Unser lieber Schmidtlein ist nun auch dahin gegangen!1 Heute Nachmittag erhielten wir davon die erste Kunde, nachdem erst gestern die Nachricht von seiner schweren Erkrankung an einer Lungenentzündung hierher gekommen war. Er war eine treue Seele, ein reiner und edler Charakter, ein lebensfroher Mensch bis in sein hohes Alter, dessen gemüthvolles und harmonisch heiteres Wesen die gleiche wohlthuende Stimmung über seine Umgebung verbreitete; es gab keinen liebenswürdigeren Gesellschafter; gegen Jedermann bewies er sich freundlich und der Freund konnte sich unbedingt auf ihn verlassen. Sein Weggehen von hier haben wir, seine Freunde, schmerzlich empfunden2; aber wir konnten seine Gründe, besonders die Fürsorge für seine Kinder, die ihn dazu bewogen, nicht mißbilligen. Der hiesige Freundeskreis ist ihm freilich in München, und noch weniger seiner Frau, ersetzt worden. Seinen Sohn Adolf, den Arzt in Puebla, der sich dort mit einer Mexicanerin verheiratet, hat er nicht wiedergesehen. Von den beiden jüngeren Söhnen hat der ältere Carl, ein tüchtiger Mensch, sein ärztliches Studium vollendet und ist Assistent am Münchener Krankenhause; der jüngere, Ernst, ist Polytechniker, ein stattlicher junger Mann hochaufgeschossen wie eine Pappel. Zwei Töchter sind im Hause geblieben, die ältere leitete das Hauswesen, die jüngere, Marie, hat sich zur Sängerin ausgebildet und ist bei der Münchener Capelle3 angestellt, hat sich in diesem Winter auch in Concerten auf Reisen in Cassel und Cöln hören lassen. Alle sind uns mehr oder weniger nahe gestanden, zuletzt der Mediciner Karl, der oft in unser Haus kam und sich auch unseres lieben Gottlieb in seiner letzten Krankheit sehr treu angenommen hat.
Erst vor wenigen Wochen ist unserem Schmidtlein unser Thomasius in den Tod vorausgegangen.4 Welcher herrliche Mann! Niemand nahm es ernster und gewissenhafter mit seinem hohen Beruf als Lehrer und in der theologischen Wissenschaft, wie als Prediger und Seelsorger. Erst vor zwei Jahren gab er das Universitätspredigtamt an Zezschwitz ab, weil seine Kräfte nicht mehr für Alles ausreichten. Von seinem letzten Hauptwerk, die Dogmengeschichte, ist nur der erste Band im Druck erschienen, aber die beiden andern sind im Manuscript fast vollendet und werden gedruckt.5 Als Universitätslehrer hatte er neben Hofmann die bedeutendste Wirksamkeit. So strenggläubig und ausschließend lutherisch kichlich er gesinnt war, so hatte doch seine Persönlichkeit so viel freundliche Milde und rücksichtsvolle Schonung für Andere und bezeigte er, wie er sich im Umgang aussprach, eine so Herz gewinnende Wärme, daß ihm auch Andersgesinnte mit Verehrung und Liebe zugethan waren. Zezschwitz hat seinem Vorgänger im Predigtamt die Leichenrede gehalten6, die vielleicht nicht zu viel zu seinem Lobe sagte, aber durch Pathos und Redekunst die Wirkung abschwächte.
Ich bin begierig von Dir zu hören, wie Du mit der Provinzialsynode, insbesondere der brandenburgischen zufrieden bist. Über eine der dort behandelten Fragen bin ich durch Deinen Aufsatz im Evangelischen Anzeiger orientiert worden. Auszüge aus den Verhandlungen habe ich in den Zeitungen gelesen. Wenn ich nicht irre, so hat in der Synode im Ganzen eine gemäßigte Richtung vorgewaltet, welche zwar den Strengkirchlichen nicht genug gethan, mit der man sich aber doch in den weiteren, nicht unkirchlichen, Kreisen einverstanden erklären wird. Doch schwer genug mag es sein, die vorwiegenden Meinungen und die gefaßten Beschlüsse der Synoden zu einem Ergebniß im Ganzen zusammenzufassen und ihnen praktische Anwendung zu verschaffen. Auf dem kirchlichen Gebiet ist es gestattet, jede abweichende Meinung zur Gewissenssache auszuprägen und jede Art der Opposition als Märtyrerthum zu verherrlichen. Darum giebt es gewiß nichts Schwereres als das Kirchenregiment zu führen.
Aus unserem Hause habe ich nur erfreuliches zu berichten; doch darf ich mich wohl auf die ausführlichen Mittheilungen von Frau und Tochter beziehen. Das glückliche Brautpaar lebt sich immer mehr zusammen und ist der Mittelpunkt unseres Familienlebens geworden. Felix will nächstens nach München, um für sich und seine künftige Frau Wohnung zu miethen.7
An Frau Clara und Deine Kinder herzliche Grüße