Durch Korrespondenzkarte hast Du bereits eine kurze Nachricht von meinem Avancement zum Großvater erhalten1, und es freut mich Dir mittheilen zu können, daß ich bis heute Vormittag von Posen fortgesetzt recht gute Nachrichten empfangen habe. Die Entbindung ist normalmäßig verlaufen und das zur Welt geborne Knäblein wird als ein kräftiges wohlgestaltetes, auch nach dem Vorbilde der Großväter, mit einer ordentlichen Nase ausgerüstetes Kind gepriesen. Auch die ersten drei Tage sind ohne Störung vergangen; der Junge thut in jeglicher Beziehung seine Schuldigkeit; und die glückliche Mutter hat eine ungetrübte Freude in seinem Besitz, wie auch sein Vater mit Stolz seine ausgezeichneten Eigenschaften rühmt. Möge Gott, der Herr ihnen und uns dieses Glück gnädig bewahren!
Meine Frau verweilt jetzt schon seit 14 Tagen in Posen und es war ihr auch sehr lieb, noch eine stille Woche der Erwartung mit Marie verleben zu können. An dem Sonnabend morgen, als sie nach Posen abreiste, fuhr ich nach Magdeburg, wohin mich meine Pflichten als Vormund hinführten, da mein Neffe und Mündel Otto Trinkler, der auf der Schule nicht vorwärts kommt, eine Prüfung und Anordnungen an Ort und Stelle nöthig machte. Ich fand die alte Handels- und Festungsstadt sehr verändert, da sie durch Abbruch zahlreicher alter Wälle und Forts eine große Erweiterung erfahren hat. Mein Clärchen verweilt nun gegenwärtig zum Besuch bei Maria Trinkler, und wird nach etwa acht Tagen über Stendal ihren Rückweg nehmen, wo sie Tante Klarine Klen in ihrem Stift besuchen soll. Ich wirthschafte daher jetzt mit Willi ganz allein, der sich auch fleißig an sein Studium hält, da er sich zur ersten Staatsprüfung beim Kammergericht gemeldet hat und nun seine schriftliche wissenschaftliche Arbeit anfertigen muß. Mir fehlt es auch nicht an Beschäftigung, jetzt um so weniger, als wir nach der neuen Kirchen-Gemeinde- und Synodalordnung2 in den Sturm kirchlicher Wahlen hineingehen. Es ist der Ausgang dieses niederen Würfelspiels, von welchem das Geschick und der Gang der höhren Institutionen des Staats und der Kirche abhängig gemacht wird, schwer vorauszusehen; doch hoffe ich im Ganzen auf einen günstigen Ausfall, wenigstens auf dem Lande. In den großen Städten wie hier in Berlin wird es lediglich davon abhängen, ob die Leiter der demokratischen Massen es in ihrem Interesse und der Mühe werth finden, ihre folgsamen Leute zur Theilnahme an den kirchlichen Wahlen aufzufordern. Geschieht es, so mögen kuriose Resultate zum Vorschein kommen. Ich bin vollständig überzeugt, daß dieser ganze liberale Wahlplunder, der die Menschen wie ein unvermeidliches Verhängniß bis zum höchsten Ueberdruß beherrscht, über kurz oder lang zu Schanden gehen wird. Ob und in wie weit wir es noch erleben werden, lasse ich jedoch dahingestellt. Die Franzosen nennen die abtrakten Theorien, welche sie ins Verderben geführt haben und bis dahin als absolute Wahrheiten in Kirche, Staat, Volkswirthschaft etc. gegolten haben, legendes, Mährchen für Kinder, an die jetzt verständige Männer nicht mehr glauben. In einigen Punkten, namentlich in den Grundrechten, sind wir auch schon zu dieser Einsicht gekommen und die Liberalen selbst verwerfen jetzt manche Axiome und Prämissen, die noch im Jahre 1848 und folgende in ihrem Staatsrecht unbedingt gegolten haben.
Endlich sende ich Dir hiermit die gewünschten Photographien und bitte wegen der Verzögerung Persien verursacht, der hier vollständig vergriffen war, und erst wieder aus London beschafft werden mußte. Von Maria Theresia habe ich nur das eine Blatt gefunden, welches auch nur 5 Silbergroschen kostet, die anderen 10 Silbergroschen – die Auslage werde ich auf Deinem Konto verrechnen.
um Entschuldigung. Den erheblichsten Aufschub hat der Schah vonAus der Zeitung habe ich erfahren, daß Du in München an der Historischen Kommission Theil genommen hast und die Versammlungen derselben sehr befriedigend verlaufen sind. Die politische Verfassungsfragen in Bayern sind auch in einer höchst schwankenden und gespannten Lage; in einer Zeit, wie die gegenwärtige ist dies die unglücklichste, da es im Ganzen, wie für den einzelnen Menschen durchaus nothwendig, einen entschiedenen festen Standpunkt bei aller Vorsicht in der Anwendung zu behaupten. Den Kampf mit der katholischen Kirche kann ich freilich nach dem Sinne, den Kräften und Mitteln, mit denen er geführt wird, nur als ein schweres Verhängniß betrachten, welches in seinen Folgen die christliche Kirche und geistliche Bildung des ganzen Volkes tief untergraben muß. Doch wer will es wagen, hier zu prophezeien, wo jeder Tag neue Wandelungen hervor bringt, wie kürzlich der alberne Brief des Papstes, welcher der Regierung herrlich zu Statten kommt.3
Wie geht es Deiner lieben Anna! Das neue Buch von Agnes Vollmar „Sibylla“4 wird sie gewiß auch sehr interessiren. Von Anna Valentiner geb. Lepsius kam heute aus Strasburg ein sehr liebenswürdiger Brief an Willi, der ihr auch eine Annonce zur Karte geschickt hatte. Die arme Marie von Quast, geb. Hengstenberg, früher das blühendste Mädchen, ist mit dem Mann und der Mutter vor wenigen Tagen nach Kairo mit sehr schwacher Hoffnung der Genesung abgereist.
Herzliche Grüße der lieben Susanna.
In treuer Liebe Dein Bruder Immanuel