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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 19. August 1877

Lieber Manuel!

Deinen Brief vom 3. dieses Monats1, worin Du mir Nachricht gibst von Deiner Ankunft bei den Kindern in Görbersdorf, erhielt ich in Würzburg, woselbst ich mich vom 28. Juli bis 7. August aufgehalten habe, um das mir aufgetragene Geschäft als Ministerial-Commissär2 bei den Absolutorialprüfungen an dem humanistischen und an dem Realgymnasium zu vollziehen. Es war dies bei täglich Vormittags und Nachmittags stattfindenden Prüfungen und darauf bezüglichen Lehrerconferenzen, bei denen ich den Vorsitz zu führen hatte, ein ziemlich ermüdendes Geschäft, woneben ich jedoch angenehme Stunden in dem Familienkreise bei Wegele und bei Lexer, sowie mit anderen Bekannten zubrachte.3 Zu einiger Erholung gereichte mir sodann, nach Abschluß derselben, ein kurzer Ausflug nach Bad Brückenau, wo ich mit meiner Tochter Luise zusammentraf, welche zur Stärkung ihrer Gesundheit ein paar Woche das dortige Stahlbad gebrauchte. Bad Brückenau liegt in einem stillen Wiesengrunde von Waldgebirg umgeben, welches die schönsten schattigen Spaziergänge darbietet und die Luft auch in heißen Tagen kühl und frisch erhält. Doch waren die Tage, welche ich dort noch mit Luise zubrachte – 8.-11. August – meist regnerisch, und Luise hatte keine Geduld länger zu verweilen, so wie ich selbst mich nach 14tägiger Abwesenheit zu meiner lieben Kranken zurücksehnte. Wir fuhren also zusammen nach Kissingen ab und waren dort einen Tag mit Eugen zusammen, der uns von Erlangen aus entgegenkam. An letzterem Ort hatte unterdeß das bergische Schützenfest mit vielem Spektakel eine Woche lang fortgedauert, unseren Kindern und Enkeln zum Vergnügen, aber glücklicherweise weit genug von unserem Hause entfernt, um dessen Ruhe nicht zu stören.

Von meiner lieben Susanna erhielt ich fortwährend gute Nachrichten, tröstlich besonders in der Beziehung, daß sie zum Schlaf nicht mehr das seit Monaten täglich gebrauchte Chloral4 bedurfte. Auch fand ich bei meiner Rückkehr ihr Aussehen und Gesamtbefinden besser, und auch der Arzt bezeugt, daß die katarrhalische Affection der Brust sich vermindert habe, wenngleich die Beschwerung des Athmens, der Husten mit Auswurf, der beschleunigte Puls unverändert fortdauern. Sie verläßt gewöhnlich nur Nachmittags um 3 Uhr das Bett und sitzt bis zum Abend im Lehnstuhl an der offenen Thür des Gartenzimmers; doch brachten wir sie in den letzten Tagen auch auf dem Rollstuhl in den Garten selbst hinaus. Ihr sehnliches Verlangen, so wie unser aller dringender Wunsch wäre, sie noch, so lange die Jahreszeit günstig ist, nach Streitberg zu bringen, um ihr den Genuß einer reinen Luft zu verschaffen, wovon sie sich selbst sehr viel, und wohl zu viel, verspricht. Unser Arzt, Dr. Maurer, consultirte deshalb noch einmal mit Professor Leube, unserem ausgezeichneten Kliniker, aber auch dieser, der die Kranke wiederum gründlich untersuchte und einige Besserung ihres Zustands constatirte, rieth sehr zur Vorsicht. Nicht bloß die Reise mit langem Fahren und anderen Umständen ist bedenklich; auch die gute unausgesetzte Pflege, besonders den jederzeit bereiten ärztlichen Beistand kann sie am andern Ort nicht so gut wie zu Hause finden. Wir werden jedenfalls erst den Versuch mit einer kürzeren Ausfahrt im Wagen machen, vorausgesetzt daß der Arzt damit einverstanden ist.

Am vergangenen Donnerstag, 16. August war ich bei der 25jährigen Jubiläumsfeier des Germanischen Museums, zu dessen Verwaltungsausschuß ich eben gewählt worden bin. Ich traf Waitz, Wattenbach und andere Bekannte dort und sah in dem Verwandtenkreis zum ersten mal die junge Frau Maria geb. von Mellenthin, die mir recht wohl gefiel. Am Nachmittag wurde von dem Riedel’schen Gesangverein aus Leipzig herrliche Kirchengesänge in der mit dichtgedrängter Menge gefüllten Lorenzkirche vortrefflich ausgeführt.

Susanna grüßt Euch herzlich und freut sich über Euer schönes Zusammenleben in dem stillen und doch auch von bedeutenden Persönlichkeiten aufgesuchten Görbersdorf. Ich freue mich besonders, daß Du wenigstens auf einige Zeit der unersprießlichen Kirchenhändel überhoben bist, von denen ich Dich noch lieber ganz befreit zu sehen wünschte.

Meine herzlichen Grüße an alle Deine Lieben.

Dein Bruder Karl.