Wir glauben Deinen Wünschen entgegenzukommen, wenn wir Dich nicht lange auf Nachrichten warten lassen. Heute haben wir die ersten drei Wochen hinter uns, und wir können nur Gott danken, daß wir dieses Ziel so glücklich erreicht haben. Unser Töchterchen gedeiht bei der reichlichen Nahrung, die die Mutter ihm geben kann, ganz prächtig und entwickelt sich zusehends; das liebe Kind mit seinen klaren vollen blauen Augen ist unsere Herzensfreude, und Du wirst es gewiß auch lieb gewinnen, wenn Du es erst kennen lernst. Es führt sich im Ganzen recht artig auf, macht auch in der Nacht wenig Unruhe, obwohl es zuweilen den Beweis liefert, daß es auch kräftig schreien kann. So eben macht es in meiner Stube, in einem Korb neben Friederike gestellt, den Anfang zu einer solchen Schreiübung; dabei strampelt es dergestalt mit seinen Beinchen, daß der Korb kracht. – Vorgestern bei sehr warmem schönem Wetter machte sie den ersten Gang ins Leben, indem sie hinunter in den Thiergarten getragen wurde; es war ein großes Familienfest. Friederike hatte sich dabei auf den Balkon gesetzt; mit ihrer Bekräftigung geht’s bei der sorgsamsten Pflege beider Mütter täglich vorwärts. – Sie marschiert schon im Zimmer ganz wacker herum.
Wir haben inzwischen recht bewegte Tage gehabt. Flottwell sein Amt als Finanzminister niedergelegt1 und nach Münster als Oberpräsident von Westphalen geht.2 Du kannst Dir denken, welche Bewegung und Aufregung dieses Ereigniß in unserer Familie hervorgebracht hat. Der Hergang ist folgender: Vor der Reise nach Preußen überreichte Flottwell dem König eine Denkschrift, in welcher er sich offen über seine Stellung aussprach und mit der Erklärung, daß er weder das Amt des Finanzministers in seiner jetzigen Gestalt zur Zufriedenheit seines Königs verwalten, noch die dabei auf ihm lastende Verantwortlichkeit mit seinem Gewissen vereinigen könne, dem König seine Vorschläge wegen Veränderung der Organisation des Ministeriums vorlegte. Er zeigte darin die Nothwendigkeit, die Finanzkräfte des Staats und ihre Leitung in eine Hand zu legen, mit besonderer Rücksicht auf die schwierigen Geldverhältnisse der Gegenwart, und die bevorstehende Einberufung der Reichsstände3, denen der Finanzminister Rechenschaft abzulegen haben würde; er könne aber die Verantwortlichkeit nicht übernehmen, wenn er nicht auch die C-Bank4 und Seehandlung mit Staatsschulden, und den Staatsschatz zu verwalten habe. Von letzterem und dessen Verwendung weiß der Finanzminister nichts. Die letzten Verhandlungen über die neue Bankeinrichtung5 haben das Bedürfniß, die jetzige Theilung der Finanzverwaltung unter 3 verschiedene Minister aufzuheben, besonders fühlbar gemacht. Endlich verlangte Flottwell, daß dem Finanzminister in wichtigen Finanzmaaßregeln der Vortrag im Cabinet des Königs gestattet werde, indem auf ihm eine ganz besondere Verantwortlichkeit laste, und es ihm höchst hinderlich sein müßte, wenn seine Anträge durch ein fremdes Organ, nemlich den Cabinetsminister, welcher häufig den Gegenstand nicht durchdringe oder ungenügend auffasse, dem König vorgetragen würden. Dies ist ein besonders wichtiger Punkt, und es ist daraus zu sehen, daß, wenn die Cabinetseinrichtung fortbesteht, noch große Uebelstände daraus entspringen werden. Bei dem Charakter des Königs haben die Cabinetsminister einen ganz überwiegenden Einfluß: es wäre noch besser, wenn nur ein Minister im Cabinet wäre; nun haben aber unter den Cabinetsleuthen 2 Minister nemlich Thiele und Bodelschwingh, abgesehen vom Kriegsminister6 und auswärtigen Minister7, welche ihre eigenen Sachen referiren, den Vortrag und jene beiden sind dann ihren Aufgaben nicht gewachsen, am wenigsten Thiele, welcher in vielen Dingen unglaublich bornirt ist. So von allen Seiten gehemmt, erkannte Flottwell mit Recht, daß er das Amt nicht mit Ehren verwalten könne, am wenigsten in einer so kritischen Zeit, wie die jetzige und nächstzukünftige. Daneben machte er den Vorschlag, vom Finanzministerium, wenn es in der erwünschten Weise vervollständigt würde, die Handels- und Gewerbeverwaltung zu trennen, bei welcher der Finanzminister häufig mit seinen Pflichten als Finanzverwalter in Collision trete, und damit die Berg- und Postverwaltung zu vereinigen; es hatte sich als ein Uebelstand gezeigt, wenn letztere die Post in einer isolirten Stellung, getrennt vom Handelswesen verwaltet werde und es seien viele Mißbräuche darin eingerissen, welche nach dem Abgang von Nagler eine kräftige Führung des Departements erforderten. Dieses neue Ministerium hatte sich eigentlich Flottwell im Stillen ausgedacht.
