Görbersdorf bei Waldenburg in Schlesien
den 3ten August 1877
Lieber Karl!
Am Sonnabend den 28sten vorigen Monats bin ich meiner Frau, welche mit Klärchen schon 8 Tage früher vorausgegangen war, hierher nachgefolgt. Nach sehr angestrengter Arbeit war ich recht ermüdet und abgespannt, und war herzlich froh, als ich nun frei von Geschäften bei frischem klarem Wetter hinaus in die schöne Natur fahren konnte, beim Riesengebirge vorbei bis Gottesberg, wo mich ein Wägelchen erwartete, welches mich über hohe Berge und durch herrlichen Hochwald hierher brachte. Hier habe ich meine Lieben ganz wohl und befriedigt angetroffen; sie bewohnen ein geräumiges Haus mitten im Garten, in dem von hohen Waldbergen eingeschlossenen Thal. Es besteht hier eine sehr besuchte Heilanstalt für Schwindsüchtige mit großartigen geschmakvollen Baulichkeiten und schönen Gartenanlagen. Wir liegen ziemlich weit ab von dem Bereich der Anstalt, die für sich und mit ihren Bewohnern einen traurigen Eindruck macht. Sie hat hier wegen der schönen Luft und geschützten Lage ihre Stätte gefunden. – Ueber meine Marie habe ich mich sehr gefreut; sie sieht recht wohl aus und ist so rüstig auf den Beinen, wie ich sie kaum je gekannt. Rudel in der Vollkraft eines jugendlichen Landraths ist immer fidel; der kleine Conrad ein frischer Junge und die kleine Anna zwar zart und still, aber ganz behaglich. So leben wir recht gemüthlich beisammen, wenn auch das Wetter sehr wechselnd und oft regnicht, heute dabei empfindlich kalt ist. Die schönen Wälder bieten aber | schöne Spaziergänge und zu weiteren Parthien wird Rudels Equipage benutzt. Es ist ein quellenreiches fruchtbares Thal, überall nun üppige Vegetation.
Am vergangenen Dienstag war bei uns eine interessante Gesellschaft vereinigt. Rudel hatte die Gemahlin des jetzigen schlesischen Oberpräsidenten von Puttkammer, welche sich zur Zeit in Salzbrunnen aufhält, zu Mittag eingeladen; dazu den mit ihr sehr befreundeten pommerschen Superintendenten Lengerich und den bekannten altlutherischen Pastor Besser aus Waldenburg. Frau von Puttkammer ist eine liebenswürdige, gebildete und ernst gerichtete Dame, welche an den kirchlichen Bewegungen den wärmsten Antheil nimmt. Es fehlte daher nicht an angeregter Unterhaltung. Am Nachmittag machten auch der Fürst Pless und seine Gemahlin, welche auf einer großen Wald- und Reitparthie mit Gefolge sich hier ausruhten, in liebenswürdiger Freundlichkeit ihren Besuch.
Von Willi habe ich so eben einen Brief aus Berlin erhalten; er lebt ganz einsam in der Wohnung mit Köchin Karoline, sehr beschäftigt durch die Vertretung eines Rechtsanwalts Wilke.
Wie mag es nun in Deinem Hause, lieber Karl, stehen? Wir denken in herzlicher Sorge oft an Euch und bitten Dich uns auch wieder Nachricht zu geben. Das nasse und kalte Wetter wird der lieben Kranken auch nicht wohlthuend sein. Von Anna in München hatte meine | Frau in voriger Woche einen Brief erhalten, der wenigstens von ihr, dem Manne und Kind Erfreuliches berichten konnte.
