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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 25. Dezember 1844

Lieber Karl!

Deinen freundlichen Gruß habe ich am Weihnachtsabend hier vorgefunden, zu welchem ich noch glücklich hier eintreffen konnte, zudem der Oberpräsident am Sonnabend2 wieder in Magdeburg zurückgekehrt war. Ich müßte mich ebenso gegen Dich entschuldigen, wenn es Noth thäte, daß wir uns vor einander entschuldigten, weil ich nicht an Dich unmittelbar geschrieben habe. Aber ich könnte Dir ebenso im Ganzen nichts anderes mittheilen, als was in meinen Briefen an die Mutter enthalten ist – die Mutter habe ich zu meiner Freude viel wohler und besser aussehend gefunden, als ich erwartet hatte. –

Obwohl ihre Nerven noch angegriffen sind und sie sich nicht viel bücken kann, so wirtschaftet sie doch wieder ganz lebhaft und hat frischen Muth. Von Berlin werde ich Dir noch vor meiner Abreise ausführlich schreiben, nachdem ich erst die Freunde gesehen habe: am Sonnabend3 denke ich wieder abzureisen. –

Unser Staat hat jetzt allerdings wieder eine stille Oberfläche; doch wird diese durch die Landtagsabschiede4, welche vollständig ausgearbeitet nächstens erscheinen werden, bald getrübt werden. Viel Konzessionen sind nicht zu erwarten: man ist aber von neuem sehr ängstlich geworden und hat sich durch die Bewegungen, welche der König durch sein Auftreten selbst hervorgerufen hat, versprechen lassen. Es ist zu bedauern, daß engherzige Ratgeber seine Meinungen und Entschlüsse umgestimmt haben. Indessen ist es der Lauf der Welt, daß politische Fortschritte nicht in Sprüngen gemacht werden: Das öffentliche Interesse wird sich nur mehr beleben und die Thätigkeit der Stände eine größere Gestalt und Stärke gewinnen. Diese Organe müssen und werden durch sich selbst wachsen. – Die Presse wird wieder von oben mit großer Aengstlichkeit bewacht: doch zeigt das Oberzensurgericht fortwährend einen durchaus billigen und verständigen Character, und macht die Umkehr zum früheren Zustand unmöglich. Ich habe bis jetzt noch nicht Ursache gehabt, als Zensor etwas zu streichen, und bin ebenso wenig mit Rüffeln beehrt worden. Unter den jetzigen Zeitläuften ist es aber doch eine üble Stellung und ich würde die Annahme des Amtes bereuen, wenn mir nicht mein Oberpräsident zur Seite stände. Lehrreich ist mir diese Praxis gewesen, indem ich von dem Wesen und der Handhabung der Zensur eine klare Anschauung gewonnen habe.

Ueber die Ernennung von Kierulff zum Ober Appellationsgerichts Rath habe ich mich sehr gewundert: ich würde Wunderlich viel eher zum Mitglied eines reinen Spruchkollegiums für geeignet halten.

Das ist auch eine sonderbare Geschichte mit dem kleinen Eggloffstein: wenn er in seine frühere Stellung wieder zurückgeführt wird, mag das Abentheuer mit seinen Folgen ihm zu einer guten Schule dienen.

Grüß die Rostocker Freunde bestens

von Deinem Immanuel