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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Berchtesgaden, 24. August 1871

Lieber Manuel!

Vorgestern erhielt ich hier Deinen lieben Brief aus Barzdorf vom 18. August1, woraus ich entnehme, daß Ihr auf der Rückreise nach Berlin begriffen ward, sehr befriedigt von Eurem ländlichen Badeaufenthalt in Johannesbad und einer nachfolgenden Gebirgstour, von welcher Ihr in dem Richthofen’schen Hause ausruhen konntet. Wir, d. i. meine Frau und ich, sind nun seit 10 Tagen von Erlangen fort und seit einer Woche in dem herrlichen Berchtesgaden. Unsere Reise ging am ersten Tage mit einem mehrstündigen Aufenthalt in München, wo wir mit vielen Anderen den Fürsten Bismark mit einem dreimaligen Hoch vor den 4 Jahreszeiten begrüßten – bis Traunstein, und von dort, wo wir wieder mit Fürst Bismark nebst Frau und Tochter zusammentrafen und mit ihnen weiter fuhren, am folgenden Tage bis Reichenhall. Hier verweilten wir einen Tag, um uns an dem von Fremden und Juden überfüllten Ort umzusehen; ich zeigte Susanna, welche zum ersten Mal in diese Gegend gekommen ist, auf dem Wege nach St. Zeno das Häuschen, wo Du einst mit der seligen Friederike wohntest; wir tranken Schomlauer2 in dem anmuthigen Groß Gmain und folgten auf anderem Wege dem raschen Lauf der Salach in entgegengesetzter Richtung bis zum Molkenbauer. Am Nachmittag überfiel uns heftiger Regen, der aufs neue begann, als wir eng eingepfercht im Postwagen am Abend hierher fuhren. Wir logirten in der Post3, wo ein Altan die entzückendste Aussicht auf den Watzmann und die grünen Vorberge und in das Thal der Ache vorm Königssee eröffnet und fanden am folgenden Tage ein ländliches Unterkommen beim Hutmacher Gober – denn auch der hiesige Ort ist stark von Fremden, zum Theil von abgelecktester österreichischer Civilisation, heimgesucht. Unser Zimmer nebst Alkoven und Balcon ist von einem schönen Apfelbaum umrankt, durch dessen grüne Blätter die hohen Berge hereinschauen. Das Wetter ist wechselnd, wir hatten drei schöne sonnige Tage und vor diesen und nachher Regentage, an einem der ersteren machten wir einen Ausflug nach dem grünen Königssee und zu Schiff auf diesem nach Bartholomä; in der Regel beschränken wir aber unsere Spaziergänge auf den Nachmittag und nehmen morgens ein Soolenbad. Bekannte haben wir bis jetzt nur zwei gefunden: einen pfälzischen Rentbeamten und Professor Usinger aus Kiel, der mich gestern aufsuchte. Doch erwarten wir noch Grundherrs, Friedrich und Lina mit ihrer Tochter Rosa, welche unsere liebe Mutter am Montag4 nach Kohlgrub gebracht haben, wo Löffelholzens mit unserem Luischen sich aufhalten – und von dort nach Salzburg zu Holzschuhers und auch in die hiesige Gegend kommen wollen. Wir erwarten ferner Euren Willi, dessen Kommen uns große Freude machen würde. Doch vor kurzem wußte, wie es scheint, noch Niemand, was er eigentlich vor habe. Ein an ihn adressirter Brief aus Arolsen war nach Erlangen gerichtet und wurde uns hieher nachgeschickt. Ich ließ ihn liegen, bis auf weiteres und erschrak als ich in diesem Brief las, daß Du ihm sein Reisegeld nach Arolsen geschickt habest. Möglicher Weise konnte das Reisegeld nun bis hieher gekommen sein! Also öffnete ich den Brief und fand, daß er von Adalbert am 13. August geschrieben war, der sich als „Dein ärgerlicher Onkel“ unterzeichnet, ärgerlich wegen getäuschter Erwartung Willi bei sich zu sehen. Wie kann das sein, da Willi, wie Du mir schriebst, keinenfalls vor dem 13. (am 12. war das Germanenfest) von Göttingen abreisen wollte? Jedenfalls erwartete Adalbert, daß Willi nach Erlangen reisen werde, wo er uns leider nicht mehr getroffen, aber doch fünf von unseren Kindern gesehen hat. Ich denke, er wird von Nürnberg weiter nach Simmelsdorf gegangen sein, dann nach München und Oberammergau, wohin jetzt der große Fremdenzug ist; dort in der Nähe liegt Kohlgrub, das er gewiß besuchen wird, dann Partenkirchen unter der Zugspitze: von hier kann er entweder über Innsbruck durch das Innthal hinüber nach Lofer und Reichenhall oder über Walchen- und Kochelsee nach Tölz, Tegernsee, Miesbach an die Eisenbahn nach Rosenheim – Salzburg, was vielleicht vorzuziehen wäre.

Wenn ein Brief von Dir ihn nicht erreicht, ehe er zu uns hieher kommt, so unterlasse nicht, ihm unsre Wohnung bei Hutmacher Gober anzugeben, damit er uns sofort zu finden weiß.

Susanna vereinigt ihre herzlichen Grüße mit den meinigen und bedauert, daß wir uns nicht bei unserem beiderseitigen Sommeraufenthalt zusammen finden können: doch vielleicht ein anderes Mal!

Treulich
Dein Bruder Karl.