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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 19. Oktober 1855

Lieber Carl1!

Hiermit sende ich Dir 100 rth2, und hoffe, daß sie noch pünktlich bei Dir ankommen werden. Ich möchte mir jedoch erlauben, Dir in Betreff der Kohlengrubenspekulation große Vorsicht zu empfehlen; bei solchen Unternehmungen, wenn sie erst begonnen werden, haben schon sehr geschäftskundige Männer ihr Geld verloren, und für Jemand, der nicht unmittelbar dabei thätig ist, und nicht alle Verhältnisse genau und praktisch zu prüfen Gelegenheit und technische Kenntnisse hat, ist es oft nicht möglich, sich von dem wirklichen Ertrag eine sichere Ueberzeugung zu verschaffen und besonders vorher die Erträglichkeit zu beurtheilen. Wenn ich ein größeres Vermögen besäße, würde ich eher es rathsam finden, mich bei solchen Spekulationen zu betheiligen; bei einem kleinen Vermögen halte ich es aber für besser, vorzugsweise auf die Sicherheit und Erhaltung Bedacht zu nehmen. Doch soll es mich gewiß sehr freuen, wenn Dir bei dieser Kapitalanlage erhebliche Vortheile zufallen und meine Besorgnisse sich als unbegründet ergeben.

Die Kündigung des Kapitals von Henning kann meines Dafürhaltens jedenfalls zu Anfang eines jeden Quartals auf 6 Monate erfolgen. Ob auch in der Zwischenzeit, ist mir zweifelhaft, doch würde es wohl nicht billig sein, einen andern Termin zu wählen, wenn er selbst nicht dazu geneigt ist, da er auch nur zu jenen Terminen andere Kapitalien sich verschaffen kann, falls er nicht Börsenpapiere verkauft. Er hat mir versprochen, mich in den nächsten Tagen zu besuchen; ich werde ihm Deinen Wunsch mittheilen, Dein Kapital ganz oder zum Theil herauszubekommen und werde hören, ob er zum 1sten April 1856 Dir es zahlen kann; sollte er ohne besondere Verlegenheit dazu bereit sein, so würde ich es in Deinem Namen vorläufig annehmen und mir Deine weitere Erklärung erbitten.

Für Dein freundliches Erbieten von Kostgeld für Marie Tanner bin ich Dir sehr dankbar; doch kann ich es nicht annehmen, da sie mir in meinem Hause mannigfache Dienste leistet; auch wird ihr Aufenthalt bei mir doch nur ein vorübergehender sein. – Wenn Du in meiner Rechnung, wie es scheint, die Kosten für Meubelwagen und dergleichen zu monieren geneigt bist, so bemerke ich, daß der Wagen auch meine Sachen größtentheils herübergeschafft hat, und Dir ohnehin die erheb- lichen Kosten des Transports nach Rostock allein zur Last fallen.

Nach diesen Geschäftssachen habe ich Dir aber ein freudiges Ereignis in der Flottwellschen Familie mitzutheilen; mein Schwager Herrmann, der Lieutenant, hat sich zu Danzig mit Fräulein Pauline von Frantzius, Tochter eins sehr reichen Kaufmanns daselbst verlobt; die Bekanntschaft wurde in Gastein gemacht, wo sie sich mit ihrer Mutter aufhielt; wir hatten schon zu jener Zeit durch Günthers – die Günther ist eine Cousine der Braut – viel Schönes von ihr gehört, und waren daher auf den weiteren Verlauf sehr gespannt, als wir hörten, daß er sich für sie lebhaft interessiere. Als sie mit den Eltern vor 14 Tagen durch Berlin reisten, brachte er bei der Mutter schon seinen Antrag an, und nachdem ihm dann auch der Vater von Danzig aus seine Zustimmung aussprach, reiste er am vergangenen Donnerstag3 dorthin und haben wir heute die offizielle Verlobungsanzeige erhalten.4 Es erscheint in jeder Beziehung eine sehr erfreuliche Parthie, und kann man dem Herrmann dazu von Herzen Glück wünschen. Er ist ein liebenswürdiger wackerer Junge von trefflichem Herzen und wohl geeignet, das Mädchen glücklich zu machen.

Der arme Theodor hält sich in Potsdam auf, und ist auch auf Wunsch des Vaters dorthin als Hülfsarbeiter zur Regierung versetzt worden. Seine Blindheit hat leider zugenommen5, wenn auch sonst Gastein ihn zunächst bekräftigt hat. Wenn Graefe im November von seiner Reise zurückgekehrt ist, wird er sich wieder in seine Kur begeben. Es ist dies für ihn und für die Eltern eine schwere Prüfung und es bleibt dabei sehr fraglich, ob überhaupt auf eine Heilung zu hoffen ist.

Von der lieben Tante Marie hatten wir in diesen Tagen einen ausführlichen Brief, der uns freundlichst von Allem Nachricht gab. Wir sollen ihr eine Berliner Sparlampe für sich schicken, für welche sich Onkel Siegmund nach den Lobpreisungen des Nürnberger Correspondenten sehr interessiert. Wir kennen sie wohl und haben sie gekauft: doch scheint sie uns nur für die Küche, nicht aber für das Zimmer zu passen.

Friederike hat heute leider einmal wieder Kopfweh und Rheumatismus und liegt zu Bette; sie scheint sich erkältet zu haben. Sie kann Euch daher nur herzliche Grüße senden, und läßt Susette für ihren lieben Brief sehr danken; sie wird ihn dann später beantworten. Ueber Euren angenehmen Ausflug nach Schwerin haben wir uns sehr gefreut und Deine amüsante Schilderung von der großherzoglichen Taufe6 mit großem Vergnügen gelesen.

Die freundlichsten Grüße der lieben Susette. Gott behüte Euch Alle insgesamt.

In treuer Liebe
Dein Immanuel.

P. S. Heffter sprach sich in diesen Tagen sehr dankbar über den freundlichen Empfang aus, den er bei Euch in Rostock gefunden.