Das Kurze der Sache ist, daßNach seiner Rückkehr von Preußen fand nun Flottwell eine Kabinetsordre vor, in welcher alle seine Ueberlegungen verworfen, aber bestehende Einrichtungen als zweckmäßig und durch die Erfahrung erprobt bezeichnet wurden, mit der Zeittung8, daß, da er es mit seinem Gewissen unverträglich finde, unter solchen Umständen das Amt fortzuverwalten, davon auf seinen Wunsch entbunden und ihm ein anderer angemessener Wirkungskreis angewiesen werden sollte. Dies hatte Thiele, mit dem Flottwell noch vor kurzem ein scharfes Rencontre9 gehabt, zu Stande gebracht. – Auf ein sehr aner…thes Schreiben erhielt nun Flottwell eine besondere Audienz beim König, in welcher dieser sich sehr gnädig gegen ihn aussprach und eigentlich erklärte, daß seine Vorschläge ganz mit seinen Ansichten übereinstimmen, er aber die jetzige Zeit zu ihrer Ausführung nicht für geeignet halte. Da Schaper Generalpostmeister wird, so geht nun Flottwell mit Beibehaltung seines Ranges und Gehalts nach Münster. Inzwischen ist nun auch Bodelschwingh zum Minister des Innern definitiv ernannt und hat dabei, was Flottwell nicht erreichte, den Cabinetsvortrag dabei behalten. Wer nun Finanzminister ohne letzteren werden will und soll, ist noch nicht bekannt. Vor dessen Ernennung und Eintritt wird auch Flottwell nicht abziehen.
Wenn es uns nun auch schmerzlich ist, uns von Flottwell trennen zu müssen und den vielen Annehmlichkeiten zu entsagen, welche uns aus diesem täglichen Verkehr erwuchsen, so können wir uns doch nur darüber freuen, daß der Vater mit kräftigem Muthe die Stellung aufgegeben hat, in welcher er sich aufgerieben haben würde und viele Widerwärtigkeiten erfahren hätte. Vielleicht kommt bald eine Zeit, in welcher man ihn zu seinem Triumph zurückrufen wird. Der jetzige Schritt vermehrt unendlich die Popularität, welche er bereits genießt. Die Sache erregt allgemein die größte Sensation, und wird einen tiefen moralischen Eindruck zurücklassen. Noch besser wäre es, wenn die Verhältnisse es dem Vater erlaubten, ganz seinen Abschied zu nehmen. Auch hätten wir eine andere Provinz, wie Westphalen für ihn gewünscht, wo er mit einem dummen Pfaffenthum und einem rohen anmaaßenden Adel zusammenkommt. –
Die Mutter Flottwell wurde von der Nachricht dieser Veränderung ganz zerschmettert und lag mehrere Tage desperat und elend darnieder; die Trennung von uns, der große weite Umzug mit allen seinen Beschwerden, die Entfernung von ihren nächsten sonstigen Angehörigen wie Adalbert, Hermann, Trinkler, Theodor, …10, welche sich in Berlin leicht einfinden konnten, die Besorgnis, daß nun Trinkler ihr auch Mariechen entziehen könnte, alles dies brach ihr förmlich das Herz und ihr trostloser Zustand versetzte das ganze Haus in Trauer. Allmählich hat sie sich aber erholt und unserm Zureden Gehör geschenkt; sie ist jetzt, wenn auch wehmüthig gestimmt, doch gefaßt.
Friederike hat sich bei allen diesen Aufregungen recht tapfer gezeigt; wir werden nun ein recht ruhiges Leben in Zukunft führen können, was wir als einen unverkennbaren Vortheil ansehen. Wir behalten ja auch noch unsere gute Mutter.
Am nächsten Dienstag den 21sten dieses Monats Nachmittags 5 Uhr soll bei uns Taufe sein, und da magst Du zu dieser Stunde hierher denken und uns mit Deinem Wunsche begleiten. Die Taufe wird natürlich im Hause und ganz im Familienkreise sein; bis dahin kommen auch Bährs aus Cöslin hierher, welche der Vater zum Besuch aufgefordert hat, da sie sich nun so bald nicht wieder sehen werden. Die Taufe soll unser neuer Pastor an der St. Mathäuskirche, Superintendent Büchsel vornehmen, den wir durch seine Predigten sehr lieb gewonnen haben. Zu Pathen haben wir die Großeltern, unsere Mutter und die beiden Flottwellschen Eltern, gewählt, und wollen das Kind Maria Auguste nennen; Auguste soll im Andenken an die verstorbene Schwester Friederikes und zu Ehren der Mutter Flottwell, der gewöhnliche Name sein. Zuerst wollte ich dazu Marie bestimmen; da nun aber die Versetzung dazwischen gekommen ist, so will ich mit jener Wahl der Mutter Flottwell eine besondere Freude machen, diese Namen sind noch in der Familie ein Geheimnis bis zur Taufe. – Das Kindermädchen aus Weißenfels ist inzwischen auch eingetroffen.
Die Mutter ist recht wohl und heiter und will noch selbst schreiben. Auch aus Nürnberg haben wir gute Nachrichten. – Vor einigen Tagen war Rosenkranz auf der Durchreise nach Paris hier und suchte uns auf; bei der Rückkehr will er 8 Tage hier bleiben und dann die …11: er war sehr liebenswürdig. –
Auf die Hamburg Berliner Eisenbahn Aktien habe ich gestern die letzte Einzahlung gemacht und bin nun mit 27 rt Reichstaler für Dich im Vorschuß. – Hast Du noch Namensschuldscheine? Dann bringe sie im Herbst hierher, um neue Coupons zu besorgen. – Leb wohl! Friederike grüßt herzlich und dankt noch nach- träglich für Deine freundlichen Glückwünsche – Dein Immanuel