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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Marienbad, 19. August 1878

Lieber Manuel!

Wenn Du Deinen Plan eingehalten hast, wirst Du heute Görbersdorf verlassen und auf böhmischem Boden ankommen, wo ich mich zur Zeit gleichfalls befinde. Ich blieb nämlich nur eine Woche in Alexandersbad, fand es aber dort ziemlich langweilig, nur zuletzt hatte ich die angenehme Gesellschaft von Frau Wittich, geb. Gabler nebst Schwester und Tochter und deren Mann Professor Schottmüller, der bei dem Cadetencorps in Lichterfelde angestellt ist; sie kamen von einer weiteren Reise und wollten sich nur kurz in Alexandersbad aufhalten. Das Wetter war schön, das Bad, welches ich einige mal versuchte, angenehm; die Fichtenwaldung und wilden Felsparthien zu Spaziergängen einladend. Ich versetzte mich am 10. August von dort hierher, weil ich das berühmte Bad kennen zu lernen wünschte und Giesebrechts hier zu finden wußte. Wirklich traf ich letztere und bekam auch Wohnung in derselben schön gelegenen Villa Schönbrunn, wo sie sind, und bin nun immer mit ihnen zusammen, was mir am meisten werth ist. Außerdem ist die Lage des Orts sehr lieblich, Luft und Wald erfrischend, Spaziergänge in reicher Auswahl. Das Wasser, den Kreuzbrunnen trinke ich nicht, da ich kein Fett abzugeben habe, wie die unglaublich dicken Frauenzimmer aus aller Welt, welche täglich Morgens, colonnenweise, neben gleichartigen Männern mit dem Glas am Lederriemen in der Hand, zur Quelle wallfahrten.

Außer Giesebrechts habe ich zur Gesellschaft bei Tisch und auf dem Nachmittagsspaziergang den Professor Seidel aus München, Mathematiker, und dessen Schwester; ferner hat sich uns seit vorgestern Professor Kronecker aus Berlin mit Frau, gleichfalls Mathematiker angeschlossen – sehr gescheidte Leute! In der Kurliste fand ich Frau Präsident Wunderlich aus Breslau und suchte sie in ihrer Wohnung auf – ich kannte sie als Mädchen, Fräulein Viereck in Rostock und war bei ihrer Verlobung in Warnemünde; sie ist ganz allein hier und freute sich nach 8 Tagen Stillschweigens wieder einmal Gelegenheit zum Reden zu finden, wovon sie dann auch recht ausgiebig Gebrauch machte. Eine andere Bekanntschaft machte ich zum ersten mal, obwohl sie mir schon lange nahe stand; denn es ist die von unserer Cousine Amalie Schwarz geb. Nitschke aus Stuttgart, Hansens Frau, die auch schon an Corpulenz leidet und in Begleitung ihrer Mutter hierher gekommen ist, weil ihr Mann zu Hause in Artelshofen die Kinder behüten muß. Ich fand sie abgesehen von dem bemerkten Leiden ganz angenehm und recht mittheilsam.

Von zu Hause habe ich im ganzen gute Nachrichten. Luise ist von Brückenau zurück, Lommel dafür zu seinem Freund Zöller, Professor in Wien, an den Attersee im Salzkammergut. Georg ist auf der Übungsreise begriffen, auf dem Lechfeld, in Ingolstadt, jetzt in Dachau. Mariechen, welche drei Wochen lang in Brückenau war, hütet jetzt das Haus; dafür habe ich Sophiechen nach Kohlgrub zu Löffelholz geschickt, wo es ihr sehr gut gefällt. Mundel habe ich bei Theodor, unserem Vetter, in Simmelsdorf angemeldet; aber er wurde bisher durch Unwohlsein zurückgehalten; Gott weiß, wie er zu einem Blasenkatarrh gekommen ist! Er wird in die 3. Gymnasialklasse versetzt, welche der Unterprima entspricht.

Nun wünsche ich auch von Euch zu hören, wie es Euch bisher ergangen ist. Das Wetter war in der Hälfte der vergangenen Woche schön, in der anderen regnerisch. Gestern an des österreichischen Kaisers Geburtstag1 war ein herrlicher sonniger Tag. In den Zeitungen lasen wir von den Wahlen2, von des scheußlichen Attentäters Hinrichtung3, dem Krieg in Bosnien4 und dem Antisocialistengesetz5! Bei uns ist Marquardsen gegen Sonnemann glücklich durchgekommen, in Berlin der Cigarrenmacher Fritsche! usw.

Ich bleibe nur noch diese Woche hier, nach 14 tägigem Aufenthalt, und gedenke am 24. nach Erlangen zurückzufahren, wo ich im September verbleibe bis ich nach München gehe.

Meinen innigen Gruß an Clara!

Dein Bruder Karl.

P. S. Die Flottwell’sche Biographie6 habe ich von Adalbert erhalten und nach Inhalt und Form ganz entsprechend gefunden.