Vor meiner Abreise habe ich noch den Prediger Rhode, der über das Apostolikum lächerliche Reden auf der Kreissynode Köln-Stadt geführt hatte, abmahnen können. Wir haben ihn, da er in seiner Rechtfertigungsschrift kläglich und reumüthig widerrief, mit einem Verweise laufen lassen. Wäre es nach meinem Sinne gegangen, so hätten wir ihn abgesetzt; das war aber nicht zu erreichen. Immerhin ist er moralisch ruinirt. Schwieriger und bedeutsamer ist die Sache von Hoßbach, in der das Consistorium über seine Bestätigung als Pfarrer an St. Jacobi Beschluß zu fassen hat. Hier kommen die wichtigsten Prinzipienfragen der Kirche zur Entscheidung und wird im September nach meiner Rükkehr vorzunehmen sein. Ueberhaupt wird mir ganz graulich, wenn ich an Alles denke, was in der nächsten Zeit geleistet werden soll; es bewegt mich die Sorge, ob meine Kräfte ausreichen und ob Alles zum Nutzen der Kirche und zur Ehre Gottes ausgeführt werden wird.
Von Clara und Clärchen, von Marie und überhaupt von Allen die herzlichsten Grüße an Dich, die liebe Susanne und Deine Kinder, mit vielen, vielen innigen Wünschen für das Wohlergehen der lieben Kranken.
In herzlicher Liebe
Dein Bruder
Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Görbersdorf50.6852363,16.2333222Etwa 15 Kilometer südlich von Waldenburg am Rande des Riesengebirges gelegener heilklimatischer Kur- und Badeort.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Puttkamer, Robert Viktor11631433818281900Puttkamer, Robert Viktor (1828–1900), in Frankfurt an der Oder geborener preußischer Verwaltungsbeamter und konservativer Politiker, der nach dem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg, Genf und Berlin auf verschiedenen Ebenen der inneren Verwaltung tätig war. 1877 wurde er Oberpräsident der preußischen Provinz Schlesien, von 1879 bis 1881 war er in der Nachfolge Albert Falks (1827–1900) preußischer Kultusminister, dann bis zu seiner Entlassung durch König Friedrich III. (1831–1888) im Jahre 1888 preußischer Innenminister und Vizepräsident des Preußischen Staatsministeriums.
Lengerich, Franz Hermann10315082X18051881Lengerich, Franz Hermann (1805–1881), in Stettin geborener evangelischer Theologe, der nach seinem Studium an der Universität Greifswald in den Pfarrdienst eintrat. Im Jahre 1869 wurde er Superintendent und Präses der Generalsynode Pommerns.
Besser, Wilhelm Friedrich11615484518161884Besser, Wilhelm Friedrich (1816–1884), aus der Nähe Quedlinburgs stammender lutherischer Theologe, der nach seinem Studium an den Universitäten Halle und Berlin zunächst Hauslehrer und Prädikant war, bevor er Pfarrer u. a. in Pommern und Leipzig wurde. Im Jahre 1864 wurde er Mitglied des evangelisch-lutherischen Oberkirchenkollegiums in Breslau.
Pleß, Hans Heinrich XI.11628748918331907Pleß, Hans Heinrich XI. (1833–1907), in Berlin geborener Fürst des Fürstentums Pleß, Militär, Politiker im Preußischen Herrenhaus und Deutschen Reichstag sowie Industrieller, der nach dem Besuch der Landesschule Pforta eine Militärkarriere einschlug und dann die Verwaltung der Familiengüter und des Montanbesitzes im Waldenburger Bergbaurevier übernahm. Die Fürsorgeanstalten für seine Arbeiter und deren Familien galten als vorbildlich.
Pleß, Marie, geb. Kleist
-18281883 Pleß, Marie, geb. Kleist (1828–1883), Ehefrau des Fürsten Hans Heinrich XI. von Pleß (1833–1907).
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Wilkens, N. N.-Wilkens, N. N., Tochter des pensionierten Geheimen Oberfinanzrats Friedrich August Ferdinand Wilkens († 1879).
