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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Hornbäk, 7. August 1882

Lieber Karl!

Also gebe ich Dir von der Küste Seelands am Kattegat Nachricht von unserer Reise und unserem Leben. – Am Mittwoch dem 26sten Juli currentis Vormittags fuhren wir von Berlin ab, bestiegen am Mittag in Stettin das Dampfboot – Titania – und gelangten hinter Swinemünde in die wogende See. Es war starker Seegang bei bedecktem Himmel ohne Regen; meiner Frau und Klärchen wurde es unbehaglich; doch waren die Wirkungen der Seekrankheit mäßig; ich blieb unangefochten und genoß die erquikende Seeluft. Am Abend krochen wir in unsere Kajüten; Clara und Klärchen hatten eine für sich alleine, was sehr angenehm war; ich teilte meine Kabüse mit drei Gesellen, die sich aber ruhig verhielten, so daß ich auch mehrere Stunden schlafen konnte. Am Morgen war glänzender Sonnenaufgang bei klarem Himmel und frischem Seewind. So gelangten wir um 6 ½ Uhr Morgens in Copenhagen an, welches sich vom Meere aus nicht überraschend großartig ausnimmt. Die Stadt ist auch nicht imponirend, aber stattlich und sauber im modernen Styl. Wir hatten im Kong af Danmark1 ein gutes Unterkommen. Die Merkwürdigkeiten sind in Copenhagen bald erledigt und auch nicht überwältigend; keine einzige alte sehenswerthe Kirche; die viel gerühmte Frauenkirche ein langweiliges stylloses Gebäude, nur ausgezeichnet durch die Statue von Christus und von 12 Aposteln von Thorwaldsen; die erstere weltbekannt, würdig und erhaben, die Apostel ziemlich mattselig; wie ganz anders dagegen Peter Vischer! – Thorwaldsen ist überhaupt der gefeierte Genius der Dänen und dies ist charakteristisch. Das für seine Werke errichtete Gebäude ist auch das bedeutendste Denkmal und man lernt ihn darin würdigen vornehmlich in den plastischen Werken und den lebensvollen realistischen Engels- und Kindergestalten.2 Die Gemäldegallerie in der Christiansborg enthält neben einer großen Masse Schunt einige schöne Everdingen3 und andere Holländer. Interessant ist auch die Sammlung nordischer Alterthümer. Die Umgebung der Hauptstadt ist entsprechend durch schöne Parks mit üppiger Vegetation; Friedrichsberg mit zahlreichen Vergnügungsorten. Tivoli mit unglaublicher Häufung aller Orten von Plaisier, Konzerte etc. bei glänzender Beleuchtung der Stolz der Kopenhagener. Wir hatten schönes Wetter und fuhren am Freitag4 Mittag über Klampenborg nach Skodsborg am Strand, mit wundervoller Aussicht auf das mit zahlreichen Seeschiffen belebte Meer. Den Rückweg machten wir von Skodsborg nach Klampenborg durch den berühmten Thiergarten, einen herrlichen Buchenwald, in dessen Mitte auf der Höhe das Jagdschloß die Eremitage liegt, ganz frei auf einer weiten Wiese, auf der ganze Heerden von Hirschen und Dammwild mit Kuhheerden friedlich weiden.

Am Sonnabend bestiegen wir morgens das Dampfboot nach Helsingör, welches der freundlich belebten Küste entlang seinen Weg nimmt; es war eine angenehme Fahrt. Von Helsingör fuhren wir gleich weiter nach Marienlyst, einem Badeort in der Nähe, wo wir durch die liebenswürdige Fräulein Lecoq aus Berlin Quartier bestellt hatten und von ihnen freundlichst begrüßt wurden. Wir blieben hier bei ihnen über Sonntag bis Montag Vormittag. Der Ort liegt am Sund und die schwedische Küste sehr nahe, so daß die See den Charakter eines Binnenwassers hat. Die Zierde ist aber auch hier der herrliche Buchenwald, der mit urwaldlichen Bäumen sich tief in das Land erstreckt.

Am Montag machten wir den Schluß der Reise über Hellebek nach Hornbäk bei strömendem Regen, und der Sturm peitschte das Meer in hohen schäumenden Wellen auf den Strand. Von unserer Wohnung aus, die uns Fräulein Hedwig von der Groeben besorgt hatte, haben wir diesen großartigen Anblick vor uns. Unsere Zimmer sind recht freundlich und auch die Betten ganz befriedigend. Unsere Wirthin, Frau Anderson bedient uns mit ebenso großem Ernst, als Aufmerksamkeit; ihr Mann ist zur See. Die Verständigung in dänischer Sprache ist wohl etwas schwierig; meine Frau hat aber schon gute Fortschritte gemacht und im Uebrigen hilft unser Nachbar, ein alter Schiffskapitain aus, der auch deutsch sprechen kann. Ebenso spricht der Kreuzwirth deutsch, und wenn auch sein Haus mit Stroh gedeckt ist, so liefert er uns doch einen ganz auskömmlichen Mittag. Der General von der Groeben – pensionirt – mit Frau und 2 Töchtern aus Berlin, denen wir überhaupt dieses Reiseziel verdanken, sind ein bekannter angenehmer Umgang. Nachdem sich die Lebensordnung hier eingerichtet hat, sind wir auch mit der Wahl vollkommen zufrieden, besonders da wir den vollsten unmittelbaren Genuß der See haben, wenn wir auch auf das Baden verzichten. Hornbäck ist ein ländliches Fischerdorf, das noch nicht den Charakter eines Seebades angenommen hat; die Leute freundlich, gesittet, tüchtige Menschen, und sehr reinlich. In unmittelbarer Nähe ist auch hier Wald, aber mehr Fichte und Tanne, als Laubholz. Hier suchten wir Deckung gegen Sturm und Regen, der die ganze vorige Woche dauerte; das Meer in wildem Aufruhr. Seit gestern hat es sich mehr beruhigt und heute ist ein schöner sonniger Tag.

Clara und Klärchen grüßen Dich und Deine Kinder herzlich.

Wir hoffen auch bald von Dir Gutes zu erfahren; wie Du die Würzburger Feier5 bestanden und wohin Du nun in den Ferien wandern wirst.

Dein Bruder Immanuel