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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 5. Juni 1858

Lieber Karl!

Der Anfang des schönen Monats Juni, der in Heidelberg schon die Kirschen zur Reife brachte1, erinnert an Dein bevorstehendes Geburtsfest2 und fordert mich auf Dir meinen brüderlichen Gruß zu senden. Ein solcher Tag bewegt zum freudigsten und innigstem Danke, wenn er, wie Dich, zurückschauen läßt, auf eine Vergangenheit, und insbesondere auf ein Jahr, in welchem Dich Gottes Güte recht gnädig geleitet, und giebt getrosten Muth zum Antritt des neuen Lebensjahres, bei welchem wir freilich die demüthige Bitte nicht unterlassen dürfen, daß Er es mit uns mache nach Seinem gnädigen und barmherzigen Willen. Dein Gebet, mit welchem wir das Unsrige vereinen, möge reiche Erhörung finden, und begleiten wir es mit unseren innigsten Segenswünschen für Dich und alle Deinigen, welche ein nothwendiges Theil Deiner Lebensfreude ausmachen. Wir nehmen an, daß Dich auch die lieben Nürnberger an Deinem Festtage aufsuchen und hoffen, daß Du ihn im frohen Kreise glücklich und zufrieden verleben werdest.

Wir leben augenblicklich in mannigfacher Bewegung; es ist die Oppensche Familie aus Politzig bei Meseritz angekommen und gestern hat uns Adalbert seine anmuthige Braut Ella von Oppen zugeführt; sie ist in frischer Blüthe sehr lieblich und von lebendigem Ausdruck, ein recht glückliches und liebenswürdiges Paar. Die Eltern – der Vater ein kräftiger biederer Landwirth, die Frau angenehm und fein gebildet – wollen mit dem Brautpaar und einer älteren Tochter, welche aber auch erst 17 Jahr alt ist3, eine Reise über Wien, Ober-Italien und durch die Schweiz in wenigen Tagen antreten und sind heute Nachmittag alle zusammen nach Potsdam gefahren, um die Braut dort den Eltern und Geschwistern vorzustellen. Zu diesem Familienfest, bei welchem wir nicht fehlen dürfen, werden wir morgen hinüberfahren.

Friederike hat sich in dieser ganzen Zeit recht gut gehalten; sie darf zwar nicht zu viel unternehmen und fängt auch an, etwas schwerfällig zu werden. Bei reichlichem Appetit und gutem Schlaf erhält sie sich aber frisch und wohl. Die heißen Tage, welche jetzt eingetreten sind, haben nun bei mir doch etwas das Verlangen nach einer Erfrischung angeregt und die Frage erweckt, ob wir wirklich den ganzen Sommer ohne alle besondere Stärkung und Erholung vorübergehen lassen wollen. Friederike kann jedoch weite Reisen und Fahrten nicht unternehmen; das Gebirge erscheint insbesondere für sie jetzt als eine ganz unpassende Gegend. Das Alleinreisen macht mir aber auch kein Vergnügen und so bin ich durch diese Reflexionen zu der Ueberzeugung gekommen, daß das einzige Passende für uns ein Aufenthalt am kühlen Meeresstrand sein würde. Wenn sich dieser Gedanke noch mehr befestigt und kein sonstiges Hindernis dazwischen kommt, so halte ich es für wahrscheinlich, daß wir im Juli ein Paar Wochen einen Aufenthalt an der OstseeHäringsdorf oder dergleichen – aufsuchen werden. Die Kinder, welche dann Ferien haben, würden natürlich mitgenommen und könnten sich auch in der See tummeln.

Während ich bisher eigentlich die Absicht hatte, ruhig hier auszuharren, hat doch in der letzten Zeit mich zuweilen ein Gefühl der Abspannung überfallen, welches mich eine Erholung wünschen läßt. Ich habe immer viel zu arbeiten gehabt und in einem Gewirr von Interessen und Geschäften gelebt, welches zuletzt mir ein wenig zu viel wird. Man muß sich doch für ein längeres Leben, so Gott will, konserviren. Wärt Ihr noch in Rostock, dann würde ich nach Warnemünde aufpacken; so sehr ich dies jetzt vermisse, so will ich es aber doch keineswegs beklagen, Dich nicht in Mecklenburg aufsuchen zu können.

Die Eltern Flottwell haben auch noch keinen festen Entschluß gefaßt; sie wollen und müssen einen Aufenthalt zur Stärkung suchen; namentlich für die Mutter, welche sich zwar wieder mehr erholt hat, aber doch von ihrem Leiden noch nicht befreit ist, und für Clara. Der Vater hat nicht allein seine Nase jetzt wieder ganz reparirt, sondern ist auch wieder ganz frisch und rüstig. – Es war für sie und uns Alle eine große Freude, daß Herrmann endlich eine feste Scholle gewonnen hat; sein Schwiegervater hat nun Gut Lautensee bei Christburg im Stuhmer Kreise in Westpreußen zwischen Marienwerder und Elbing gekauft, welches Herrmann auch gleich in Besitz genommen und scheinen alle Theile von dem Kauf befriedigt zu sein.

Ueber unsere politische Lage läßt sich nicht viel sagen; es ist noch alles in derselben Schwebe; die bevorstehenden Wahlen4 können leicht eine starke Bewegung in die Situation hineinbringen und wäre es dann sehr zu beklagen, wenn das Regiment sich noch im Interimistikum befände.5

Der lieben Susanna sage ich die herzlichsten Grüße und Glückwünsche zu dem Festtage, welcher auch der Ihrige ist. Ebenso grüße ich freundlichst die lieben Nürnberger, wenn sie herüberkommen und von meinen Kindern soll ich auch den Deinigen viele, viele Grüße bestellen.

In treuer brüderlicher Liebe, wie immer

Dein Immanuel