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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 24. Mai 1887

Lieber Karl!

Auf Deine Postkarte vom 23sten dieses Monats, die ich so eben empfing1, antworte ich Dir, daß wir in Ems in der Bella Riva, eine Villa von Karl Lang, gewohnt haben2; sie liegt auf dem linken Ufer der Lahn  abwärts, am Berg und Wald sehr schön gelegen und hat eine freie Aussicht und bessere Luft als die im Thale und auf dem rechten Ufer der Lahn gelegenen Wohnungen. Vor acht Jahren kostete für uns – Clara und ich – Pension pro Tag und Kopf 7 Mark; es soll aber wegen seiner Vorzüge sehr gesucht und theurer geworden sein. Es freut mich, daß Du Luise, welcher ich mit den besten Wünschen für gutes Wetter und gute Kur unsere freundlichen Grüße sende, dahin begleiten wirst und Ihr Euch dort in der angenehmen Gesellschaft von Grundherrs befinden werdet. Es ist doch sehr rathsam, daß Luise bei ihrem Halsleiden dem scharfen Münchener Klima und ihrer geschwächten Gesundheit eine ernstliche Kur mit Vorsicht und Ausdauer gebraucht.3

An4 Georgs bößer Unfall5, durch welchen er auch von der interessanten und ehrenvollen Theilnahme an den Feiern für Euren Prinz- Regenten6 abgehalten worden, hat unser herzliches Bedauern erregt und wir hoffen nun, daß er nach völliger Wiederherstellung sich wieder seinem alltäglichen Beruf ohne Beschwerden widmen kann.

Um Deinen Wunsch wegen der Pensionsberechtigung der Beamten des Germanischen Museums zu erfüllen, habe ich eine Abschrift meiner an einen Beamten des Evangelischen Vereins erlassenen Verfügung beispielsweise fertigen lassen und sende sie Dir mit dem Bemerken, daß jeder Beamte des Evangelischen Vereins und der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft – abgesehen von den unteren Beamten für einfache Dienste und dem Gesinde – eine ähnliche Zusicherung erhalten hat.7 Sie hat den Zweck ihnen 1. für den Fall des Todes und 2. der gänzlichen Dienstunfähigkeit eine bestimmte Versicherung für ihn und die Hinterbliebenen zu geben, bei welcher eine willkührliche Behandlung Seitens des in seinen Prozessen verhandelnden Vorstandes ausgeschlossen ist.

Zu Pfingsten8 werden wir wieder auf freundliche Einladung nach Pessin zu Knoblauchs gehen, wünschen aber dazu wärmeres Wetter, als wir heute empfinden. Unmittelbar darauf in der Pfingstwoche will ich auf zwei Tage nach Halle gehen, wo auf Betrieb der Württemberger Bibelgesellschaft eine Konferenz von Deputirten der deutschen Bibelgesellschaften wegen verschiedener praktischer Fragen, auch im Anschluß an die sprachliche Bibelrevision statt finden soll. – In der folgenden Trinitatiswoche werden hier wieder die regelmäßigen kirchlichen Versammlungen – Pastoral-Konferenz und so weiter – gehalten werden, so daß ich in den nächsten Wochen sehr in Anspruch genommen werde. Den Urlaub für Schreiberhau im Riesengebirge werde ich erst in der zweiten Hälfte des Juli antreten können.

In der vorigen Woche waren wir durch einen Konflikt9, in den mein Schwiegersohn Bitter mit einem Polen von Koscielski in der öffentliche Sitzung des Herrenhauses ohne sein Verschulden gerathen war. Er hatte als Regierungs-Kommissar neben dem Minister von Puttkammer an der Sitzung Theil genommen; der Pole machte gegen Bitter einen heftigen Angriff wegen seines Verhaltens im Hause der Abgeordneten, dessen Mitglied Bitter ist, bei einer Abstimmung, wobei er einen Abgeordneten – es war von Bredow-Senzke – gewaltsam bestimmte, gegen die Polen zu stimmen. Der Minister von Puttkamer gab darauf gegen Koscielski eine übertriebene, die Sache erschwerende Antwort, die eine friedliche Ausgleichung unmöglich machte. Nach mehrtägigen Verhandlungen folgte am letzten Sonnabend10 Morgens im Grunewald ein Pistolen-Duell, welches glücklicher Weise unblutig ausfiel, aber doch jedem Zufall Spielraum gab; Willy hat demselben auch beigewohnt. Die Sache ist nun mit Anstand und Ehren erledigt und ich muß Bitter das Zeugniß geben, daß er sich dabei richtig und vernünftig benommen hat. Es wird nun noch viel Gerede sich daran knüpfen; wir hoffen aber, daß die Staatsanwaltschaft nicht davon Notiz nimmt.

Clara, Clärchen und Willy, der eben so wieder von Burg zum Reichstag herübergekommen ist, senden Dir freundliche Grüße und wünschen glükliche Reise

Dein Bruder
Immanuel