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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 23. November 1885

Lieber Karl!

Du hältst an der Meinung fest, daß ich mich noch im Besitz der Briefe unseres Vaters befinde. Ich muß aber ebenso die Versicherung wiederholen, daß dies nicht der Fall ist. Meine Papiere und dergleichen, wenn sie auch verschiedenen Zwecken dienen – und gerade deshalb um so mehr – halte ich in guter Ordnung und sind auch bei einem fortdauernden Gebrauch nicht schwer zu übersehen. Dessen ungeachtet habe ich noch an allen Orten, wo sich jene Briefe etwa befinden könnten, darnach gesucht und glaube daher den Besitz meiner Seits entschieden in Abrede stellen zu können und die Vermutung aussprechen zu dürfen, daß sie sich bei Dir irgendwo vorfinden möchten. Daran ist gar nicht zu denken, daß ich sie gelegentlich vernichtet hätte; dies widerspricht auch zu sehr meiner Gesinnung.

Was meinen Geburtstag anbetrifft, so ist derselbe allerdings zweifelhaft und mögen sich die Historiker darüber streiten. Meinen Taufschein besitze ich zwar nicht mehr; ich habe ihn seiner Zeit der Wittwenkasse zur Versicherung meiner Ehefrau eingereicht.1 Er war von St. Aegidien in Nürnberg ausgestellt und ich weiß ganz bestimmt, daß darin der 25 September 1814 als mein Geburtstag angegeben war. Dem widerspricht aber die Tradition unserer Eltern seit Menschengedenken, und zum urkundlichen Beweise beziehe ich mich auf den in des Vaters Werken Bd. 17 S. 549 abgedruckten Brief2 desselben an die Mutter aus Coblenz vom 24 September 1822. An diesen Geburtstag werde ich auch bis an meines Lebens Ende festhalten.

Am nächsten Mittwoch3 wird die hiesige Universität den 100jährige Geburtstag von Boekh festlich feiern.4

Mein Schwager Adalbert war kürzlich acht Tage lang unser Gast im Hause; es waren Geschäfte der unter seiner Leitung stehenden Hypothekenbank in Breslau die nächste Veranlassung dieses Besuchs. Er hat sich in seine veränderte Lebenslage zurecht gefunden; dagegen hat er manche Sorgen mit seinen Kindern. Sein ältester Sohn Bert ist Offizier in einem Infanterie-Regiment zu Strasburg; ein guter Junge, aber ein Grübler und Träumer, ohne Geschick und Passion für den militärischen Beruf und macht daher ohne Absicht manche Verstöße im Dienst, die sein Verbleiben im Militair gefährden und oft zweifelhaft machen. Was soll er aber sonst werden? – Seine einzige Tochter ist von ungewöhnlicher Anmuth, Schönheit und Begabung; aber ein widerspenstiges Wesen voller Launen. Er hat sie nun vor einiger Zeit nach Boll zu Blumhardt junior gebracht; dort hat sie für ihre Kräfte Beschäftigung, anregende Unterhaltung und ist ganz zufrieden, so wie ihre Umgebung von ihr befriedigt ist. Adalbert, der sie mit seiner Frau hinbrachte, war selbst von dem Aufenthalt und Leben in dieser geistlichen Anstalt5 sehr erbaut.

Gleichzeitig mit diesem Briefe sende ich Dir zwei Exemplare einer Beilage der Kreuzzeitung, in welcher auf meine Veranlassung aus den amtlichen Protokollen unserer Generalsynode, die sich im Druk befinden, die Verhandlung über meinen Antrag in Betreff der Bibelrevision abgedrukt ist.6 Ich habe diese Berathung der Synode, so wie jetzt den Abdruk in der Zeitung veranlaßt, um die durch eine mißliebige Erklärung von D. Luthardt in Leipzig und D. Kliefoth in Schwerin angeregten Befürchtungen wegen einer baldigen und zwangsweisen Einführung der revidirten Bibel in Kirche und Schule möglichst zu zerstreuen. Zu diesem Zwecke wird es mir lieb sein, wenn Du die beiden Abdrucke Deinen theologischen Kollegen Franke und von Zeschwitz mit meiner Empfehlung übergeben möchtest.

In meinem Hause befinden sich, Gott sei Dank, Alle wohl; wir haben gestern das Heilige Abendmahl zu herzlicher Erbauung und Stärkung empfangen; es wurde das Gedächtniß der Verstorbenen gefeiert.7

Mit herzlichen Grüßen

Dein Bruder
Immanuel