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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 22. Mai 1856

Lieber Karl!

Dein letzter Brief1 hat uns sehr erfreut, und haben wir an der Befriedigung und dem Vergnügen, welches Dir der Ausflug nach Rügen gewährt2, herzlichen Antheil genommen. Gern würde ich Dich dahin begleitet haben, da mir dies Eiland auch noch unbekannt ist, und eine solche Erholung gewiß ganz nöthig wäre. Du wirst nun bald von der Ostsee ganz Abschied nehmen, und wer weiß, ob Deine Wege Dich einmal wieder zu ihrem Strand führen. Künftig wirst Du es leichter haben, die Alpen zu besteigen, und dann sicher leicht die Versuchung kommen, auch noch die Königin des adriatischen Meeres zu begrüßen, und wie einst auf dem Lido umherzugehen. – Wir haben zum Feste3 den gewohnten Besuch in Potsdam gemacht; es war auch dort sehr schön im anmuthigen Frühlingsschmuck. Ich blieb, wie gewöhnlich von Sontag Mittag bis Dienstag früh, ließ aber diesmal Frau und Kinder die ganze Woche drüben und holte sie nur am nächsten Sontag selbst ab. Den Kindern ist der Aufenthalt recht gut bekommen, und sie befinden sich ganz wohl; Marie besucht mit großem Eifer ihre Schule und hat sich in hohem Maaße die Zuneigung der Frau Vorsteherin A.4 Dann erworben. Gestern war ihr Geburtstag5 und danke ich Dir für Deine freundlichen Glückwünsche zu diesem Tage; durch den Brief von Annchen wurde sie sehr erfreut und sie ist eben damit beschäftigt, ihn zu beantworten. Auch Willi will als zärtlicher Vetter seine noch etwas unkorrekte, aber doch mit einem festen Grundstrich begabte Feder in Thätigkeit setzen. Er ist jetzt ein ausgelassener Junge, der in der Hauptsache dumme Streiche macht; die Fortschritte im Lernen werden erst nachkommen, doch hat er ein liebenswürdiges Gemüth. Clärchen macht nur äußerst langsame Fortschritte in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung, so daß dies wohl Sorge erregen muß.

Friederike unterliegt noch immer mannigfachen Anfechtungen in ihrer Gesundheit, und hat jetzt Böhm ihr den Gebrauch einer gründlichen Kur in Franzensbrunnen bei Eger verordnet. Wir haben auch ein gutes Vertrauen zu dieser Kur, und hoffen, daß mit Gottes Hülfe dadurch ihre nervöse Empfindlichkeit behoben und sie rasch bekräftigt werde. Freundin Oberin Klee, welche seit drei Wochen bei uns ist, will sie ins Bad begleiten und dort pflegen, bis ich sie ablöse. So Gott will, soll sie bis zum 10. Juni von hier abreisen; ich würde dann die Kinder hier noch bis Anfang Juli bemuttern, und demnächst sie nach Potsdam zu den Großeltern bringen, und mich selbst nach Franzensbrunnen begeben, wo ich mit Friederike bis zum Ende der Kur verbleiben werde und dann noch 2 – 3 Wochen mit ihr zur Nachkur irgendwo in einer freundlichen nicht zu fern gelegenen Gegend mich aufhalten werde. Wohin wir uns zu letzterem Zwecke wenden sollen, weiß ich noch nicht. In Nürnberg würde die Tante nicht zu Hause ein und wäre auch ein Landaufenthalt in stiller Ruhe unbedingt einem Besuche bei einem zahlreichen Verwandtenkreis zum Zwecke gründlicher körperlicher Erholung vorzuziehen. In Friedrichs- roda wird es sehr voll sein, so daß schwerlich ein Unterkommen im Schweizerhause zu finden. Ich bin daher noch ganz ungewiß, wohin wir uns wenden sollen. Am Anfang des Monats August müssen wir wieder zurückkehren. – Mit diesen Plänen kreuzt sich nun allerdings die Reise der lieben Tante Marie; doch hoffen wir, daß wir auf ihrer Hin- oder Rückreise doch mit ihr zusammentreffen werden; käme sie im Juni hier durch, so würde ich wenigstens die Freude haben, sie zu sehen und bei mir aufnehmen können. Was aber Eure Fahrt nach Erlangen anbetrifft, so rechnen wir doch sehr darauf, daß Ihr uns nicht umgehen werdet; bis dahin ist nun freilich noch lange Zeit und wird sich das noch näher überlegen lassen.

Gegenwärtig sind hier die künftigen Schwiegereltern meines Schwagers Herrmann, von Frantzius mit der Braut zum Besuch, um die Ausstattung zu besorgen; ehrenwerthe Charaktere, von sehr gemüthlichem Behagen. Sie waren gestern Abend bei uns, und dies verbunden mit einem unruhigen Kindergeburtstag scheint für Friederikes Nerven zu viel gewesen zu sein; denn sie hat heute wieder einen Ansatz von Kopfweh, so daß ich nicht weiß, ob sie morgen wird fähig sein, an Susette, wie sie beabsichtigt, zu schreiben, um ihr für ihren lieben Brief zu danken und ihre Glückwünsche zu Annes Geburtstage6 auszudrücken. Jedenfalls bringe ich von ganzem Herzen die meinigen zu diesem Festtage, mit den innigsten Wünschen, daß Gott das liebe Kind auch in jedem neuen Lebensjahr behüten und geleiten möge.

In treuer Liebe
Dein Immanuel

P. S. Die Rentenbriefe von Henning werden nun auch nächste Tage erwartet und werde ich dann nicht zögern, Deine 1000 th an Onkel Siegmund nach Nürnberg zu schicken.