Deinen lieben Brief1 und die Nürnberger Lebkuchen als freundliche Weihnachtsgabe habe ich mit herzlichem Danke empfangen. Auch der 15te Band Deiner Chroniken2, diesmal mit den altbayerischen ist mir zugegangen und ich habe davon mit Interesse wenigstens theilweise Kenntniß genommen, mich aber vornehmlich darüber gefreut, daß das wichtige und umfaßende Unternehmen einen regelmäßigen Fortgang nimmt und Du hierin die Befriedigung findest, für die vaterländische Geschichte ein werthvolles dauerndes Werk ausführen zu können. In Deinem Brief hat mich der wehmüthige Ausdruck Deiner Vereinsamung bewegt, deren Empfindung freilich durch die jetzt wiederkehrenden Erinnerungstage des ersten Jahres verstärkt wird, und wir werden Deiner besonders am Neujahrstage, der für Dich ein Sterbetag geworden ist, mit herzlicher Theilnahme gedenken. Ich hoffe aber doch, daß der Lichtglanz des heiligen Weihnachtsfestes auch Dein Herz zur Freude gestimmt haben werde durch die Verkündigung der Freude und des Friedens auf Erden, und es wird Dir dies auch aus dem Frohsinn und der dankbaren Liebe Deiner Kinder und Enkel entgegen geklungen sein. Durch diese Botschaft wird aller Schmerz und alle Trübsal des Lebens auf Erden versöhnt und wir müssen sie annehmen und glauben, wenn wir nicht ohne Trost und Hoffnung im Elend untergehen wollen. Es ist mir Bedürfniß an diesem Grund festzuhalten und darin zu vertiefen, je mehr das Alter an den Abschluß mahnt und die Vergänglichkeit der Zeit den Glauben an ein ewiges Leben fordert. Die Zustände der Gegenwart sind auch vorzugsweise dazu geeignet, die Hinfälligkeit aller menschlichen Verhältnisse und Einrichtungen darzuthun, da jetzt Alles, was sonst den Menschen als recht und wahr, als gut und wohl gegründet erschien, in Frage gestellt, erschüttert und angegriffen wird. Wir haben selten an dem Anfang eines Jahres gestanden, an dem die Zukunft so unsicher erschien, wie in dem kommenden Jahr, und es wird ein Jeder wohlthun, sich dazu zu rüsten, daß er einen festen Grund behalte und einen sicheren Leitfaden nicht verliert. Diesen festen Halt bietet uns aber die Botschaft des heiligen Weihnachten. In der evangelischen Kirche wird sie leider nur zum Theil verstanden und darum ist sie auch siech und elend; sie wird noch tiefer in die Noth gerathen müssen, um genöthigt zu werden, sich zu neuem Leben aufzuraffen. Der Herr möge ihr dazu im neuen Jahr in Gnaden verhelfen!
Wir haben das Fest in unserem Hause still und gemüthlich verlebt. Unser Willi kam am Montag3 Abend frisch und munter an; er ist von seinem Leben und seiner Thätigkeit in Paderborn sehr befriedigt; mit dem Kulturkampf im engeren Sinn hat er dabei nichts zu thun, vielmehr sein Kommissar anstelle des vertriebenen Bischofs4 für eine gute Verwaltung der Kirchengüter und eine ordentliche Pflege der noch fortbestehenden kirchlichen Einrichtungen in der Diözese in den äußeren Verhältnissen zu sorgen, und da diese Pflicht von ihm mit Fleiß und Umsicht erfüllt wird, so führt er seine Verwaltung ohne Streit und Zank und steht mit den katholischen Kirchenvorständen etc. in gutem Vernehmen. In anderen Diözesen steht es allerdings schlimmer und auch im Uebrigen bleibt der Kulturkampf ein schweres Verhängniß, unter welchem ein großer Theil des Volkes theils verwildert, theils mit bitterem Hasse gegen die Regierung erfüllt wird. Ich habe wenig Hoffnung auf eine baldige Beendigung.
In Waldenburg steht es bei den Kindern noch immer nicht beßer; Rudel leidet jetzt schon seit 7 Wochen an dem Ohrgeschwür, welches sich zu einer Knochenerweiterung ausgebildet hat. Er war längere Zeit in Breslau, wo er sich von einem geschikten Arzt Dr. Voltolini be- handeln läßt; er hat sich jetzt wieder nach dem Fest5 mit Marie dahin begeben und will dort einige Zeit zubringen. Sollte es nicht besser werden, so wird er wohl hierherkommen, um die Berliner Aerzte zu Rathe zu ziehen. An sich ist das Uebel nicht gerade gefährlich, und wird nur durch die örtliche Lage bedenklich, da ebenso das Gehör einen dauernden Schaden davon tragen, als das Gehirn affizirt6 werden kann. Für beide Kinder ist es eine schwere Prüfung.
Möge Gott, der Herr, Dir in diesen schweren Tagen mit Trost beistehen und Dich und Dein Haus in Frieden bewahren! Wenn Georg zum Fest zu Dir gekommen ist, so spreche ihm auch meine herzlichen Wünsche für sein Wohlverhalten und Wohlergehen aus, Dich aber bitte ich ihm in Allem Deine väterliche Liebe zu bezeugen und auch dadurch seine Anhänglichkeit an das Vaterhaus und den Geschwistern lebendig und kräftig zu erhalten. Je mehr er in seiner Natur und seinem Stande der Versuchung ausgesetzt ist, um so mehr ist es Pflicht, ihm herzliche Theilnahme und Pflege zuzurechnen.
Herzliche Grüße von Clara, Willi und Clärchen an Dich und Deine lieben Kinder.