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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 21. September 1875

Lieber Karl!

Nach meiner Ankunft hierselbst haben mich viele Geschäfte umdrängt und komme ich erst heute dazu Dir einen herzlichen Gruß zu senden. Clara wird Euch gemeldet haben, daß wir hier unsere Kinder Willi und Clärchen wohl angetroffen haben. Auch im Hause fanden wir Alles in guter Ordnung und so traten wir wohlgemuth wieder in den gewohnten Gang des Lebens und der Beschäftigung, dankbar für den vielfachen und reichen Genuß, den wir in den letzten Wochen in schöner Natur und durch die liebreiche Aufnahme der Verwandten erfahren haben. Wir hoffen auch von Euch bald wieder Nachricht zu erhalten und wünschen von Herzen, daß auch im Lommelschen Hause die Freude der lieben Eltern durch keine Sorge gestört werden sein möchte. Du wirst nun wohl in den nächsten Tagen nach München zur historischen Kommission aufbrechen und Dich dort zugleich an dem häuslichen Glück des jungen Kleinschen Ehepaars erfreuen. Ueberbringe ihnen auch unsere herzlichen Grüße und Glückwünsche. Meinen verirrten Stock habe ich in Begleitung der ruhmgekrönten Stammburg1 wohlbehalten empfangen, und danke besonders für die sorgfältige Rücksendung, indem ich nur bedaure, Euch durch meine Fahrlässigkeit so viel Umstände verursacht zu haben.

So leben wir nun wieder im friedlichen Pfarrhause von St. Matthäus, ein jeder froh der schönen Erinnerungen und zugleich im gemüthlichen Behagen, wieder zu Hause zu sein. Unsere Kinder haben in Waldenburg inzwischen auch festliche Tage verlebt; Rudolph, jüngst zum Landrath des Kreises ernannt, hatte den festlichen Empfang des Kaisers bei dem Besuch von Fürstenstein zu ordnen und scheint dies mit gutem Erfolg besorgt zu haben. Der Kaiser hat ihn freundlich begrüßt und sich mit ihm gnädig unterhalten. Auch wurde er zu den Festmahlen auf Fürstenstein zugezogen. – Den Eltern Bitter ist dagegen ein sehr unangenehmer Zufall zugestoßen; eben in der Vorbereitung des Umzugs aus ihrer Villa am Wannensee nach der Stadt hat Mutter Bitter sich in der Stube das Bein unten gebrochen, und wenn der Schaden nach gewöhnlichem Verlauf auch ungefährlich erscheint, so ist es doch für die thätige Hausfrau sehr lästig und eine große Geduldsprobe diese Wochen mit eingegipstem Bein fest liegen zu müssen. Es wird nun gehofft, Ende dieser Woche ihren Transport nach der Stadt bewirken zu können. Mit dem jetzt nach langer Trockenheit eingetretenen regnerischen Herbstwetter ist der längere Aufenthalt am Wannensee ungemüthlich und das tägliche Hinaus- und Hereinfahren für Vater Bitter sehr beschwerlich.

In meinem Amte habe ich nun nächstens wichtige kirchliche Versammlungen zu erwarten, zunächst im Oktober eine Gesammt-Civil Synode von Berlin, welche vornehmlich Rath und Hülfe bei der Stolgebührennoth in Folge des Civilstandsgesetzes schaffen soll. Der einzige Ausweg ist Einführung der Kirchensteuer; dazu wird aber wahrscheinlich der ernste Wille und der Muth fehlen. – Dann wird im November die außerordentliche Generalsynode folgen, welche der Verfassung unserer Landeskirche die Krone aufsetzen soll. Wie letztere ausfallen möge, darauf sind die Erwartungen aller Partheien sehr gespannt; Minister und Evangelischer Ober-Kirchenrath berathen im Augenblick über den Entwurf zu diesem Kunstwerk und die Partheien rüsten sich ihn zu verarbeiten und ihre Kirchenbaupläne zum Besten zu geben. Es wird ein heißer Kampf werden und ohne Wunden wird keiner wieder nach Hause kommen. Ein wichtiges und interessantes Vorspiel war die evangelisch-lutherische Konferenz, welche hier in der Woche vor meiner Rückkehr getagt hat, und trotz aller Maaßregelungen des oberen Kirchenregiments  eine unerwartet zahlreiche Theilnahme erfahren, und einen ebenso interessanten als würdigen Verlauf genommen hat. Die Konferenz hat sich trotz aller Ungunst und Schwierigkeiten Bahn gebrochen und die Parthei sich als eine wachsende Macht erwiesen. So fährt das gebrechliche Schiff unserer Landeskirche auf bewegter See in die Herbst- und Winterstürme hinein; wann und in welchem Zustande mag sie in den sicheren Hafen wieder einlaufen? –

Du kannst mit größerer Seelenruhe die Thaten und Kämpfe unserer wackeren Vorfahren in ernsten Studien erforschen und belauschen, und es wird Dir hierbei gewiß auch die bevorstehende Zusammenkunft der historischen Kommission  reiche Befriedigung gewähren. Wenn Du bei dieser Gelegenheit auch den alten Onkel Gottlieb und die liebe Tante Thekla wiedersehen wirst, so bringe ihnen unsere herzlichen Grüße und dazu sage ihnen, daß wir mit wärmstem Danke der schönen mit ihnen in Simmelsdorf verlebten Tage gedenken. Ich hatte dabei nur allein zu bedauern, daß ich dort nicht mehr mit Harsdorf zusammen sein konnte.

Die mir in der Noth zu mitternächtlicher Stunde brüderlich vorgeschossenen 20 fl Gulden wirst Du inzwischen durch Postanweisung wieder erhalten haben und ich sage Dir für diese Beihülfe noch wiederholt meinen besten Dank.

Clara, welche vor einigen Tagen an Susanna geschrieben, grüßt mit mir und meinen Kindern Dich und Dein ganzes Haus insgesamt.

In herzlicher Liebe Dein Bruder

Immanuel