Stollberg, Freitag am 15. September 1837.
Da ich eben Muße habe und halben Rasttag halte, so schreibe ich Euch jetzt schon von meinem Fußreisegeschicke und meinen Erfahrnissen, und thue dies um so lieber, als ich hoffe, um so eher von Euch und Eurem Befinden in Göttingen Nachricht zu erhalten. – Da mein ganzes Reisegeschick vom Wetter abhängig ist, so rede ich billig von diesem zuerst, und sage ihm nach, wie ihr auch wissen werdet, daß es sich ziemlich schlecht anzulassen scheint. Gestern Nachmittag als der Regen auf meinen (übrigens trefflichen) Staubmantel rieselte und der kalte Wind mich lüftete, da sprach ich zu meiner erhabenen Seele: Fasse dich in Geduld und werde nicht übler Laune. Die ersten Anfänge davon wurden auch glücklich überwunden, als ich in Alexisbad eine muntere Gesellschaft Harzbereisender Genossen antraf, die hier von allen Gegenden Deutschlands zu demselben Zweck zusammengetroffen war. Die nun, ich ebenso, wie sie sich gestern Abend gefunden, heute früh in verschiedenen Richtungen zerstoben. Einige davon, die gleichen Weg mit mir verfolgten, ließ ich vorausgehen, da sie schon sehr früh und im Regen abtrollten. Ueberhaupt ist mir dergleichen Gesellschaft lieber im Wirthshause, als auf der Landstraße, und lieber für ein Paar Stunden, als für den ganzen Tag. Uebrigens fand ich hernach, daß ich wohl gethan hatte, später auszugehen; denn ich kam heute unberegnet davon, obschon die Luft rauh war und der Wind kalt. Dennoch hatte ich heute Vormittag ein Paar sehr | schöne Stunden, von denen ich nachher erzählen werde. Seit 1 Uhr Nachmittag bin ich nun hier in Stollberg schreibe Nachmittags diesen Brief bei sehr trübem, bedenklichem Himmel, wünschend, daß er sich mir morgen erheitern möge zur Weiterreise nach Nordhausen. In drei kleinen Tagesmärschen kann ich von hier (Stollberg) nach Göttingen gelangen. –
Der Anfang der Reise war überaus glücklich. Der Abend und die Nacht herrlich mondhell und silberglänzend. Als ich nach dem ersten Dämmern die Augen aufmachte, schien mir der Mond über die Havel herein, wir waren schon auf der Brücke bei Glienicke. In zeitverkürzender Unterhaltung kam man am folgenden sehr schönen Tage um 11 Uhr Vormittag in Magdeburg an. Ich verband mich mit …
zur weitern Reise nach Quedlinburg. In Eile besahen wir den Dom, der mir bei weitem nicht so groß und schön erschien, als früher, da ich noch nichts Größeres gesehen, – aßen und saßen um 1 Uhr schon wieder im Postwagen, wir leider allein. Um ½ 8 Uhr, da es schon dunkel war, kamen wir in Quedlinburg an. Mein Reisegefährte fuhr weiter nach Cassel, ich blieb.
Am folgenden Tage trat ich meine Fußreise an, kam zeitig Vormittags in Blechhütte bei Roßtrappe an; der Himmel deckte sich auf, es wurde sehr schön. In munterer Gesellschaft eines Doctors und Apotheker’s aus Egeln mit ein Paar Kindern bestieg ich dann gleich die Roßtrappe. Birkenwasser und Pulververschießen durften auch dismal nicht fehlen. Um was besonderes zu haben, ließen wir uns aber doch die Kanonen von der Roßtrappe oben lösen, was dann einen entsetzlichen Lärm durch die alten Marmorfelsen hindurch toste. Ein junger Mensch aus Berlin, der dabei war, gerieth außer sich vor Entzücken über den Spektakel und versicherte, so was wunderschönes noch nie erlebt zu haben. Man kam ziemlich spät | herunter. Ich blieb über Nacht in der Blechhütte. Mein Doctor und Apotheker fuhren nach Egeln zurück; es fing an zu regnen, und wurde sehr schauerlich. Die Funken aus den Hochöfen stiebten mit Ungestüm in die dunkle Nacht hinein.