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Klein, FelixFelix Klein11856286X18491925Klein, Felix (1849–1925), in Düsseldorf geborener Mathematiker, der von 1872 bis 1875 ordentlicher Professor an der Universität Erlangen war, dann bis 1880 an der Technischen Hochschule München, bis 1886 an der Universität Leipzig und bis 1913 an der Universität Göttingen, Ehemann Anna Maria Carolina Kleins, geb. Hegel (1851–1927).
Rhode (Rohde), Franz Georg Simon-18331892Rhode (Rohde), Franz Georg Simon (1833–1892), ordiniert 1857, von 1859 bis 1866 Pfarrer an der Berliner Marienkirche, dann an der Luisenstadt-Kirche in Berlin. Er gehörte zu den Liberalen und trat für die Streichung des Apostolikums ein, genoß aber weitgehend den Schutz des Evangelischen Oberkirchenrats, als Immanuel Hegel ein Disziplinarverfahren gegen ihn mit dem Ziel der Entfernung aus dem Pfarrdienst anstrebte; Rhode erhielt nur einen strengen Verweis.
Hossbach, Theodor Johannes10176372718341894Hossbach, Theodor Johannes (1834–1894), in Berlin geborener evangelischer Pfarrer, der nach seinem Studium an den Universitäten Berlin und Bonn ab 1858 in den Pfarrdienst eintrat. Als Anhänger der liberalen Theologie erregte er 1877 mit einer Predigt in der St. Jakobikirche in Berlin großes Aufsehen und den Widerspruch des Konsistoriums unter Immanuel Hegels (1814–1891) Leitung, fand aber die Unterstützung des Evangelischen Oberkirchenrats und breiter Kreise der Berliner Pfarrerschaft.
RiesengebirgeGebirgszug entlang der schlesisch-böhmischen Grenze, deren höchster Gipfel mit etwa 1600 Meter Höhe die Schneekoppe ist, etwa 350 Kilometer südöstlich von Berlin gelegen.
Gottesberg50.7595929,16.208163025626426Etwa sieben Kilometer westlich des schlesischen Waldenburg gelegene Stadt in der Nähe des Schlosses Fürstenstein am Ostrand des Siebengebirges.
SchlesienSeit Beginn des 19. Jahrhunderts Provinz des Königreichs Preußen mit Breslau als Provinzhauptstadt.
Salzbrunn (Niedersalzbrunn)50.819505,16.2933986Etwa vier Kilometer nördlich von Waldenburg in der Nähe des mit seiner Geschichte ins 13. Jahrhundert zurückreichende Schlosses Fürstenstein gelegener Ort mit bedeutender Hausweberei.
Waldenburg50.7659054,16.2825424Etwa 75 Kilometer südwestlich von Breslau am Rande des Riesengebirges gelegene, sich rasche entwickelnde Handels- und Industriestadt im Landkreis Waldenburg.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Köln50.938361,6.959974Auf eine römische Gründung zurückgehende alte Reichs- und Erzbischofsstadt am Rhein, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 90 Kilometer nördlich der Provinzialhauptstadt Koblenz gelegen.
LandratIm Königreich Preußen Leiter der untersten staatlichen Verwaltungsbehörde, des Landratsamtes.
EquipagePferdegespann mit Kutsche und Kutscher.
OberpräsidentKurzform für die Amtsbezeichnung „Oberregierungspräsident“, des höchsten Verwaltungsbeamten in den Provinzen des Königreichs Preußen.
ApostolikumApostolisches Glaubensbekenntnis der Christen.
SynodeVersammlung von gewählten Laien und Geistlichen zur Leitung und Verwaltung der evangelischen Kirchen auf verschiedenen Ebenen, u. a. Stadt-, Provinzial- und Generalsynoden.
Sankt (St.) Jakobi (Berlin)In den Jahre 1844/45 im Stil einer Basilika erbaute und 1845 in Anwesenheit des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) geweihte Kirche in der Berliner Stadtmitte.