Ich möchte mich an Deinem Geburtstage in gewohnter Weise bei Dir einfinden und Dir meinen herzlichen Glückwunsch bringen. Sodann ich hierbei überlege, daß nun wieder ein schönes Lebensjahr verflossen ist, fällt mir mit Schrecken ein, daß Du nun 30 Jahr alt wirst. Mensch, bemoostes Haupt, halt ein! Du wirst ja erschrecklich alt, und ich muß unvermeidlich Dir folgen. Wie oft möchte ich der Zeit einen Hemmschuh anlegen. Doch können wir uns noch trösten, wenn wir die Zeit nicht vergeudet haben. Hast Du aber auch daran gedacht, daß das 30ste Jahr das Hochzeitsjahr des Menschen ist? – Nun wie es auch sei, ich wünsche, daß Du den festlichen Tag im Kreise Deiner Freunde recht froh verleben mögest.
Von den entfernten Freunden habe ich in den letzten Tagen mancherlei Nachrichten erhalten. Cosimo schickte mir einen Brief von Schmidt zu, er schreibt, daß ihm der Winter im gemüthlichen Familienleben auf das glücklichste verflossen sei, daß er es jedoch dort Livland, in Ermangelung jeder Kunst und Philosophie nicht auf die Dauer aushalten könne | und im Sommer nach Deutschland zurückkehren werde, um sich in Heidelberg niederzulassen; ob er sich dort habilitiren will, bemerkt er nicht. mir thut es leid, daß er den sicheren Hafen verläßt, und was will er in Heidelberg machen? Xeller = Cosimo schreibt etwas vom Sumpf und von der Brunnenkur angegriffen; er hat sich in Jacob
Böhm vertieft. Auch von Plotho erhielt ich einen Brief, der seine baldige Ankunft ankündigt: er scheint jetzt nach Baiern aufs Freien auszugehen. Endlich hat mich Onkel Gottlieb in einem kurzen Brief gefragt, ob ich Leute in Norddeutschland kenne und weiß, die in Erlangen früher studiert haben; alle ehemaligen Erlanger Studiosen sollen aufgefordert werden, zu einem Stipendienfond zur Unterstützung armer, aber lebensvoller, Studenten beizutragen. Wenn Du welche weißt, so gieb mir deren Namen an.
Das Fest von Schulpforte soll überaus schön ausgefallen sein; den meisten Ruhm hat aber mein Oberpräsident Flottwell durch seine Reden und Toaste davon getragen. Auf seiner Rückreise kam auch der Minister Eichhorn hierher, und wohnte einer großen Sitzung des Konsistoriums, Provinzial Schul Rath und der 2ten Abtheilung der Regierung, zu der ich gehöre, gestern bei; er wollte eine Gelegenheit haben, sich mit den Provinzialbehörden über seine Prinzipien auszusprechen. Die Sitzung war überaus interessant und merkwürdig; er hielt lange Vorträge über die wichtigsten Fragen in der Kirche mit gewandter Rede und feiner Bildung. Mit den Prinzipien – Vermittlung der Gegensätze, des Negativen, welches zum Destruktiven ausarten, und des Positiven, welches erstarren kann; die Stellung der Staatsgewalt, keiner Partei anzugehören, die Denk- und Glaubensfreiheit, die Entfernung jedes Aufdringens von Glaubensrichtungen; die Entwicklung der Kirchenverfassung, Bildung von Presbyterien und Synoden; Moral und Glauben; Ehescheidungsgesetzen; Verbesserung der Gesangbücher und Katechismen – mit allem diesem, wie er sich darüber aussprach, konnten wir alle nur einverstanden sein; ich hätte meine eigenen Grundsätze kaum anders bestimmen können. Aber die Prinzipien allein machen es nicht; es kommt auf die konkrete Anwendung und die Personen, in deren Hände sie gelegt wird, an. Ihm war es dabei, wie er ausdrücklich erklärte, darum zu thun, sich über diese Grundsätze mit den Provinzialbehörden zu verständigen, sie von der Falschheit des unbegreiflicher Weise entstandenen Mißtrauens und Argwohns gegen die Absichten des Königs und des Ministers zu überzeugen und sie dringend zu ersuchen, diesen irrigen Deutungen auf das entschiedenste überall zu widersprechen. |
Gestern Abend war große Gesellschaft beim Oberpräsidenten; der Minister ließ mich ihm vorstellen, sagte mir, daß er Vortheilhaftes von mir gehört habe, erkundigte sich nach unserer Familie, dem Befinden und Aufenthalt der Mutter, sprach von Nürnberg und
Schwaben, und indem er mir auf die Schulter klopfte und die Hand drückte, versicherte er mir sein Wohlwollen und daß er hoffe, Gelegenheit zu finden, mir seine Theilnahme zu beweisen; (dies bitte ich jedoch, nicht weiter zu erzählen) das will ich dann ruhig abwarten. – Meine Ernennung zum Bezirkszensor habe ich noch nicht; inzwischen habe ich einen anderen Auftrag erhalten, der zwar ganz ehrenvoll ist, mir aber doch sehr komisch und eigenthümlich vorkam; ich bin nemlich Mitglied der Examinationskommission für die Regierungsreferendarien geworden; einen Referendar habe ich bereits gemacht, einen 2ten werde ich am 8ten Juni vornehmen, und von einem 3ten habe ich auch bereits die schriftliche Arbeit zur Censur. Ich glaube, daß die Herrn Referendare sich beleidigt fühlen, von einem jungen Assessor examinirt zu werden; mir macht es Vergnügen und ich habe dadurch eine Veranlaßung, die alten Compendien und Hefte wieder anzusehen und Theorie zu repetiren.