Tags darauf, also gestern, ging ich mit dem unfreundlichen Wetter aus, welches nun wohl für diesen Monat beständig seyn wird, durch Feld und Wald nach Gernrode, war Mittags auf dem Stubenberg, welcher bei Gernrode liegt; einige freundliche Sonnenblicke durch die Wolken hindurch erheiterten mir die weite Aussicht in das ebene Land nach Quedlinburg und Halberstadt hin. Auf dem Stubenberg zeigt man noch das Zimmer auf dem Altane, wo einst der berühmte Doctor und Logiker Reinhold Schmidt aus Livland sein einsames Wesen trieb. –
Ich hatte mir für den Nachmittag die Victorshöhe vorgenommen. Da aber das Wetter so trübe war, daß von Aussicht nicht viel zu hoffen, so dachte ich nach meinem Wahlspruch: entweder ordentlich, oder gar nicht und ging gerad in’s Selkethal auf Mägdesprung, stieg oben hinauf bis zum Kreuze, und dann im lieblichen Thale entlang nach Alexisbad, – siehe oben.
Was hier an Beschreibung fehlt, überlasse ich Manuel zu ergänzen.
Heute Vormttag aber habe ich einen Punkt besucht, der mir neu war und alles Rühmens werth ist, nämlich die Josephshöhe auf dem Auersberge vor Stollberg. Die Aussicht hier ist die weiteste und wird von Vielen noch der von Victorshöhe vorgezogen. Der Himmel war mir so günstig, mir für diese Parthie ein Paar sehr sonnenhelle Stunden zu gönnen. Unendliche Waldung im frischesten Grün liegt einem zu Füßen rings herum; nach der einen Seite gekehrt übersieht man dann das ganze Harzgebirge, das sich im Brocken gipfelt, wie auf der entgegensetzten Seite das Land der goldenen Aue, den Kyffhäuser, und den Horizont mit dem Thüringer Walde begrenzt. Der Sonne war ich unendlich dankbar für diese Stunde, und auch noch für die folgende, in der sie mir noch bis hieher treu blieb. –
Aber das Papier geht zu Ende und erlaubt mir nur noch die herzlichsten Grüße für meine lieben Freunde, Hotho, Cosimo, Schmidt, so wie Geisler hinzufügen. Euch aber bitte ich, mir baldmöglichst von Eurem Wohlbefinden Nachricht zu geben (Göttingen bei Professor Gervinus), so wie von dem der besagten Freunde. Laßt ja nicht lange darauf warten Euren
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Stolberg51.5732926,10.9548323Bergmannssiedlung und Kurort im Süden des Harzes, etwa 85 Kilometer östlich von Göttingen gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Schmidt, Reinhold Gottlieb11751433018091886Schmidt, Reinhold Gottlieb (1809–1886), aus Pernau in Livland gebürtig, Student der Philosophie in Berlin, zum Dr. promovierter Logiker.
Hotho, Heinrich GustavHeinrich Gustav Hotho11915495118021873Hotho, Heinrich Gustav (1802–1873), in Berlin geborener hugenottischer Fabrikantensohn, Kunsthistoriker und Philosoph, der von 1821 bis 1824 an den Universitäten Berlin und Breslau studierte und sich 1827 in Berlin habilitierte. Zunächst Privatdozent, wurde er 1828 außerordentlicher Professor der Kunstgeschichte an der Berliner Universität, 1832 Mitarbeiter in der Gemäldegalerie und 1859 Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts.
Xeller, Johann ChristianChristian Johann Xeller11693924917841872Xeller, Johann Christian (1784–1872), auch Cosimo oder „Pater Cosimo“ genannt, war ein aus Biberach gebürtiger Maler und Restaurator, von dem auch ein nicht mehr erhaltenes Gemälde Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) stammte, nach dem Friedrich Wilhelm Bollinger (1777–1825) einen berühmten Kupferstich des Philosophen gefertigt hat (Heidelberg 1819).
