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Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, und Immanuel Hegel, Stolberg/Harz, 15. September 1837

Liebe Mutter und Manuel!

Da ich eben Muße habe und halben Rasttag halte, so schreibe ich Euch jetzt schon von meinem Fußreisegeschicke und meinen Erfahrnissen, und thue dies um so lieber, als ich hoffe, um so eher von Euch und Eurem Befinden in Göttingen Nachricht zu erhalten. – Da mein ganzes Reisegeschick vom Wetter abhängig ist, so rede ich billig von diesem zuerst, und sage ihm nach, wie ihr auch wissen werdet, daß es sich ziemlich schlecht anzulassen scheint. Gestern Nachmittag als der Regen auf meinen (übrigens trefflichen) Staubmantel rieselte und der kalte Wind mich lüftete, da sprach ich zu meiner erhabenen Seele: Fasse dich in Geduld und werde nicht übler Laune. Die ersten Anfänge davon wurden auch glücklich überwunden, als ich in Alexisbad eine muntere Gesellschaft Harzbereisender Genossen antraf, die hier von allen Gegenden Deutschlands zu demselben Zweck zusammengetroffen war. Die nun, ich ebenso, wie sie sich gestern Abend gefunden, heute früh in verschiedenen Richtungen zerstoben. Einige davon, die gleichen Weg mit mir verfolgten, ließ ich vorausgehen, da sie schon sehr früh und im Regen abtrollten. Ueberhaupt ist mir dergleichen Gesellschaft lieber im Wirthshause, als auf der Landstraße, und lieber für ein Paar Stunden, als für den ganzen Tag. Uebrigens fand ich hernach, daß ich wohl gethan hatte, später auszugehen; denn ich kam heute unberegnet davon, obschon die Luft rauh war und der Wind kalt. Dennoch hatte ich heute Vormittag ein Paar sehr schöne Stunden, von denen ich nachher erzählen werde. Seit 1 Uhr Nachmittag bin ich nun hier in Stollberg schreibe Nachmittags diesen Brief bei sehr trübem, bedenklichem Himmel, wünschend, daß er sich mir morgen erheitern möge zur Weiterreise nach Nordhausen. In drei kleinen Tagesmärschen kann ich von hier (Stollberg) nach Göttingen gelangen. –

Der Anfang der Reise war überaus glücklich. Der Abend und die Nacht herrlich mondhell und silberglänzend. Als ich nach dem ersten Dämmern die Augen aufmachte, schien mir der Mond über die Havel herein, wir waren schon auf der Brücke bei Glienicke. In zeitverkürzender Unterhaltung kam man am folgenden sehr schönen Tage um 11 Uhr Vormittag in Magdeburg an. Ich verband mich mit 1 zur weitern Reise nach Quedlinburg. In Eile besahen wir den Dom, der mir bei weitem nicht so groß und schön erschien, als früher, da ich noch nichts Größeres gesehen, – aßen und saßen um 1 Uhr schon wieder im Postwagen, wir leider allein. Um ½ 8 Uhr, da es schon dunkel war, kamen wir in Quedlinburg an. Mein Reisegefährte fuhr weiter nach Cassel, ich blieb.

Am folgenden Tage trat ich meine Fußreise an, kam zeitig Vormittags in Blechhütte bei Roßtrappe an; der Himmel deckte sich auf, es wurde sehr schön. In munterer Gesellschaft eines Doctors und Apotheker’s aus Egeln mit ein Paar Kindern bestieg ich dann gleich die Roßtrappe. Birkenwasser und Pulververschießen durften auch dismal nicht fehlen. Um was besonderes zu haben, ließen wir uns aber doch die Kanonen von der Roßtrappe oben lösen, was dann einen entsetzlichen Lärm durch die alten Marmorfelsen hindurch toste. Ein junger Mensch aus Berlin, der dabei war, gerieth außer sich vor Entzücken über den Spektakel und versicherte, so was wunderschönes noch nie erlebt zu haben. Man kam ziemlich spät herunter. Ich blieb über Nacht in der Blechhütte. Mein Doctor und Apotheker fuhren nach Egeln zurück; es fing an zu regnen, und wurde sehr schauerlich. Die Funken aus den Hochöfen stiebten mit Ungestüm in die dunkle Nacht hinein.

Tags darauf, also gestern, ging ich mit dem unfreundlichen Wetter aus, welches nun wohl für diesen Monat beständig seyn wird, durch Feld und Wald nach Gernrode, war Mittags auf dem Stubenberg, welcher bei Gernrode liegt; einige freundliche Sonnenblicke durch die Wolken hindurch erheiterten mir die weite Aussicht in das ebene Land nach Quedlinburg und Halberstadt hin. Auf dem Stubenberg zeigt man noch das Zimmer auf dem Altane, wo einst der berühmte Doctor und Logiker Reinhold Schmidt aus Livland sein einsames Wesen trieb. –

Ich hatte mir für den Nachmittag die Victorshöhe vorgenommen. Da aber das Wetter so trübe war, daß von Aussicht nicht viel zu hoffen, so dachte ich nach meinem Wahlspruch: entweder ordentlich, oder gar nicht und ging gerad in’s Selkethal auf Mägdesprung, stieg oben hinauf bis zum Kreuze, und dann im lieblichen Thale entlang nach Alexisbad, – siehe oben.

Was hier an Beschreibung fehlt, überlasse ich Manuel zu ergänzen.2

Heute Vormttag aber habe ich einen Punkt besucht, der mir neu war und alles Rühmens werth ist, nämlich die Josephshöhe auf dem Auersberge vor Stollberg. Die Aussicht hier ist die weiteste und wird von Vielen noch der von Victorshöhe vorgezogen. Der Himmel war mir so günstig, mir für diese Parthie ein Paar sehr sonnenhelle Stunden zu gönnen. Unendliche Waldung im frischesten Grün liegt einem zu Füßen rings herum; nach der einen Seite gekehrt übersieht man dann das ganze Harzgebirge, das sich im Brocken gipfelt, wie auf der entgegensetzten Seite das Land der goldenen Aue, den Kyffhäuser,  und den Horizont mit dem Thüringer Walde begrenzt. Der Sonne war ich unendlich dankbar für diese Stunde, und auch noch für die folgende, in der sie mir noch bis hieher treu blieb. –

Aber das Papier geht zu Ende und erlaubt mir nur noch die herzlichsten Grüße für meine lieben Freunde, Hotho, Cosimo, Schmidt, so wie Geisler hinzufügen. Euch aber bitte ich, mir baldmöglichst von Eurem Wohlbefinden Nachricht zu geben (Göttingen bei Professor Gervinus), so wie von dem der besagten Freunde. Laßt ja nicht lange darauf warten Euren

treuen Karl.