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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 11. Juli 1877

Lieber Karl!

Dein lieber Brief vom 22sten vorigen Monats1 hat uns durch die etwas besseren Nachrichten von dem Befinden der lieben Susanne sehr erfreut und wir wünschen herzlich, daß diese Beßerung Stand gehalten und fortgeschritten sein möchte. Ich kenne diesen Wechsel zwischen Sorge und Hoffnung, und man darf auch in der That die Hoffnung niemals schwinden lassen, da zuweilen bei solchen Leiden eine überraschende Wendung eintritt. Für die Gemüthsstimmung ist es dabei gewiß das Beste, sich durch Arbeit zu beschäftigen und das Herz durch völlige Ergebung in den gnädigen Willen Gottes stille zu machen.2

Um Dich in der Herausgabe der Briefe unseres Vaters zu unterstützen, habe ich nach den Jahrgängen der Bamberger Zeitung von 1807 und 1808 gründliche Nachforschung angestellt, sie aber insbesondere in dem großen Kasten, in welchem sie sich früher bei dem handschriftlichen Nachlaß etc. befanden, nicht gefunden. Es ist mir dabei eine dunkle Erinnerung aufgetaucht, daß ich die genannte Zeitung Dir schon vor längerer Zeit, als zuerst von der neuen Herausgabe der Briefe die Rede war, geschickt hätte. Ich kann mich darin irren, aber jedenfalls befindet sie sich nicht mehr in meinem Gewahrsam. Solltest Du sie auch nicht besitzen, so würden sie wohl am ehesten auf einer Bibliothek in Bamberg zu ermitteln sein. Auch überflüssige Exemplare von Band 17 der Werke3 und von Rosenkranz Biographie4 kann ich Dir nicht verabreichen; ich könnte Beides Dir aber, wenn Du es wünschtest, hier wohl antiquarisch verschaffen, vermuthe aber, daß Band 17 nicht allein, sondern nur zusammen mit Band 165 zu kaufen sein würde.

Wir fangen jetzt an, uns zur Sommerreise zu rüsten, und sehnen uns sehr herauszukommen. Ich bin in ungewöhnlichem Maaße verbraucht und angegriffen, und bedarf dringend der Stärkung und Erholung. Dabei bin ich noch der Maaßen von Arbeit belastet und vielfach in Anspruch genommen, daß ich kaum mehr weiß durchzukommen, und das wird mit der neuen Organisation der Kirchenbehörden nur noch schlimmer werden. Diese Arbeit beruht aber allein in der Pflicht und des Broderwerbs, ohne Befriedigung und Freudigkeit, da ich überall nur den Verfall und die Verwüstung der Kirche vor Augen habe. Welche Wohlthat hätte mir der Kaiser erwiesen, wenn er mich aus dem Amt entlassen hätte! Doch nun muß ich aushalten in Geduld und Treue, und darin auch des Herrn Willen und Fügung erkennen. Seine Wege und Gedanken sind nicht unsere Wege und Gedanken!

Die Waldenburger Kinder haben eine Wohnung für sich und uns gemiethet bei Gerbersdorf, einem Kurort für Schwindsüchtige, in einem schönen Thal zwischen waldigen Bergen, im Kreise Waldenburg gelegen. Meine Frau und Clärchen denken am 21sten dieses Monats sich dorthin zu übersiedeln und ich hoffe am 28ten dieses Monats nachfolgen zu können, um erst dort 14 Tage und dann 3 Wochen in dem nahe erreichbaren Johannisbad zu verweilen. Am 1sten September beabsichtigen wir zurükzukehren. – Willi wird bis dahin hier bleiben; er hat die Vertretung des Justizrathes, Rechtsanwaltes Wilke für Juli und August übernommen und wünscht dann mit Hülfe der verdienten Remuneration sich etwas an der Nordsee zu erholen.

Die letzten Wochen haben uns mehrfachen Besuch von durchreisenden Verwandten gebracht: Pauline mit Kindern, die von Kreuznach gestärkt nach Lautensee zurükkehren; Adalbert mit Ella und Kindern, die die Geschwister Arnim6 in der Ukermark und dann ihre Schwiegereltern in Uebigau bei Dresden aufsuchen. Adalbert ist sehr wohl und von seiner Stellung in Marienwerder ganz befriedigt. – Auch Frau von Mellenthin besuchte uns, welche einen längeren Aufenthalt auf Augusts Feldmühle gepflegt und dann die Tucherschen Verwandten in München und Nürnberg besucht hatte, und sich in jeder Beziehung sehr befriedigt aussprach, namentlich auch über den glüklichen Hausstand ihrer Kinder auf der Feldmühle. Es hat mich dies sehr gefreut; denn es war etwas bange, ob die junge Frau, an andere Kulturverhältnisse gewöhnt, sich dort gut einleben würde. Verwunderlich sind die auch uns angezeigten Ehen der Leitheimer Kinder Max mit Fräulein Mämpel und Marie mit Dr. Fleischmann; wenigstens kann man bezweifeln, ob diese Verbindungen der hochfeinen Tante Frieda sympathisch sind. Eine Hochzeit oder wenigstens einen Polterabend hatten wir in voriger Woche mitzumachen bei Lepsius, wo sich die zweite Tochter Lilli mit einem jungen Prediger Siegel verheiratete, welchem wir eine Stelle in Tegel gegeben haben. Willi polterte mit als Herold und war ein Brautführer. Es war ein recht erfreuliches Fest.

Clara und die Kinder grüßen herzlich und wir alle senden der lieben Susanne auf ihrem Krankenlager die innigsten Segenswünsche.

In treuer Liebe
Dein Bruder
Immanuel