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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 27. März 1875

Lieber Karl!

Die Ostertage1 bringen mir endlich die Sammlung und Muße, um Deinen lieben Brief vom 26sten vorigen Monats2 beantworten zu können. Ich muß es zum Theil auch als ein Zeichen des zunehmenden Alters erkennen, daß die Geschäfte und Sorgen des Berufs in dem Maaße meine Kräfte absobiren, daß ich für Anderes, oft sehr Gewünschtes nicht Raum und Zeit gewinnen kann. Doch darf ich versichern, daß wir in dieser ganzen Zeit oft und viel Euer und des frohen hoffnungsreichen Glükes in Deinem Hause gedacht und uns daran erfreut haben. Wir beschäftigen uns auch gern mit der freudigen Aussicht, im August an der Hochzeit3 Theil zu nehmen und sind Euch sehr dankbar für die freundliche Einladung zu derselben, wie wir auch der guten Frau Heinicke für das liebreiche Anerbieten, uns in ihrem Hause zu beherbergen, den herzlichsten Dank sagen. Wenn ich auch schwer zu bewegen bin, für meine Zukunft eine feste bindende Zusage zu geben, und ich es auch nicht in diesem Falle unternehmen darf, so möget Ihr doch überzeugt sein, daß es an unserem herzlichen Wunsch, Vorsatz und Willen nicht fehlt, die Wanderung zu Eurem hohen Feste und in die alte Heimath anzutreten, und dort neben den Freuden des Wiedersehens auch einige Zeit des Ausruhens und der Erholung zu suchen. Ein Weiteres wird die Entwicklung der vielfachen Umstände, von denen ich abhänge, ergeben müssen; doch kann ich sagen, daß ich gute Hoffnung habe, Deiner brüderlichen Einladung folgen zu können.

Inzwischen bin ich selbst in der glüklichen Lage Dich zu uns einladen zu können. Aus den Zeitungen habe ich zu meiner Freude gesehen, daß Du den ehrenvollen Ruf erhalten hast, in die Kommission zur Herausgabe der Monumenta Germaniae einzutreten, und der jüngst eingetroffene Brief Deiner lieben Anna hat uns die Nachricht bestätigt, daß Du wahrscheinlich im nächsten Monat zu einer Konferenz dieser Kommission hierher kommen werdest. Da wirst Du uns ein lieber Gast meines Hauses sein, und wir werden uns über Vieles, was uns bewegt, aussprechen können: wir hoffen bald eine bestimmte Mittheilung von Dir über Dein Kommen und Verweilen zu erhalten.

Von Deinem künftigen Schwiegersohn Klein haben wir von mehreren Seiten viel Gutes erfahren, was das Vertrauen und die Achtung nur bestätigen konnte, die wir schon nach Euren Mittheilungen gewinnen mußten. Unter Anderen erzählte mir mein alter trefflicher Flender Näheres von ihm und seiner Familie. Derselbe ist ein alter Freund des Vaters, Landrentmeisters Rechnungsraths Klein in Düsseldorf, welcher als ein verdienter Beamter und wohlhabend, mit seiner ganzen Familie in allge- meiner Ansehung steht und sich in glücklichen Verhältnissen befindet. Der junge Klein hat auch hier im Flenderschen Hause verkehrt.

Nach Ostern erwarten wir hier mancherlei Besuch: meinen Schwager Adalbert und Ella, seine Ehegattin auf dem Umzug nach Marienwerder, wo er Regierungs-Präsident geworden ist; zwei seiner Kinder sind schon ausquattirt, zunächst zu ihrem Onkel, von Arnim auf Götschendorf. Adalbert kann es als eine glückliche Wendung seines Geschicks ansehen, zu einer bedeutenden Stellung in Preußen berufen zu werden, nachdem er sich drei Jahre lang vergebens bemüht hat, die wirren Zustände in Lippe-Detmold einer Lösung zuzuführen.4

Meine Marie war aus Posen auf zwei Tage zu uns zur Feier der Hochzeit der letzten ledigen Freundin Charlotte Snethlage gekommen; diese heirathete einen Landgerichtsrath Broicher zu Straßburg im Elsaß; es war ein frohes glükliches Fest, für alle Theile sehr befriedigend. Wir erfreuten uns auch insbesondere an dem Wohlbefinden und heiteren Sinne unserer Marie. Wir erwarten dieselbe nun wieder am 2ten April mit ihrem kleinen Konrad, nachdem sie ihren Hausstand in Posen aufgelöst hat. Sie wird zunächst ihr Unterkommen bei den Eltern Bitter finden und hier wahrscheinlich mehrere Wochen verweilen müssen, da Rudolf in Posen bis zum Eintritt seines noch erst zu ermittelnden Nachfolgers festgehalten wird und dann erst in Waldenburg, wo er die Verwaltung des Landrathsamtes übernehmen soll, eine Wohnung für die Familie einzurichten hat. Sie scheiden Sie scheiden5 aus sehr angenehmen Verhältnissen in Posen, welche sie in Waldenburg wohl sehr vermissen werden. Doch er ist eine unruhige strebsame Natur, welche sich gerne in neuen Verhältnissen und Thätigkeiten selbstständig versuchen will.

Du frägst nach dem Erfolg unserer Provinzialsynode; unsere Gedanken sind jetzt bereits wieder von ihr weit abgewendet und verlangen nach der Generalsynode, deren Berufung ich aber vor Oktober nicht erwarte. Der Evangelische Ober-Kirchenrath, welcher den Provinzial-Synoden mit großen Sorgen entgegen sah, ist mit dem Ausgang, besonders der Berliner sehr zufrieden und hat auch den alten Kaiser beredet, ihm für seine Umsicht und Thatkraft dabei ein öffentliches Lob zu ertheilen. Man frägt verwundert, was er eigentlich hierin positiv Nützliches gethan hat. Er hat sie nur über Gebühr beschränkt und abgekürzt, so daß sie nicht zur vollen Erfüllung ihrer Aufgaben gekommen, und ein dürftiges Bruchstück geblieben sind. Auf der hiesigen Provinzial-Synode war sein Einfluß besonders schwerwiegend und es ist hier meinen Freunden nur mit Mühe gelungen, meine Wahl zur Generalsynode durchzusetzen. Um meine Pflicht der Repräsentation zu erfüllen, gab ich eine große Abendgesellschaft, zu welcher an 80 Personen geladen waren, und doch an 70 gekommen sind, darunter auch Minister Falk, Unter-Staats-Sekretär Sydow, Ministerialdirektor Förster, Präsident Herrmann etc. Was meine persönliche Stellung auf der Provinzial- Synode betrifft, so kann ich damit ganz zufrieden sein. Doch wird es mir bei den Konflikten, in welche ich täglich mit meiner vorgesetzten Behörde gerathe, immer zweifelhafter, daß ich mein Amt noch lange werde behaupten können. Doch wer will jetzt die Zukunft ergründen? Sie treibt unfehlbar in schwere Katastrophen.

Von Clara, welche der lieben Anna für ihren freundlichen Brief herzlich danken läßt, die herzlichsten Grüße.

Auch meine Kinder grüßen aller Seits herzlich. – Wir erwarten also bald von Dir weitere Nachricht über Dein Kommen und freuen uns sehr darauf.

In treuer Liebe Dein Bruder Immanuel