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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, München, 2. Oktober 1870

Liebes Weibchen!

Deine lieben Briefe1 und das Gepäck habe ich alles nacheinander erhalten, den ersten Brief nebst Correctur erst am Dienstag bei Stälin, wo er einen Tag liegen geblieben, den zweiten in Cannstadt im Hotel Föhrenbach, den dritten nebst Gepäck fand ich vorgestern (Freitag) Abend hier vor. Ich bin froh, daß es Dir und den Kindern gut geht. Mit innigen Wünschen begleite ich unsere Anna nach Würzburg.

Ich habe Dir seit Cannstadt nicht mehr geschrieben. Diesen hübschen Ort verließ ich am Mittwoch Morgen um 9 Uhr, fuhr nach Eslingen, wo ich ein Paar Stunden verweilte und den Burgberg bestieg, die restaurirte Frauenkirche besah – weil der Zug nach Tübingen sich nicht eher anschloß und kam erst nach 2 Uhr hier an. Weizsäcker mit seinen 3 Kindern empfing mich sehr herzlich am Bahnhof und nöthigte mich bei ihm zu wohnen. Mit ihm machte ich auch einen Spaziergang nach dem alten Kloster Bebenhausen, über eine Stunde weit in einem stillen waldbewachsenen Thal gelegen, wo uns eine vorausgegangene Professorengesellschaft erwartete. Ich kürze meinen Bericht ab, um nur die Hauptsache zu erwähnen. Abends hatte Weizsäcker einige Freunde eingeladen, seinen Bruder, Prof. Michaelis, Staatsrath Rümmelin. Am folgenden Morgen wurde ich von ihm in Tübingen herumgeführt, in Stift, Schloß und Bibliothek, und machte verschiedene Besuche, auch bei Binz; Nachmittags machten wir in größerer Gesellschaft einen Spaziergang auf eine Höhe über dem Neckarthal, Spitzenberg, und von dort hinunter nach Weilheim. Frau Kisler und ihre Töchter Thusnelda und Edelfrid, unseren Töchtern Anna und Luise ähnlich, waren mit dabei, auch Frl. Deutsch (Feder und Tinte, womit ich schreibe, sind abscheulich). Abends war ich in einem deutschen Club, ähnlich unserer Harmonie-Gesellschaft. Die national Gesinnten haben in Würtemberg keine andere als die schwarz weiß rothe Fahne; bei Weizsäcker hingen zwei große und zwei kleine (der Kinder) von dieser Art aus den Fenstern, und in der schönen Stube über dem Sopha hing ein großes Brustbild von Bismark.

Freitag Morgens fuhr ich, sehr befriedigt von meinem Tübinger Aufenthalt, von dort ab und traf in Plochingen, wo die Bahnen sich kreuzen, mit Stälin nach Verabredung zusammen. Der Zug hielt zwei Stunden in Ulm, so daß wir uns auch dort umsehen konnten. Gegen 9 Uhr Abends trafen wir hier im Goldenen Bären ein, wo uns Wegele bereits erwartete. Gestern (Sonnabend) Morgen war die erste Sitzung2; die Mitglieder waren beinahe vollzählig bis auf den verstorbenen trefflichen Wackernagel und Sybel, der vielleicht noch kommt; Droysen pflegt regelmäßig fortzubleiben. Nach der Sitzung traf ich im Goldenen Bären beim Essen eine ganze Erlanger Gesellschaft: Schmidtleins, Hofmanns und Marquardsen. Frau Schmidtlein befindet sich wieder wohl und läßt herzlich grüßen, wird auch schreiben, sobald sie in die Wohnung eingezogen ist; denn noch sind sie in Feldaffing, wohin sie nach dem Essen zurückgingen.

Nachmittags machte ich Besuche bei Giesebrecht, bei Löffelholz, beim Onkel. Bei Löffelholz steht alles sehr gut; ich sprach Luise, die im Bette lag (am 11. Tage) und sah das sehr munter wirkende Knäblein, auch ihr Mann kam nach Hause und klagte viel über Arbeitslast und Zurücksetzung. Ich erfuhr dort, daß Annas Hochzeit heute am Sonntag sein werde, und kam bei Tuchers gegen 7 Uhr gerade zum Polterabend. Gepoltert wurde freilich nicht, aber es gab überraschende Begegnungen. Theodor und Josephine waren gekommen; Christoph und Paula trafen am Abend ein, Zezschwitz war bereits da und wird heute Mittag die Trauung verrichten in der Kirche. Auch er war nicht dazu geladen, kam aber auf der Rückreise aus Tirol hier an und mußte bleiben, um die Ehe seines Freundes einzusegnen. Die Trauung ist heute Mittag um 12 ½ Uhr, dann eine Collation, welche kein Dinner sein soll, im Bayrischen Hof; das Ehepaar wird um 6 Uhr nach Augsburg fahren und am folgenden Tag, also morgen, vermuthlich mit dem Eilzug – oder auch erst mit dem Nachmittagzug denn ich glaube vernommen zu haben, daß sie sich in Nürnberg aufhalten und am Abend nur bis Lichtenfels fahren wollen (das letztere ist sicher) – durch Erlangen kommen. Du kannst das vielleicht sicherer bei Frau v. Zezschwitz erfahren, die telegraphisch benachrichtigt werden soll (wenn es wirklich dazu kommt.)

Den Gedanken an Straßburg habe ich so gut wie aufgegeben. Man wird bald näher hören, wie es dort steht. Unsere Sitzungen dauern schwerlich länger als bis Mittwoch; also werde ich am Donnerstag zurückkommen, ich schreibe noch bestimmter darüber, und vielleicht können wir uns in Nürnberg treffen, wo ich dann bis Abend bleiben würde.

Jetzt will ich mich eilen, um noch einen Besuch zu machen und mich hochzeitlich auszustalten; es ist mir lieb, daß Du mich mit der weißen Weste versehen hast.

Lebe wohl, liebste Susi, ich grüße die Kinder und umarme Dich als

Dein treuer Gatte.