Berlin den 6ten Juni 1875
Lieber Karl!
In Deinem Hause ist jetzt eine festliche Zeit, wie der Wechsel des Lebens zu unserer Erfrischung auch uns solche Tage bringt, in welchen wir eine häufige Anregung zur Freude und zum Dank empfangen, Morgen wirst Du nun mit Deinem Hause wiederum Deinen Geburtstag feiern und zwar diesmal in unmittelbarem Anschlusse an das große erhebende Familienfest, dessen Feier Du uns in Deinem letzten Brief geschildert hast und an dem wir auch in der Ferne herzlichen Antheil genommen haben. Dieses Fest erinnerte zwar auch, wie es nicht wieder morgen der Fall sein wird, an die Vergänglichkeit der Zeit und den raschen Verlauf der Jahre. Es ist aber auf jeder Reise Bedürfniß, Stationen zu machen, sich ein bischen daselbst auszuruhen und den Weg zu bedenken, den man kürzlich zurückgelegt hat. Morgen hältst Du Ruhe auf dem jährlichen Haltepunkt Deines Lebens und darfst mit Dank auf die reichen Segnungen zurückblicken, welche Du besonders im verflossenen Jahr erfahren hast. Du kannst in manchem Sinne dem Wort Göthes zu- | stimmen: „Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter in Fülle.“ Möge der Segen, dessen Du Dich in Deiner Familie erfreust, durch Gottes Gnade Dir ungetrübt bewahrt bleiben und ferner in fröhlichem Gedeihen wachsen und es Dir gestattet sein, in Deinem Berufe ferner mit wuchtiger Kraft und zu Deiner vollen Befriedigung zu wirken!
Meine Frau und Kinder senden Dir auch zu Deinem Geburtstage die herzlichsten Glückwünsche. Marie verweilt heute mit ihrem Gatten bei den Eltern Bitter in ihrer Villa am Wannsee und wird dort mit ihrem Konrädchen noch den Monat Juni zubringen, da sie erst am Anfang Juli ihren Hausstand in Waldenburg einrichten kann. Rudolf kam vorgestern hier bei uns an, um nach längerer Trennung Frau und Kind wiederzusehen; er muß aber schon morgen Abend wieder nach Waldenburg zurückkehren. Es ist jetzt nicht mehr daran zu zweifeln, daß er in einigen Wochen definitiv zum Landrath daselbst ernannt werden wird. Er findet große Befriedigung in dieser Thätigkeit und besitzt auch dazu vortreffliche Gaben verbunden mit jugendlicher Thatkraft und sicherer Entschlossenheit. Der (Land-)Kreis ist auch sehr interessant, besonders durch seine Kohlewerke | und reiche Industrie von hervorragender Bedeutung und dabei sehr anziehend durch schöne Gebirgsgegend. So Gott will, werden wir künftig einen Besuch bei unseren Kindern dort mit einem Aufenthalt in Johannisbad bequem verbinden können, da dies nicht weit davon gelegen ist.
Am vergangenen Sonntag machten wir unseren Besuch in der Villa am Wannensee; es führt von Zehlendorf eine Zweigbahn nach dem Schlachtensee und Wannensee. An letzterem lag vor Zeiten die Gastwirtschaft von Stimming, wo wir in unserer Jugend auch öfters auf der Fahrt nach Potsdam Mittag gehalten haben. Diese Besitzung hat vor einigen Jahren mit glücklichem Griff der Banquier Wilhelm Conrad, Neffe von Frau Marheineke – jetzt ein reicher Millionär – gekauft, für sich selbst eine schöne Villa mit fürstlicher Einrichtung und geschmackvollen Gartenanlagen angelegt und eine Anzahl Grundstüke davon wieder an andere reiche Leute verkauft, welche sich gleichfalls zum Theil großartige Landhäuser erbaut haben. Einer von ihnen befand sich in Folge des Krachs in Geldverlegenheit und hat seine Villa mit vollständiger häuslicher Einrichtung für den sehr wohlfeilen Preis von 35.000 Talern an | Bitter verkauft. Es ist ein solides geräumiges Haus und hat eine wunderbare Aussicht auf den Wannensee, die mit zahlreichen Segeln belebte Havel bis nach Spandau hin. Ein Besuch daselbst gewährt ein anziehendes Vergnügen; eine andere Frage ist, ob es dem Vater Bitter nicht doch beschwerlich und angreifend sein werde, täglich morgens nach der Stadt und am Nachmittag wieder hinaus zu fahren. Wir trafen dort mit William Günther, der wegen der Versammlungen im Herrenhause hier noch verweilt und mit der verwittweten Präsidentin von Viebahn zusammen.
