterchen, 9 Monate alt, an der Brechruhr, welche jetzt krassirt, gestorben ist. Beide sind von tiefem Schmerz ergriffen; wir sprachen sie gestern Nachmittag bei der Mutter, sie wollten zur Erholung eine Reise nach Nürnberg machen. –

Mit dem Befinden unserer guten Mutter geht es erwünscht; sie besucht uns fleißig und freut sich mit uns unseres Glückes.

Die Generalsynode wird nun bald schließen, indem sie sich nur noch mit Verfassungsfragen beschäftigt. Die letzten Verhandlungen und Beschlüsse über die Verpflichtungsformel, welche ziemlich ausführlich in der Leipziger allgemeinen Zeitung mitgetheilt waren, haben uns auf das lebhafteste interessirt. Ich bin meiner Ueberzeugung nach mit dem Resultat im Ganzen einverstanden. Die Orthodoxen schreien aber Zeter; Goßner hielt am letzten Sonntag eine fulminante Predigt gegen die Synode, die unsere Mutter in große Aufregung versetzte; er ging dabei von dem Irrthum aus, daß die Bekenntnisse der Kirche abgeändert und neu formuliert würden, während es sich nur um die Verpflichtung des Geistlichen und ihre disziplinarische Behandlung handelt. Es wird aber doch eine große Bewegung unter den Orthodoxen daraus hervorgehen, vielleicht sogar Trennungen der Kirche. Mündlich wollen wir das weiter besprechen. Wir erwarten Dich in den ersten Tagen des Septembers – Du wirst doch noch Flottwells hier sehen wollen. Von allen die herzlichen Grüße, auch von Trinkler, in dessen Stube ich diesen Brief schreibe; Friederike grüßt Dich tausendmal und sie ist, Gott sei Dank, recht wohl.

Dein treuer Bruder Immanuel