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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 19. August 1875

Lieber Manuel!

Das schöne Hochzeitsfest ist glücklich vorübergegangen, ich sage glücklich, weil keine Störung der Freude eingetreten ist. Manche liebe Gäste haben wir freilich dabei schmerzlich vermißt, vor allem Euch, Ihr Lieben. Doch Euer Sohn und würdiger Stellvertreter fand sich rechtzeitig ein; er kam am Sonntag1 Nachmittag hier an, über Prag und Nürnberg, und nahm am Montag Abend erhebliche Antheil bei einem Polterabendscherz, bei welchem auch unser Mariechen zum ersten mal und zur allgemeinen Überraschung ihr verborgenes Licht leuchten ließ, indem sie der Schwesterbraut ganz neckisch ein kleines Sündenregister vorführte. Gestern früh ist er mit meinem Schwager Friedrich nach Simmelsdorf gegangen, von wo er noch einmal zu uns zurückkehren will; ich habe ihn nach Muggendorf eingeladen. Onkel Gottlieb und Tante Thekla waren leider verhindert zu kommen, aus Gesundheits- rücksichten; dafür waren Harsdorfs zugegen.

An erster Stelle sind die Eltern Klein zu nennen, die ich selbst erst kennen lernte, beide in ihrer Art vortreffliche Menschen, vorwiegend praktische Naturen. Meine Frau machte es doch noch möglich, sie bei uns im Hause aufzunehmen, nachdem die Kinder ausquartiert worden, und bedauerte nur mit mir, daß sie nicht schon früher auf dies einfache Auskunftsmittel verfallen war, um Euch den gleichen Liebesdienst zu erweisen. Jetzt steht für Euch die Gaststube bei Eurer Rückkehr bereit und ist die Kinderausquartierung nicht mehr nöthig.

Am Abend vor dem Hochzeitsfeste versammelten wir in unserem Hause eine größeren Kreis von hiesigen Freunden, die uns auch bei dieser Gelegenheit, wie sonst, so viel freundliche Theilnahme bewiesen.

Von Felix‘ näheren Freunden waren Dr. Neesen, ein Physiker, aus Berlin und Dr. Harnack, ein Mathematiker aus München eingetroffen. Der Hochzeitstag selbst wurde in aller Frühe durch den vierstimmigen Gesang des Liedes: „Befiehl dem Herrn deine Wege“2, welchen befreundete Stimmen vor der Thüre der Braut ausführten, auf erhebende und rührende Weise eingeleitet. Zezschwitz hielt in der Kirche eine gedankenreiche und schöne Trauungsrede. Der Hochzeitszug bewegte sich im Gefolge des stattlichen Brautpaares durch das lange Schiff der Kirche nach dem Altare hin.3 Das Festessen war im Saale der Harmonie, der für eine Gesellschaft von nicht mehr als 32 Personen geräumig und luftig genug war. Der Tag war drückend heiß, wie die vorausgegangenen und nachfolgenden. Um 6 Uhr war die Trennungsstunde; für uns Eltern eine recht schmerzliche Trennung von der geliebten Tochter! versüßt nur durch den Gedanken, daß sie mit ihrem trefflichen Felix glücklich sein wird. Meine Frau allein begleitete sie noch nach unserem Hause. Von dort fuhr das junge Ehepaar um 7 Uhr nach Nürnberg ab; es folgte eine wunderschöne klare Mondscheinnacht. Seitdem haben wir nichts mehr von ihnen erfahren. Die Eltern Klein haben uns erst heute Morgen verlassen, denn der Papa war gestern etwas unwohl.

Ich bedaure, daß Ihr auf der Reise nach Wildbad so schlechtes Wetter hattet; um so angenehmer muß es nun für Euch sein, die jetzigen heißen Augusttage in den Schatten des Wildbades zuzubringen; dieses Wetter ist gewiß ebenso kurmäßig, wie das Zubettenliegen nach dem Bade, vor welchem ein Nichtkurist nur schaudern kann. Doch bin ich nicht bloß dadurch abgeschreckt worden, Euch nach Wildbad zu folgen. Ich will überhaupt keine weitere Reise unternehmen, sondern mich auf einen kurzen Aufenthalt in Muggendorf beschränken, um auch Frau und Kindern etwas zu gute zu thun, zumal meine Frau nur auf 8 Tage von hier abkommen kann, bis die Niederkunft von Luise zu erwarten ist. Zugleich soll die ganze Ausstattung nebst den reichen Hochzeitsgeschenken, die von allen Seiten zugeflossen sind – auch von Eurer Tochter Marie kam eine schöne bronzene Schale – nach München expedirt werden.

Die Zumuthung des jungen Paares an Euch, ihm bis Stuttgart entgegenzukommen, war doch etwas stark; ich bin unschuldig daran und habe sie nicht gebilligt. Vermuthlich sind sie nun gerade Wegs über Lindau nach Rohrschach gereist. Ich bitte Dich, uns hieher nach Erlangen vor Eurer Abreise von Wildbad Nachricht zu geben über die Art, wie Ihr die Rückreise einzurichten gedenkt. Meine Frau wird Euch jedenfalls auf der Durchreise, wäre es auch nur auf dem Bahnhof, begrüßen. Vielleicht bin ich auch selbst wieder mit den Kindern von Muggendorf zurück. Das Nachtquartier nehmt Ihr besser in unserem Hause als in Nürnberg; die Gaststube ist, wie gesagt, jetzt für Euch eingerichtet, und es würde uns zu einer Art Genugthuung gereichen, wenn Ihr sie benutzen wolltet. Herzlich grüßend Dein Bruder Karl.