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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Seelisberg, 1. September 1875

Lieber Karl!

Deinen lieben Brief1 habe ich in Wildbad mit herzlichem Danke erhalten, und mich sehr gefreut, daß die Hochzeitsfeier2 in jeder Beziehung befriedigend verlaufen ist. Es ist immer ein großes Ereigniß im Hause mit Allem was vorausgeht und nachher folgt, und es ist ein großes Glük, wenn man als Hausvater es mit Freuden und Dank ausführen und mitmachen kann. Die Lüke, welche wir durch unsere Abwesenheit vornehmlich zu bedauern hatten, ist nun auch durch unser überraschendes Zusammentreffen mit dem jungen Ehepaar auf dem Kulm des Rigi glüklich ausgefüllt; wir haben beide als Erlanger begrüßen können und den trefflichen Felix kennen gelernt. Er hat uns sehr wohl gefallen in seinem verständigen und gebildeten, unbefangenen und natürlichen Wesen, welches in Allem bei heiterer Freundlichkeit einen klaren Geist, sicheres Urtheil und selbstständigen Charakter erkennen läßt. Wir blieben mit ihnen, nachdem wir noch am Montag3 Morgen den herrlichen Anblick der fast wolkenfreien Alpenketten genossen hatten, den Tag über beisammen, fuhren auf dem Vierwaldstätter See bis Flüelen, aßen dort in einem guten Hotel zu Hause und trennten uns bei Treip, von wo, während sie nach Luzern zurückkehrten, um nach dem Berner Oberland zu wandern, wir bei ströhmenden Regen hinauf nach Seelisberg fuhren und auch in dem großartigen Hotel Trautmann zu Sonnenberg glüklich Aufnahme fanden.4 Wir erhielten sogar am folgenden Tag ein Zimmer mit Balkon, von wo wir unten den See zu unseren Füßen erblicken, gegenüber der mächtige Axelfels, links die Mythen und zu ihren Füßen das weiche Thal von Schwyz und Brunnen am Ufer des Sees, rechts in der Ecke Flüelen mit der Öffnung des Reußthales, von großartigen Gebirgsketten eingeschlossen. Es ist ein bezaubernder Anblick, von dem man sich gar nicht trennen möchte. Aber auch die nächste Umgebung mit schattiger schöner Waldung bietet die herrlichsten Spaziergänge mit wundervollen Aussichten auf den See und die Alpenketten.

Um den Reisebericht noch zu vervollständigen bemerke ich, daß wir an Donnerstag5 Nachmittag von Wildbad abreisten; so freundlich und angenehm es hier zu leben ist, so war ich doch froh wegzukommen; die 18 Bäder, und wohl auch die Hitze hatten mich sehr angegriffen. Den ersten Tag fuhren wir nur über Pforzheim bis Calw, einem freundlichen alten gemüthlichen schwäbischen Städtchen; am Freitag auf der Nagold- Bahn über Horb, Rottweil, Tuttweiler, Singen, Schaffhausen nach Neuhausen am Rheinfall. Durch die lieblichen Thäler des Schwarzwalds führt diese interessante Bahn die Nagold hinauf, durchschneidet das Thal des Neckar und der Donau. Bei Singen steigt der stolze Fels des Hohentwyl großartig und gigantisch aus der schönen reichen Landschaft empor. In Neuhausen kehrten wir im Schweizerhof ein, einem schönen Gasthof in großem Styl, gerade gegenüber dem Rheinfall, der hier von der Sonne glänzend beschienen einen außerordentlich schönen Anblick gewährte. Am Sonnabend setzten wir die Reise ohne Aufenthalt über Zürich nach Luzern fort und bestiegen gleich das Dampfboot, um in Vitznau am Fuße des Rigi zu landen. Wir hielten hier bei schönem Sonnenwetter am Ufer des Sees behaglich unseren Mittag und fuhren am Nachmittag die ebenso merkwürdige, als ungefährliche Rigibahn bis zum Kulm hinauf, wo wir im Hotel Rigi-Kulm ein sehr gemüthliches Unterkommen, auch verhältnißmäßig wohlfeil fanden.

Morgen Donnerstag wollen wir hier früh aufbrechen, und über Luzern, Zürich bis Friedrichshafen am Bodensee fahren; am Freitag über Ulm bis Nördlingen, am Sonnabend nach Nürnberg, wo wir Vormittags um 10.47 Uhr anzukommen beabsichtigen, uns übrigens in völligem Incognito verhalten und nach dem Mittagessen um 1,30 Uhr nach Lauf mit der Eisenbahn und von hier mit irgend welcher Fuhrgelegenheit nach Simmelsdorf fahren wollen, wo wir noch bei guter Tageszeit anzukommen hoffen. Onkel Gottlieb habe ich hiervon benachrichtigt: In Simmelsdorf kann ich bis Donnerstag den 9ten September verweilen; wir werden dann aber Euch in Erlangen und die lieben Verwandten in Nürnberg nur kurz begrüßen können; von unserer Durchreise in Erlangen werden wir Euch von Simmelsdorf aus benachrichten.

Die herzlichsten Grüße von Clara und mir der lieben Susanna und Deinen Kindern.

In treuer Liebe
Dein Bruder
 Immanuel