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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 4. März 1872

Lieber Manuel!

Aus Deinem letzten Brief vom 11. vorigen Monats1 erseh ich, wie viel Du mit den wichtigsten kirchenpolitischen Fragen beschäftigt bist und welche schwere Aufgaben sie Dir im verantwortungsvollen Amt2 insbesondere stellen. Wir draußen Stehenden brauchen uns nur im Großen und Ganzen damit zu befassen, indem wir die Entwickelung der Dinge mit innerem Antheil betrachten. Ich meinerseits empfinde es mit Vielen für eine Befreiung von einem wahren Alpdruck, seitdem dieser unglückliche Mühler fort ist und sein Nachfolger Dr. Falk wieder einen frischeren und freieren Ton anschlägt. Er scheint guten Muth zu haben und verspricht manche unheilvolle Verrenkung wieder ins Gleise zu bringen. Noch mehr hat sich Held Bismark durch seine tapfere Schlacht gegen Polen und Ultramontane hier in Süddeutschland begeisterte Freunde gewonnen, wo man den gleichen Nachdruck bei den eigenen Regierungen trotz aller schönen Reden vermißt und überzeugt ist, daß bei so gewissenlosen antinational gesinnten Gegnern jede Schonung das Übel nur ärger macht. Man kann dem Kampf nicht länger aus dem Wege gehen; man muß ihn mit aller Energie und Schärfe aufnehmen, wenn auch mit aller Vorsicht durchführen. Das neue preußische Schulinspectionsgesetz scheint mir die dringendste Aufgabe, das Recht des Staats auf diesem Gebiet zu wahren – principiell wie praktisch – ganz richtig gestellt zu haben.

Von unserem bayrischen Landtag wirst Du wohl wenig hören. Es ist ein Glück, daß diese particularen Landtage überhaupt nur für das Land, dem sie angehören, Bedeutung haben. Was interessirt sich Deutschland für den Scandal, den unsere Parteien dort aufführen! Wir Universitätsprofessoren hoffen aber doch auf Bewilligung der Gehaltserhöhungen, welche die Staatsregierung vorgeschlagen hat – selbst mit Alterszulagen, wie bei den übrigen Staatsbeamten, obwohl man gegen diese durchschnittliche Gleichstellung gerechte Bedenken haben kann.

Die Straßburger Berufungen3 treiben an anderen Orten die Professorengehalte in die Höhe. Professor Recklinghausen in Würzburg z. B. ist mit 4200 Thalern für Straßburg gewonnen und hat außerdem, wie ich höre, einige gute Berliner Freunde sich zu Collegen in der medicinischen Facultät ausgebeten. Tübingen muß 4 Professoren nach Straßburg abgeben. Das durchschnittliche Gehalt ist 2500 Thaler für einen Straßburger Professor der neuen Universität. Ob er dort bald einen Wirkungskreis und Zuhörer finden wird, ist eine andere Frage. Die bessere Gesellschaft in Straßburg ist noch durchaus französisch gesinnt mit wenigen Ausnahmen; der Aufenthalt dort auch sonst nicht eben angenehm; französische Unsauberkeit und Liederlichkeit haben sich fest eingenistet, die Natur bietet in der nächsten Umgebung nichts. Zu uns nach Erlangen ist keine Straßburger Berufung gelangt; dagegen haben wir an Stelle des verstorbenen Herz, der ein Jude nach Lessings Sinne und ein Mensch von so seltener Vortrefflichkeit war, wie es nicht Viele auch unter den Christen giebt – einen Professor Rosenthal aus Berlin berufen, für Physiologie, der zufällig gleichfalls Jude ist und ein ausgezeichneter Gelehrter und decent sein soll.

Aus unserem Hause wird wohl Anna berichten. Unsere beiden ältesten Mädchen haben in der Carnevalszeit viel jugendliche Lust und Freude genossen. Auch bei uns im Hause gab es Geselligkeit von Alt und Jung gerade genug.

Die gute Mutter in Nürnberg wird Anfang April eine andere Wohnung in der Nähe des Lorenzer Thor vor der Stadt, in freier Lage, beziehen und da das Fräulein Götz, welches sie bisher im Hauswesen unterstützt, entlassen wird, soll eine meiner Töchter abwechselnd ihr Gesellschaft leisten. Onkel Gottlieb war vor kurzem in Nürnberg in Familienangelegenheiten, wo ich ihn sah. Er wurde durch eine neue Schrift von Meyer in Ansbach über Caspar Hauser, als Betrüger4, veranlaßt, eine Folge von interessanten Artikeln gegen diese Behauptung in der Augsburger Allgemeine Zeitung abdrucken zu lassen. Tante Thekla ist viel leidend.

Ich danke Dir für Deine gütige Abrechnung und bitte, mir das Saldo zu schicken, da ich Geld brauchen kann. Ich grüße die glückliche Braut und ihren Verlobten. Willi, den ich ebenso herzlich grüße, bitte ich um eine Besorgung. Von meinen Töchtern werden bisweilen, als Geburtstagsgeschenk, Gypsabgüsse nach Antiken begehrt und da jetzt wieder ein Geburtstag bevorsteht, wünsche ich einen Preiscourant von der Eichler’sche Handlung5 unter den Linden (die wohl noch existirt?) zu bekommen; solchen wünsche ich womöglich gleich zu erhalten, damit ich meine Bestellung rechtzeitig und direct machen kann. Ist eine andere Handlung vorzuziehen, so ist sie mir natürlich auch recht.

Herzliche Grüße an die liebe Clara und Clärchen. Wie wird es mit Adalbert? In der Zeitung las ich, daß sein Weggehen nach Detmold zweifelhaft geworden sei, weil er sich mit der dortigen Junker- oder Hofaristokratie nicht verständigen konnte. Das mag eine schöne Sippschaft sein! Der große Lippische Diplomat Victor von Strauß, der seit 1866 hier in Erlangen gelebt und sich eifrig mit Chinesisch beschäftigt hat, zieht zu Ostern fort nach Dresden. Seine Frau, eine würdige Matrone, hat uns besser als er gefallen.

In treuer Liebe
Dein Bruder Karl.