Indem ich beginne, Dir zu schreiben, bin ich ganz davon überrascht, daß es erst 4 Wochen her, daß ich noch in aller Gemüthsruhe in Eurem Hause weilte, daß ich demnächst eine Reise nach Dresden und in die sächsische Schweiz gemacht, von welcher ich Dir noch gar nicht berichtet1, während ich in den 14 Tagen seit meiner Rückkehr von den Geschäften und der unendlichen Mannigfaltigkeit des hiesigen Treibens so vollständig absorbirt worden, daß mir dagegen jene jüngste Vergangenheit im größten Kontraste erscheint. Doch ist mir von jener glücklichen Erholungszeit eine überaus angenehme Erinnerung zurückgeblieben: zuerst unser gemüthliches Zusammenleben in Deinem lieben Hause; dann die Fahrt nach Dresden, welche mir vielen und großen Genuß bereitet. Freilich war das Wetter in den ersten Tagen sehr ungünstig, und auf die freundliche Umgebung mußten wir fast ganz Verzicht leisten; dagegen waren die Museen mit der Gallerie ein unbeschreiblicher Hochgenuß, und bei der langen Entbehrung derartiger Anschauungen und dem unendlichen Reichthum dieser Kunstschätze habe ich darin geschwelgt, wie nie in meinem Leben. Es waren alles wohl- bekannte Freunde, und doch nach solanger Zeit, wie neu und wie früher nicht erkannt. Zwanzig Jahre der besten Zeit des Lebens stärken auch das Auge und kräftigen die Sehtauglichkeit des Geistes und der Sinne.2 Vor Allem erhöhte es aber die Freude und den Genuß, alle diese Werke zusammen mit meiner Frau zu schauen, sie in deren Verständniß einzuführen und mit ihr gemeinschaftlich zu bewundern. Alle diese Eindrücke haben mich sehr erfrischt und innerlich gestärkt. – Nicht minder bin ich aber auch dankbar für die schöne Tour, welche wir durch die sächsische Schweiz gemacht haben; es war schönes klares Wetter im Ganzen, wenn auch etwas frisch, was aber für das Marschiren recht angenehm war. Der größere und interessantere Theil der Reise war mir noch unbekannt, nemblich der Kuhstall, der Winterberg und das Prebischthor und ich bin von den großen Schönheiten dieser Punkte, den wilden und großartigen Felsbildungen und den wunderbaren Waldungen mit den anziehendten Fernsichten und Rundblicken sehr überrascht gewesen.
So war die ganze Reise sehr belohnend, und das Vergnügen und die Annehmlichkeit besonders erhöht durch die liebenswürdige Gesellschaft, in der wir uns befanden, und deren Vortrefflichkeit ich auch nicht weiter zu bezeichnen brauche. Doch kann ich nicht unterlassen, hervorzuheben, daß auch unsere liebe Cousine Louise, mit ihrem glücklichen Frohsinn, ihrem warmen Herzen und ihrer sinnigen Empfänglichkeit für alles Schöne und Interessante, viel zur Begeisterung beigetragen, und wir sie recht ans Herz geschlossen haben.
Am Mittwoch, den 5ten Oktober Abend kehrten wir nach Berlin zurück; am Donnerstag Mittag fuhren wir nach Potsdam, um unsere Kinder abzuholen. Leider wurde hier Friederike unwohl und mußte mehrere Tage dort verweilen, die ich dann als Junggeselle in Berlin verleben mußte. Jetzt ist sie wieder ganz wohl, wenn auch leicht manchen Anfechtungen unterworfen. Die Kinder sind alle drei recht munter. Unser Clärchen hat sich in der letzten Zeit zu unserer Freude geistig sehr entwickelt; sie ist sehr regsam, theilnehmend und giebt dies auch durch kräftige Töne zu verstehen. Ihr Umfang läßt nichts zu wünschen übrig. – Die Mutter befindet sich ganz leidlich, und ist oft zu schönen Unternehmungen aufgelegt. Sie war sehr gerührt von Euren vielseitigen lieben Briefen und läßt Euch und insbesondere Susette herzlich dafür danken. Die Art und Weise, wie diese ihre Wünsche, Ermahnungen und Anleitungen, sowie Verbesserungsvorschläge aufgenommen, hat dem Herzen der guten Mutter, bei der ja auch Alles in der reinsten Liebe seine Quelle findet, sehr wohlgethan, da sie doch wohl eher besorgt gewesen, daß sie zu viel hineingeredet habe. Wir danken es aber auch allen der lieben Susette; die liebenswürdige Freundlichkeit, mit welcher sie in jenen Angelegenheiten der guten Mutter entgegengekommen ist.
In meiner Häuslichkeit bin ich noch in Unordnung, da meine Stube, die grüne, eben jetzt tapeziert wird. Ich werde dieselbe nunmehr mehr gebrauchen, da ich doch mich zum Ausscheiden aus dem Gemeinderath entschlossen, und nun gewöhnlich des Nachmittags zu Hause bleiben werde. Ich hatte noch lange geschwankt, mußte mich aber doch überzeugen, daß ich mit dieser gedoppelten Thätigkeit meine Kräfte aufreiben würde. Viel Schmeichelhaftes wird mir gesagt; doch kann mir Niemand wegen meines Austritts Unrecht geben.
Bei meiner Rückkehr fand ich auch das Reskript des Minister Präsidenten vor, durch welches mir die Kuratel3 des Staatsanzeigers, und „das Dezernat in den allgemeinen Verwaltungssachen der Centralstelle für Preßangelegenheiten“ übertragen ist. Die technische Leitung des literarischen Kabinets hat inzwischen Dr. Metzel übernommen; letzteren möchte ich nicht so ungünstig, wie Majer, beurtheilen; er ist jedenfalls ein anständiger, bescheidener und besonnener Mann, der keine unnützen Stänkereien machen wird; ob er geschickter und geistreicher Literat ist, das kann ich nicht beurtheilen; von den Arbeiten im literarischen Cabinet und dessen Thätigkeit nehme ich keine Notiz. Ich verwalte nur die Fonds, die Personalien und äußeren Einrichtungen. Eine große Tat ist das Ueberlaufen von den Sorten Literaten, welche von mir Anstellung haben wollen. –
Aus einer Bekanntmachung ersah ich, daß die nicht …4 höchsten Prioritäts-Aktien zu 4½ % schon am 1sten October gehalten waren; ich habe mich daher rasch entschließen müssen und für Deine 300 th dagegen Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn Obligationen Litt. C. zu 4½ % 300 th fast pari gekauft; ein gutes sicheres Papier, so daß ich Deine nachträgliche Zustimmung zu erhalten hoffe.
Die Mutter wird auch bald schreiben. – Die herzlichsten Grüße von ihr, Friederike und mir Deiner lieben Susette. Was machen denn die lieben Kinderchen? – In treuer Liebe Dein Immanuel