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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Magdeburg, 15. Mai 1843

Lieber Karl!

Ich war schon sehr beunruhigt über das Stillschweigen der Mutter und freue mich um so mehr über die guten Nachrichten, die uns der anliegende Brief1, den ich soeben empfangen habe, bringt. So werde ich also Ende dieser Woche die liebe Mutter wiedersehen. Vielleicht daß ich sie in Leipzig erreiche; jedenfalls werde ich aber einen Tag mit ihr in Halle zubringen. Ob ich sie auch nach Berlin bringe, weiß ich nicht. Ich bin mit meinen Arbeiten etwas im Gedränge, und kann in den Tagen nicht wohl mich länger entfernen, weil der Oberpräsident und Maclean nach Schulpforta zur 300jährigen Stiftungsfeier gehen.2 Maclean ist ein Zögling von Schulpforte und hofft dort, mit vielen alten Kameraden zusammenzutreffen. Der Minister Eichhorn will auch der Festlichkeit beiwohnen, welche drei Tage lang dauern wird; es werden eine Menge Reden gehalten und lateinische Verse gesungen. Wenn freundliches Wetter ist, daß die Gäste sich viel in der anmuthigen Umgegend herumtreiben können, wird es gewiß ein recht schönes und heiteres Fest werden.

Die Mutter hat auch auf ihrer Reise glückliche Tage verlebt; ich bin recht gespannt auf ihre mündliche Erzählung von den barmherzigen Schwestern3, Niethammers, Leutheim, Nürnberg etc. Am Starnberger See möchte ich wohl dabei gewesen sein; bei schönem klarem Wetter, die Landschaft im grünen Frühlingskleid, am Fuße der schneebedeckten Alpen ist es eine paradiesische Gegend. Die Mutter hat aber auch auf ihrer Reise unvergleichliches Wetter gehabt; in den letzten Tagenwar es hier zwar kalt, aber doch immer klar. – Meine Wohnung hat auch durch das Frühjahr gewonnen; indem ich aus meinen Fenstern in einen freundlichen mit Obstbäumen besetzten Garten sehe. Die Obstblüthe war hier sehr schön, doch habe ich wenig Gelegenheit gehabt, sie zu genießen. Meine Zeit ist durch verschiedenartige Geschäfte, mehrtägige Sessionen, gesellschaftlichen Verkehr sehr zerrissen und in Anspruch genommen; die Aktenmassen, die ich bei meiner Rückkehr vorfand, habe ich bald bewältigt; nun ist eben der Oberpräsident vom Landtag4 zurückgekehrt und bedenkt mich reichlich mit Arbeiten; auch mit Tagesgeschäften, z. B. Petition des Landtags wegen Oeffentlichkeit der Stadtverordnetenversammlungen. Mein Leben ist unruhig, doch bin ich beschäftigt, habe keine Zeit zum Grübeln und zur Beschaulichkeit und befinde mich, durch nichts belästigt, recht wohl. – Mein näherer Umgang beschränkt sich fast ganz auf Maclean, der mir immer achtungswerther und liebenswürdiger erscheint. Seine Frau ist noch immer in Berlin und wird erst in 8 Tagen nach der Schulpforter Festlichkeit hierher zurückkehren; ihre Mutter ist wohl auf der Besserung, aber noch immer elend. – Dein Zusammentreffen mit B.5 hat mir viel Freude gemacht; er ist ein Mann von seltener Liebenswürdigkeit durch Gemüth, Geist und Sinnigkeit; seine Frau ist nach wie vor am Kupfergraben, sehr ungenirt, lebhaft, heiter. Hothos hatten gegen sie immer ein Vorurtheil und mogten sie nicht leiden. Bei seiner letzten Reise nach Danzig, wo er bei B.6 logirte, ist Hotho aber näher mit ihr zusammengekommen, und erklärte mir später, daß er ihr Unrecht gethan und sie von einer besseren Seite kennen gelernt habe. – Wunderlich sage meinen herz- lichsten Glückwunsch; wie macht er sich denn in der Ehe, wie verträgt sich seine Frau mit seinen studiosen Gewohnheiten, ist er wieder ganz gesund?

Von Karsten wirst Du die Polnischen Certifikate mit Berechnung inzwischen erhalten haben. Deine Aufträge habe ich in Berlin, meines Wissens, alle vollständig besorgt; bei Eichhorn, Xeller, Henning; beim Antiquar Finke fragte ich nach Rankes Zeitschrift; er konnte mir noch keinen Bescheid, welche Theile er besitze, geben und wollte Dich in Rostock davon benachrichtigen. Darauf habe ich die Bestellung des fehlenden Bandes unterlassen. – In Deinem letzten Brief7 fragst Du mich, ob ich den Auftrag bei Röse ausgerichtet habe; daran kann ich mich nicht mehr erinnern; meinst Du 8 unter Röse – 9?

Wie steht es mit Deiner Aussicht auf die Bibliothekarstelle; ich habe Winke, der jetzt endlich wieder ziemlich hergestellt ist, – seine Mutter war inzwischen hier –, davon erzählt und ihn dafür auf indirekte Weise zu interessiren gesucht. –

Ein musikalischer Genuß wurde uns in dieser Zeit durch die Gebrüder Müller aus BraunschweigQuartettisten – gegeben, welche auf eine unübertreffliche Weise die herrlichen musikalischen Werke von Haydn, Mozart und Bethoven ausführen.

Empfiehl mich bei Kirulffs, Karstens, Röpers bestens. Wenn ich die Mutter gesehen, werde ich Dir sogleich schreiben.

Leb wohl
Dein
Immanuel