Göttingen51.5328328,9.9351811Circa 100 Kilometer südlich von Hannover und südwestlich des Harzes gelegene Stadt mit einer 1737 eröffneten Universität.
Alexisbad51.6499442,11.1165337Ort im Harz, etwa 20 Kilometer südlich von Quedlinburg und etwa 100 Kilometer östlich von Göttingen gelegen.
HavelIn Mecklenburg entspringender Fluß von etwa 330 Kilometer Länge, der bei Rühstädt, etwa 120 Kilometer nördlich von Magdeburg gelegen, von Osten in die Elbe mündet.
Glienicke52.4094418,13.1025652Südwestlich von Berlin gegenüber von Potsdam gelegener Ort mit Brücke über die Havel, etwa 120 Kilometer von Magdeburg entfernt.
Magdeburg52.1315889,11.6399609Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen an der Elbe und Sitz des Regierungspräsidiums Magdeburg, etwa 150 Kilometer westlich von Berlin gelegen.
Quedlinburg51.7855428,11.1519933Stadt an der Nordostseite des Harzes, circa 60 Kilometer südwestlich von Magdeburg gelegen.
Roßtrappe51.7352041,11.0181336Etwa 400 Meter hoch gelegener Ort und Aussichtspunkt im Harz oberhalb der Bode, gegenüber dem Hexentanzplatz und etwa 15 Kilometer südwestlich von Quedlinburg entfernt.
Egeln51.9400891,11.4273755Etwa 30 Kilometer nordöstlich von Quedlinburg gelegene kleine Stadt.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Gernrode51.7241176,11.1385722Stadt am nordöstlichen Rand des Harzes, etwa acht Kilometer südlich von Quedlinburg gelegen.
Stubenberg51.7207963,11.1366644Oberhalb der Gemeinde Gernrode am Nordhang des Harzes gelegen und im Jahre 1754 von Fürst Victor Friedrich von Anhalt-Bernburg (1700-1765) mit einem Jagd- und Lusthaus bebaut.
Halberstadt51.8953514,11.0520563Ab 1815 Stadt des Königreichs Preußen, im nördlichen Harzvorland etwa 17 Kilometer nördlich von Quedlinburg gelegen.
LivlandVon 1721 bis 1919 russische Ostseeprovinz im Baltikum.
Victorshöhe51.686267,11.0826131585 Meter hoher Berg im Harz, etwa 12 Kilometer südwestlich von Gernrode gelegen.
Selketal51.6823078,11.257931223652509Etwa 16 Kilometer westlich von Gernrode gelegen.
Mägdesprung51.670245,11.1326674Circa vier Kilometer nördlich von Alexisbad gelegenes Dorf.
Josephshöhe (Harz)51.5805278,11.0056667Circa 580 Meter hoher Aussichtspunkt auf dem zweiten Gipfel des Großen Auersberges, etwa zehn Kilometer nordöstlich von Stolberg entfernt.
Auersberg (Harz)51.5848032,11.0048245Etwa 580 Meter hoher Berg in der Nähe Stolbergs, circa eineinhalb Kilometer nordöstlich von der Josephshöhe gelegen.
HarzMittelgebirge im Norden Deutschlands zwischen Göttingen, Halberstadt und Halle an der Saale gelegen.
Brocken51.7991251,10.6156365Mit etwa 1140 Metern der höchste Berg des Harzes, etwa 25 Kilometer südöstlich von Goslar und etwa 20 Kilometer westlich von Wernigerode gelegen.
Kyffhäuser51.394798699999996,11.110095164304518Ein bis auf etwa 500 Meter ansteigender kleiner Gebirgszug südlich des Harzes, etwas 90 Kilometer östlich von Göttingen gelegen.
Thüringer WaldDeutsches Mittelgebirge an der Nordgrenze des Königreichs Bayern.
Dom (Quedlinburg)Die Stiftskirche St. Servatius wurde zwischen 1170 und 1229 als dreischiffige romanische Basilika errichtet.
AltanErker oder Wohnraum auf einem Söller, der aus einem oberen Stockwerk eines Gebäudes herausragt.