Der lieben Susanna und allen Deinen Kindern meine herzlichsten Grüße.
In treuer Liebe
Dein Bruder
Immanuel.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Goethe (Göthe), Johann WolfgangJohann Wolfgang Goethe11854023817491832Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832), auch Göthe, deutscher Dichter.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Bitter, (Hans) Rudolf, der Ältere116962293318111880Bitter, (Hans) Rudolf, der Ältere (1811–1880), in Schwedt an der Oder geborener preußischer Finanzbeamter, der nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn ab 1834 in die preußische Verwaltung in Posen, Merseburg und Köln ging, bevor er seine berufliche Laufbahn im preußischen Finanzministerium fortsetzte und es 1866 zum Ministerialdirigenten brachte. 1869 wurde er dort Unterstaatssekretär, 1873 Präsident der königlich-preußischen Seehandlung. Verheiratet war er mit Anna Bitter, geb. Nauen (1819–1885).
Conrad, Carl Heinrich Wilhelm-18221899Conrad, Carl Heinrich Wilhelm (1822–1899), in Berlin geborener Bankier, der mit dem Erwerb des Stimmingschen Gasthofes an der Straße (Königstraße) von Berlin nach Potsdam die Anlage einer Villenkolonie („Kolonie Alsen“) begann, aus der sich die Gemeinde Wannsee entwickelte.
Guenther, William Barstow13620047818151892Guenther, William Barstow (1815–1892), in London geborener preußischer Verwaltungsjurist, der nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn in die Innen- und Finanzverwaltung des Königreichs Preußen eintrat, wechselnde Verwendungen in dessen Ministerien fand und 1870 Präsident der Preußischen Seehandlung wurde. Von 1873 bis 1886 war er Oberpräsident der preußischen Provinz Posen. Er war mit Klara Guenther, geb. Jebens (1828–1912), verheiratet und hatte mit ihr zwei Söhne, die hohen Verwaltungsbeamten Georg Richard Guenther (1858–1942) und Hans Lauchlan Guenther (1864–1934).
Viebahn, Johanna Charlotte Auguste Luise, geb. Bitter
-18151897Viebahn, Johanna Charlotte Auguste Luise, geb. Bitter (1815–1897), Ehefrau des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Johann Georg Wilhelm Viebahn (1802–1871).
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Wannsee52.427822750000004,13.173066686375112Südwestlich von Berlin und nordöstlich von Potsdam gelegener See.
Waldenburg50.7659054,16.2825424Etwa 75 Kilometer südwestlich von Breslau am Rande des Riesengebirges gelegene, sich rasche entwickelnde Handels- und Industriestadt im Landkreis Waldenburg.
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Zehlendorf52.4343217,13.2589298Südwestlich von Berlin gelegene Landgemeinde an der Chaussee zwischen Berlin und Potsdam mit Bahnstation.
Schlachtensee52.44126825,13.208465992301598Im Südwesten Berlins gelegener Ort mit See, wo 1874 eine Bahnstation eröffnet wurde.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
HavelIn Mecklenburg entspringender Fluß von etwa 330 Kilometer Länge, der bei Rühstädt, etwa 120 Kilometer nördlich von Magdeburg gelegen, von Osten in die Elbe mündet.
Spandau52.535788,13.1977924Im Nordwesten Berlins an der Havel gelegene Festungsstadt.
Schloß (Herrenhausen)Aus dem 17. Jahrhundert stammendes, etwa vier Kilometer nordwestlich von Hannover gelegenes Schloß mit Großem Garten der welfischen Herzöge und Kurfürsten sowie Residenz der englischen Könige im 18. und 19. Jahrhundert.