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Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, und Immanuel Hegel, Göttingen, 13. Oktober 1837

Liebe Mutter und theuerster Manuel!

Ich kann mir denken, daß Ihr eher mich selbst in Person, als einen Brief von mir erwartet, da nach meinem letzten Brief meine Abreise von hier so nahe bevorstehend zu sein schien. Diese nun hat sich bisher immer verschoben, und schiebt sich auch jetzt noch etwas. Ueber 8 Tage lang waren wir in beständiger Erwartung von Beseler’s Ankunft; endlich erhalten wir einen Brief vom Rhein, worin er uns anzeigt, daß er eine Rheinreise bis nach Cölln mache und von da zu uns kommen werde. Tags drauf kommt ein andrer Brief aus Cassel, welcher meldet, daß Beseler sich daselbst krank niedergelegt habe: Dort ist er nun bereits 8 Tage; ich war unentschlüssig, ob ich hinüber reisen sollte und dann von da nach Berlin zurück. Das will Gervinus durchaus nicht zugeben, und ich selbst kann mir das Vergnügen nicht versagen, mit beiden hier zusammen zu hausen. Dennoch werde ich wahrscheinlich am Sonntag nach Cassel hinüber, um mit Beseler noch ein Mal zurückzukehren. Ueber meine Abreise von hier nach Berlin kann ich also das Nähere noch nicht bestimmen, als daß ich entweder am 18ten October oder am 22ten (dieses ist wahrscheinlicher) mich von hier trennen werde.

Indessen habe ich mich hier ganz häuslich niedergelassen;

Vormittags arbeiten wir auf der Stube, Nachmittags werden große Spaziergänge unternommen, Abends in Gesellschaft. So geht’s alle Tage, und es läßt sich leidlich dabei bestehen, wie ihr denken könnt. Ich komme mir vor, wie Odysseus bei den Phäaken1. Doch würde ich das Gastrecht nicht so lange in Anspruch nehmen, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß es Gervinus je lieber ist, je länger ich meinen Aufenthalt bei ihm mache, besonders eben jetzt in Abwesenheit seiner Victorie. Auch ist Berlin kein Ithaka. Doch nichts davon!

Die Erwartung von Beseler hat uns um die Fußparthie nach Thüringen gebracht und die Reisegesellschaft, (Hofrath Dahlmann, Professor Ribbentropp) welche uns begleiten wollten, hat sich zu einer weiteren Reise nach Nürnberg aufgemacht. Die Gelegenheit war schön, die Aufforderung an mich, der 4te Mann von der Parthie zu sein, sogar dringend – doch habe ich widerstanden, um mir nicht zu viel nachzugeben, oder eigentlich, weil der Beutel nicht so weit reichte, und weil die Rückreise (nach Berlin) für mich unerfreulich gewesen wäre, weil ich Beseler nicht gesehen hätte und weil ich dachte, mit Einer Reise seie es genug für Ein Mal.

Die also habe ich abfahren lassen und werde sie wohl noch hier wiedersehen. Frau Dahlmann und ihre Tochter sind hier geblieben; wir treffen fast alle Abend mit ihnen zusammen, vorgestern bei Grimm, wo auch Professor Ritter und Frau (die neue Acquisition für die Philosophie in Göttingen) zugegen waren. Beide letztern gefallen sehr wohl und haben auch auf mich einen angenehmen Eindruck gemacht. –

Böckh’s waren hier und wohnten bei Hofrat Müller; ich wollte sie besuchen, als gerade Böckh wegen Rheumatismus und Zahnweh sich eine Spanische Fliege ansetzen ließ; ich wollte wiederkommen, da waren sie schon abgereist.

Die guten Nachrichten von Euch haben mir viel Freude gemacht. Ich danke Euch ganz besonders für die Besorgung meines Geschäfts in Potsdam und freue mich, daß die Fahrt dahin Euch Vergnügen gemacht hat und Euch zur Erholung gereicht hat.

Die Herbstabende sind wegen der wundervollen Himmelsbeleuchtung ganz besonders schön. Ich glaube oft, mich mitten in Italien zu befinden, so schön sind die Farben des Gebirgs am Abend, so duftig das weite Wiesenthal, in welchem Göttingen liegt, so rein und hell dabei die Luft, so scharf die Umrisse der Berge und so abgestuft die Formen. Cosimo würde oft in Entzücken gerathen. Diesen und Hotho und Schmidt und Geisler bitte ich bestens zu grüßen. Daß sie Deiningers Hochzeit und meine Ankunft zugleich celebrieren wollen, freut mich, denn die Lust wird dann doppelt sein, sonst bin ich auch bereit Jedes in separato zu feiern.

Für die nächsten Tage werde ich damit beschäftigt sein, Dissen’s Bibliothek durchzustöbern und, wenn Zeit bleibt, sie benutzen.

Mein Freund, der Assessor Wunderlich hat mir den Zutritt dazu eröffnet.

Die Zeit meiner Ankunft werde ich in meinem nächsten Brief näher bestimmen können. Lebt recht wohl und bleibt gesund.

 Euer getreuer Karl.