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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Friedrichroda, 29. September 1855

Lieber Karl!

Herzlichen Dank für Deine freundlichen Wünsche zu meinem Geburtstag1, den ich diesmal in dem schönen Thüringen gefeiert habe. Ein wehmüthiger Gedanke mußte es mir wohl sein, das neue Lebensjahr diesmal ohne die besonderen Segenswünsche der theuren Mutter anzutreten, welche uns sonst an solchen Tagen die ganze Fülle und Innigkeit ihrer mütterlichen Liebe entgegenbrachte. Auch bei allem Schönen, was wir hier genießen, müssen wir oft daran denken, mit welcher Theilnahme sie uns sonst auf solchen Reisen begleitete, und welche Freude sie hatte an jedem Genuß, der uns dabei zu Theil wurde; und es fehlt mir, daß ich ihr nicht schreiben und erzählen kann, was wir hier Schönes und Angenehmes sehen und erfahren. – Meinen Geburtstag brachten wir auf einem schönen Ausflug zu, den wir mit Stavenhagens, die dazu von Gotha herübergefahren waren, unternahmen. Ein Einspänner beförderte Friederike und mich; wir fuhren zusammen nach Georgenthal, wo wir recht ordentlich zu Mittag aßen und vorher einen hohen Berg, den Todtenstein, bestiegen, von welchem aus man eine weite Gebirgsaussicht hat; leider hatte sich der Himmel trotz eines unvergleichlich schönen Morgens bezogen und die Aussicht daher getrübt; nach Tisch fuhren wir nach Tambach und spazierten von dort in das anmuthige Spitterthal. Am sternenhellen Abend und bei Mondschein fuhren wir in unserem Einspänner nach Hause. – Es mochte die Parthie vielleicht etwas zu kalt und zu anstrengend für Friederike gewesen sein; sie hatte am anderen Tage wieder ihre Kolik. Die folgenden Tage haben wir aber wieder reichlich benutzen und genießen können. Das Wetter ist bisher im Ganzen über alle Erwartung schön gewesen; besonders in der ersten Woche immer klar und überaus mild und warm, ohne belästigende Hitze. In dieser Woche wehte an mehreren Tagen ein scharfer Südost; doch konnte man leicht Spaziergänge wählen, wo man ihn weniger empfand und heute war es so warm und milde, wie es sonst im August sein möchte. Vielleicht bezeichnet diese Wärme einen Wendepunkt in der Witterung. Jedenfalls ist es uns aber hier so wohl und behaglich, daß wir nicht Verlangen haben, uns noch weiter in der Welt umzusehen, was zugleich auch der Kasse zu Gute kommen wird. Wir sind in dem Schweizerhause bei der guten Superintendentin2 vortrefflich aufgehoben, haben eine geräumige Wohnung von der freundlichsten Lage und bequemsten Einrichtung und leben hier auf das ungenirteste. Für Friederike ist dieser Aufenthalt unbedingt am zusagendsten; sie kann die Spaziergänge nach ihrem Bedürfnis einrichten; ist sie unwohl, so kann sie sich bequem pflegen, und da ihr Uebel doch nicht ganz weggeblieben ist, wie ich wohl gehofft habe, so habe ich die weitere Fahrt nach Nürnberg aufgegeben, welche, wenn schwerstes Herbstwetter eintreten sollte, ihr leicht nachtheilig sein könnte. Eben schreibt sie an Tante Marie, um uns für diesmal zu entschuldigen, und den Besuch bei den lieben Nürnbergern auf eine andere geeignetere Zeit vorzubehalten. Ob wir zum Schluß auf einem Umweg über Elgersberg und Schwarzburg nach Berlin zurückkehren, ist auch noch dahin gestellt. Ich denke aber am Sonntag den 7. October in Potsdam und am folgenden Tage in Berlin einzutreffen.

Von Potsdam haben wir recht häufig und Gott sei Dank, bis jetzt immer recht gute Nachrichten erhalten; die Kinder leben dort sehr vergnügt. Heute bekamen wir auch über Potsdam von Marie Tanner einen Brief, welche sehr betrübt schreibt, daß sie wieder – zum 7ten mal – ein Loose „Nein“ bekommen, und auch beim Siechenhause alles in solcher Verwirrung ist und Knaks sich davon zurückziehen wollen, so daß sie dort keine Stellung zu erwarten hat; sie wird daher bis auf Weiteres in meinem Hause verweilen, wo ich ihr mit Freude eine Freistatt einräume.

Am vergangenen Sonnabend fuhren wir mit unserem Einspänner auf den Inselberg; es war beim herrlichsten Wetter – warm, sonnig und still – eine wundervolle Aussicht. Gestern fuhren wir mit Frau Superintendentin und deren 2 jungen Damen per Leiterwagen auf den Uebelberg, durch den Lauchagrund nach Kloster Tabarz, gleichfalls eine sehr romantische Parthie. Friederike steigt schon ganz wacker auf die Berge. Nachmittags ergehen wir uns gern und mit immer neuem Entzücken in dem reizenden Reinhardtsbrunn, welches an schönen Wegen und Punkten unerschöpflich ist. Die nächsten Berge haben wir bereits ziemlich alle bestiegen und bewandert.

Unsere Abende füllen wir mit Lektüre aus, zu welcher ich überreiches Material mitgenommen habe; darunter auch das von Dir angestoßene „Soll und Haben“ von Freitag, was uns Stavenhagens mitgegeben und wir mit höchstem Interesse gelesen haben. Die Politik bringt uns zwar nicht die Neue Preußische Zeitung, wie Du vermuthest, wohl aber die Gothasche Zeitung, welche die Hauptsachen mittheilt. Morgen erwarten wir einen Besuch von Trinkler, den eine Dienstreise in die Nähe führt und nächste Woche kommen vielleicht noch Stavenhagens heraus.

Friederike sagt Dir und der lieben Susette die schönsten Grüße, und auch ich bitte, letztere von mir herzlich zu grüßen.

In treuer Liebe Dein Immanuel.