Berlin den 21ten October 1845.
Lieber Karl!
Wie ich sehe, hat die Mutter Dir recht ausführlich geschrieben; dadurch ist aber auch die Antwort etwas verzögert worden. Sie hat die Reise recht gut überstanden und sehr rasch zurückgelegt; sie brachte nur etwas Heiserkeit mit, welche sich eben bald verlor. Ihre Kräfte scheinen auch viel mehr gestärkt zu sein, namentlich sind ihre Nerven nicht mehr so angegriffen. Hoffentlich wird sie ihr Versprechen, sich ruhig zu halten und zu schonen, erfüllen; dann dürfen wir hoffen, daß sie den Winter gut überstehen werde. Ihr ist es nun auch wieder wohl in der eigenen Behausung zu sein, und ganz still für sich zu leben, um so mehr, da sie in Nürnberg eigentlich immer in großer Unruhe gelebt hat. – Georg wohnt nun bei der Mutter und ergiebt sich mit großer Liebenswürdigkeit Ihrer disciplin; er ist ein gar zu guter, frischer prächtiger Junge. Seine Reise war sehr interessant, oft leicht beschwerlich und abentheuerlich. Schon in Christiania traf er – er reiste mit einem Nürnberger von Harsdorfer und einem Rheinländer – zu seiner großen Ueberraschung Dönniges und machte mit ihm die ganze Reise durch Norwegen und Schweden; von Christiania nach Bergen durch ganz uncultivirte Gegenden, wo die Menschen in der größten Abgeschiedenheit und Barbarei leben; von Bergen nach | dem nördlichen Förde und dann zurück nach Christiania. Die Reise in Schweden machten sie von Gothenburg auf dem großen Kanal mit dem Dampfboot nach Stokholm, und von hier zu Lande nach ….
Jetzt ist nun die ganze Familie wieder hier beisammen. Den Sonntag und dann noch 1 oder 2 Abende in der Woche bringen wir bei Flottwells zu; im Uebrigen leben wir ziemlich stille, das ist der Vortheil des großen weiten Berlin, daß man sich bei einer großen Anzahl von Bekannten doch ohne Aufsehen und ohne zu verletzen sich sehr zurückziehen kann. – Schmidt besuchte ich gestern in seiner neuen Wohnung in der Dorotheenstraße bei der Charlottenstraße; die Zeit in Heidelberg hat doch manches an und in ihm verändert; er politisirt jetzt wieder und hat sich in die praktische Philosophie geworfen – er studirt jetzt den Staat, glaube aber doch nicht, daß er darin sehr praktisch sein wird. So erzählte er mir übrigens gestern, daß er im vorigen Jahr in Paris und in diesem in der Schweiz gewesen ist.
Vor einigen Tagen besuchte mich Henning, indem er mir die Bücher brachte; er war eben von einer geheimnißvollen amtlichen Reise aus Schlesien zurückgekehrt, in kirchlichen Angelegenheiten; er erzählte von der unterschiedlichen Verwirrung und Zerrissenheit der dortigen kirchlichen Zustände; es ist aber nicht daran zu denken, daß Eichhorn die Lösung derselben durch eine freie kirchliche Verfassung unternehmen werde; Henning meinte, man müsse Zeit gewinnen und die alte Generation absterben lassen; von der jungen sei mehr Orthodoxie zu erwarten – als ob die jetzige Zeit zum Warten geeignet wäre! |
Ich wünsche Dir von Herzen Glück zu der baldigen Beendigung Deines Werkes; das Resultat desselben wird allerdings Savigny sehr unangenehm sein und demüthigt stark die stolze Autorität der historische Schule – |
Friederike grüßt Dich recht herzlich. Sie ist immer wohl und heiter, mein liebes Weibchen! –
Leb wohl Dein Bruder Immanuel.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Dönniges, WilhelmWilhelm Dönniges11615750X18141872Dönniges, Wilhelm (1814–1872), deutscher Historiker sowie Staatsmann und Diplomat des Königreichs Bayern, Ehemann von Franziska Wolf (1823–1882) und Vater der Schauspielerin und Schriftstellerin Helene Dönniges (1843–1911), deretwegen sich 1864 der sozialistische Politiker Ferdinand Lassalle (1825–1864) mit dem rumänischen Adelige Janco Gregor Racowitza († 1865) duellierte, in dessen Folge Lassalle den Tod fand.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Schmidt, Reinhold Gottlieb11751433018091886Schmidt, Reinhold Gottlieb (1809–1886), aus Pernau in Livland gebürtig, Student der Philosophie in Berlin, zum Dr. promovierter Logiker.
Henning, Leopold August Wilhelm DorotheusLeopold Henning10016287817911866Henning, Leopold August Wilhelm Dorotheus (1791–1866), in Gotha geborener Philosoph, der 1825 außerordentlicher, 1835 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Berlin wurde. Von 1827 an war er Redakteur der Zeitschrift der Hegelianer, der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“.
Eichhorn, Johann Albrecht FriedrichJohann Albrecht Friedrich Eichhorn10433526217791856Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich (1779–1856), in Wertheim geborener Staatsmann, der von 1840 bis 1848 preußischer Staatsminister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten war; in Erfurt war er 1850 im Unionsparlament für das Königreich Preußen Mitglied des Staatenhauses und dessen Alterspräsident.
Savigny, Friedrich CarlFriedrich Carl Savigny11860590917791861Savigny, Friedrich Carl (1779–1861), in Frankfurt am Main geborener Jurist und Staatsmann, 1808/09 ordentlicher Professor an der Universität Landshut, danach an der Universität Berlin, Begründer der Historischen Rechtsschule der Rechtswissenschaft.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Christiania55.67573695,12.607570747540278Nahe Kopenhagen gelegene dänische Freistadt an der Ostküste der Insel Seeland, etwa 450 Kilometer nördlich von Berlin gelegen.
NorwegenNordeuropäisches Königreich auf der westlichen Seite der Skandinavischen Halbinsel.
SchwedenNordeuropäisches Königreich auf der östlichen Seite der Skandinavischen Halbinsel.
Bergen60.3943055,5.3259192Hafenstadt an der Westküste Norwegens und Krönungsstadt der norwegischen Könige, etwa 500 Kilometer westlich der Hauptstadt Oslo gelegen.
Förde, Førde61.450556,5.854167Etwa 500 Kilometer nordwestlich der norwegischen Hauptstadt Oslo nahe der zerklüfteten nordatlantischen Westküste gelegener Ort.
Göteborg (Gothenburg)57.7072326,11.9670171Etwa 750 Kilometer nördlich von Berlin, an der Westküste Schwedens (Kattegat) gelegene Hafenstadt.
Stockholm59.3251172,18.0710935Etwa 480 Kilometer nordöstlich von Göteborg an der Ostseeküste gelegene Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Schweden.
Heidelberg49.4093582,8.694724Alte Universitätsstadt am Neckar, seit 1803 zum Großherzog Baden gehörend und mit Eisenbahnanschluß seit 1840. Circa 90 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, war die Stadt mit ihrer malerischen Schloßruine einer der Hauptorte der Romantik.
SchlesienSeit Beginn des 19. Jahrhunderts Provinz des Königreichs Preußen mit Breslau als Provinzhauptstadt.
„Die Schule des Lebens“Schauspiel von Ernst Raupach (1784-1852) aus dem Jahre 1841.