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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 2. März 1880

Lieber Karl!

Das Frühjahr beginnt jetzt mit Regen und mit den Winden seinen Einzug zu halten, und diese Jahreszeit bringt uns neben manchem anderem Angenehmen gewöhnlich die Freude, Dich hier in Veranlassung der Reichs-Kommission bei uns zu sehen. Da wir den Wunsch hegen, Dich auch bei uns zu beherbergen, so hoffen wir von Dir bald genaue Nachricht darüber zu erhalten, wann wir Dich erwarten können. Der Termin für den Zusammentritt der Kommission wird doch gewiß bereits festgesetzt sein.

Bis vor acht Tagen war meine Marie mit ihren liebenswürdigen Kindern bei uns und füllten das Haus. Wir freuten uns sehr über dies gemüthliche Zusammenleben, welches auch die Herzen wieder enger verbindet. Marie, welche guter Hoffnung ist und im Mai ihre Entbindung erwartet, war recht wohl und frisch; sie hat sich auch geistig sehr zu meiner Freude entwickelt; sie ist eine gescheute gebildete Frau, die für Alles ein gutes und eingehendes Verständniß hat und für ihren Mann eine treue Beratherin und Stütze, welche ihm auch Bedürfniß ist, so sehr er nach Außen rasch entschlossen und auch abschwechend erscheint. Auf der Generalsynode und im Abgeordnetenhause hat er bei passender Gelegenheit mit gutem Erfolg sich geltend gemacht, wozu es ihm auch an Courage und Ehrgeiz nicht mangelt, und da er als Landrath sich Anerkennung erworben, so steht in Aussicht, daß er als Kommissarius nach Oberschlesien geschickt wird, um die Gründe des dortigen Nothstandes festzustellen, Vorschläge zur dauernden Abhülfe zu machen und vielleicht auch die Ausführung der beabsichtigten Meliorationen1 zu leiten; das letztere würde freilich mehrere Jahre erfordern. Der Auftrag ist ehrenvoll und nicht abzulehnen, wenn auch schwierig und für die Häuslichkeit sehr störend. Doch muß man das Weitere abwarten.

Eine andere bevorstehende ähnliche Veränderung muß uns auch nahe berühren. Mein Schwager Adalbert hat die Aufforderung erhalten, sich zu erklären, ob er bereit sei, Bezirkspräsident in Metz zu werden. Eine solche Anfrage läßt sich auch nicht ablehnen; die Sache hat aber sehr ihre zwei Seiten; seine Stellung als Regierungspräsident in Marienwerder war sehr angenehm und auch finanziell wird er in Metz, wo höhere Ansprüche der Repräsentation gemacht werden, nicht besser stehen. Aber trotzdem und trotz der Gefahr einer Belagerung im Falle eines neuen französischen Kriegs wird er hinziehen müssen. Wir werden die Entfernung und Trennung sehr bedauern, da wir seither ihn doch in jedem Jahr mehrere Male bei uns einkehren sahen.

Willy führt noch ruhig katholisches Regiment in Paderborn, fängt aber auch an, eine Veränderung zu wünschen, wenn auch der Kulturkampf zwar gemildert ist, aber lange noch kein Ende findet. Die Verhandlungen mit Rom sind, wie ich aus sicherer Quelle erfahren, so gut wie abgebrochen. Auf ein Konkordat war es auch niemals abgesehen, sondern nur auf eine Verständigung über die Beziehungen, unter welchen die Kurie ihren passiven Widerstand gegen die Maigesetze aufzugeben bereit wäre. Da man über den Inhalt der Verhandlungen nichts weiß, so muß man sich des Urtheils enthalten. Man darf aber wohl annehmen, daß Bismark, wie von Anfang an, auch jetzt nur politische Zwecke im Auge hat und von der Stellung der Partheien im Reichs- und Landtag vornehmlich bestimmt wird. Braucht er die liberale Parthei, so kehrt er dem Zentrum den Rüken und ebenso umgekehrt.

Meine Frau leidet seit mehreren Wochen an einem hartnäkigen Katarrh, der seit acht Tagen noch schlimmer geworden. Dieses Unwohlsein verhinderte sie am vergangenen Sonntag2 den Besuch des Referendar Dr. Alfred Klein anzunehmen, und da ich nicht zu Hause war, so habe ich ihn auch nicht gesprochen. Wir vermuthen, daß er ein Bruder von Felix Klein ist, dessen Karte er auch mit abgegeben hat. Leider hat er seine Wohnung nicht bezeichnet und müssen wir daher die Wiederholung seines Besuchs abwarten.

Die im Ganzen guten Nachrichten aus Deinem erweiterten Familienkreise haben uns sehr erfreut, und wünschen von Herzen, daß die zu erwartende Kampagne3 Deiner Tochter Luise mit Gottes Hülfe glüklich überwunden werden möchte.

In meinem Amt fehlt es nicht an Schwierigkeiten, Reibungen und Kämpfen. In 14 Tagen wird die Berliner Stadtsynode zusammentreten, um über die Kirchensteuer Beschluß zu fassen. Da werden die Geister scharf auf einander platzen; Brückner hat die Einführung der Steuer zu seiner Lebensaufgabe gemacht; ob sie erreicht wird, ist jetzt zweifelhaft, und wenn es zu Stande kommen, wird das bischen Geld der Kirche nicht zum Segen gereichen.

Clara, Klärchen und mein Schwager Adalbert, der so eben bei uns ist, senden Dir und Deinen Kindern herzliche Grüße.

In treuer Liebe
Dein
Immanuel