Grüße Wunderlich bestens, ebenso Karstens und
Kierulffs; laß es Dir wohl gehen, lieber Karl, und schreibe bald
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Magdeburg52.1315889,11.6399609Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen an der Elbe und Sitz des Regierungspräsidiums Magdeburg, etwa 150 Kilometer westlich von Berlin gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Xeller, Johann ChristianChristian Johann Xeller11693924917841872Xeller, Johann Christian (1784–1872), auch Cosimo oder „Pater Cosimo“ genannt, war ein aus Biberach gebürtiger Maler und Restaurator, von dem auch ein nicht mehr erhaltenes Gemälde Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) stammte, nach dem Friedrich Wilhelm Bollinger (1777–1825) einen berühmten Kupferstich des Philosophen gefertigt hat (Heidelberg 1819).
Böhme, Jacob11851257915751624Böhme, Jacob (1575–1624), in der Nähe von Görlitz geborener deutscher Mystiker und Philosoph.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Eichhorn, Johann Albrecht FriedrichJohann Albrecht Friedrich Eichhorn10433526217791856Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich (1779–1856), in Wertheim geborener Staatsmann, der von 1840 bis 1848 preußischer Staatsminister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten war; in Erfurt war er 1850 im Unionsparlament für das Königreich Preußen Mitglied des Staatenhauses und dessen Alterspräsident.
Friedrich Wilhelm IV., König von PreußenFriedrich Wilhelm IV., König von Preußen11853599417951861Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), war von 1840 bis 1858/61 König von Preußen.
Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich WalterAgathon Gottlob Friedrich Walter Wunderlich11735444918101878Wunderlich, Agathon Gottlob Friedrich Walter (1810–1878), in Göttingen geborener Sohn des Klassischen Philologen Ernst Karl Friedrich Wunderlich (1783–1816) und Bruder des preußischen Konsistorialpräsidenten Oskar Wunderlich († 1882). Er war von 1842 bis 1847 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Rostock, vorher vier Jahre an der Universität Basel und ab 1847 an der Universität Halle, bevor er 1850 Richter am gemeinschaftlichen Oberappellationsgericht der vier Freien Städte des Deutschen Bundes in Lübeck wurde.
Karsten, Adele-18371895Karsten, Adele (1837–1895), Tochter Hermann und Theodora Karstens.
Karsten, HermannHermann Karsten11618688718091877Karsten, Hermann (1809–1877), in Breslau geborener Mathematiker, Physiker und Mineraloge, der von 1826 bis 1829 an den Universitäten Bonn, Berlin und Königsberg Rechtswissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften studierte, 1829 promoviert wurde und sich 1830 an der Universität Rostock habilitierte. 1831 wurde er außerordentlicher Professor, war von 1836 bis 1877 Ordinarius für Mineralogie, Physik und Mathematik an der Universität Rostock und war deren oftmaliger Rektor. Er war der Bruder von Emilie Beseler (1816–1900), geb. Karsten, der Ehefrau Georg Beselers (1809–1888) und somit dessen Schwager. Hermann Karsten war verheiratet mit der Pastorentochter Theodore Berg (1817–1867) aus Wustrow an der Ostsee gelegen, mit der er mehrere Kinder hatte.
Kierulff, Amalie Friederike Caroline, geb. Christiansen
-1880Kierulff, Amalie Friederike Caroline, geb. Christiansen († 1880), ab 1830 verheiratet mit dem Juristen, Politiker und Gerichtspräsidenten Johann Friedrich Martin Kierulff (1806–1894).
Kierulff, Johann Friedrich MartinJohann Friedrich Martin Kierulff11616908718061894Kierulff, Johann Friedrich Martin (1806–1894), Jurist und Politiker, 1842/43 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Rostock, ab 1843 Oberappellationsgerichtsrat, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments, 1852/53 Vizepräsident des mecklenburgischen Oberappellationsgerichts in Rostock, von 1853 bis 1879 Präsident des gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts der vier Freien Städte des Deutschen Bundes in Lübeck.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
Heidelberg49.4093582,8.694724Alte Universitätsstadt am Neckar, seit 1803 zum Großherzog Baden gehörend und mit Eisenbahnanschluß seit 1840. Circa 90 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, war die Stadt mit ihrer malerischen Schloßruine einer der Hauptorte der Romantik.
Bayern (Baiern)Das Königreich Bayern bestand von 1806 bis 1918.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Schulpforta (Schulpforte)51.1418502,11.7494455Zwischen Kösen und dem fünf Kilometer ostwärts gelegenen Naumburg an der Saale gelegenes Zisterzienser-Kloster aus dem 12. Jahrhundert, in dem Herzog (ab 1547 Kurfürst) Moritz von Sachsen (1521-1553) im Jahre 1543 eine von drei sächsischen Fürstenschulen gründete, das Internatsgymnasium Pforta.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Schwaben (Schwabenland)Landschaft im Südwesten Deutschlands, zwischen dem Bodensee im Süden und Hohenloher Land im Norden, dem Schwarzwald im Westen und dem Fluß Lech im Osten gelegen.
KonsistoriumOberste kollegiale Verwaltungsbehörde einer evangelischen Landeskirche, durch die der Landesherr sein ihm zustehendes Kirchenregiment ausübte.
Provinzial-SchulratOberste Schulbehörde einer preußischen Provinz, z. B. für die Provinz Sachsen in Magdeburg.
PresbyterienKollegien von Laien zur Führung der Geschäfte einer Kirchengemeinde.
SynodeVersammlung von gewählten Laien und Geistlichen zur Leitung und Verwaltung der evangelischen Kirchen auf verschiedenen Ebenen, u. a. Stadt-, Provinzial- und Generalsynoden.
Zensor, ZensurBeamter bzw. Behörde zur Kontrolle von Druckerzeugnissen.